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Handbuch ADHS


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Dauer sein. Wegen der breiten Variation der Norm ist Hyperaktivität vor dem Schulalter schwierig zu erkennen. Bei Vorschulkindern soll nur ein extremes Maß zu dieser Diagnose führen.« (Dilling et al. 1991)

      Die diagnostischen Leitlinien sind in den im Kasten 2.1 dargestellten Forschungskriterien noch präziser dargelegt. Hinsichtlich der Klassifikation verschiedener Untergruppen nimmt die ICD-10 die folgende Einteilung der hyperkinetischen Störungen vor:

      F90.0 einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung

      Es herrscht weiterhin Unsicherheit über eine befriedigende Untergliederung hyperkinetischer Störungen. Untersuchungen zeigen, dass der Verlauf bis ins Adoleszenz- und Erwachsenenalter stark davon beeinflusst wird, ob Aggressivität, Delinquenz oder dissoziales Verhalten begleitend vorhanden sind oder nicht. Dementsprechend wird die Hauptuntergliederung nach dem Vorkommen dieser Begleitmerkmale vorgenommen.

      F90.0 soll verwendet werden, wenn die allgemeinen Kriterien für eine hyperkinetische Störung (F90) erfüllt sind, die Kriterien für F91 (Störung des Sozialverhaltens) jedoch nicht.

      Dazugehöriger Begriff:

      • Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder -syndrom mit Hyperaktivität

      • Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivitätsstörung« (Dilling et al. 1991).

      F90.1 hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens

      Diese Kodierung ist zu wählen, wenn die Kriterien für eine hyperkinetische Störung (F90) und die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens (F91) beide erfüllt sind.

      F90.8 andere hyperkinetische Störungen

      F90.9 nicht näher bezeichnete hyperkinetische Störung

      Eine nicht zu empfehlende Restkategorie, die nur verwendet werden soll, wenn die Differenzierung zwischen F90.0 und F90.1 nicht möglich ist, die allgemeinen Kriterien für F90 aber erfüllt sind.

      Dazugehöriger Begriff:

      nicht näher bezeichnete hyperkinetische Reaktion oder hyperkinetisches Syndrom der Kindheit oder des Jugendalters

      In der ICD-11 (https://icd.who.int/browse11/l-m/en) wird die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (6A05) analog zum DSM-5 der neu geschaffenen Gruppe der neurobiologischen Entwicklungsstörungen zugerechnet. In der Beschreibung der Störung sind keine bedeutsamen Veränderungen gegenüber der ICD-10 vorgenommen worden. Die Dauer der Symptome soll mindestens seit sechs Monaten vorliegen, der Beginn wird als typischerweise in der frühen bis mittleren Kindheit definiert und die Situationsunabhängigkeit der Symptommanifestation ist für die Diagnosenstellung verbindlich. Da (noch) keine Forschungskriterien vorliegen, sind die in den entsprechenden Kriterien der ICD-10 enthaltenen deskriptiven Verhaltensmerkmale auch für die Klinik wertvoll, sofern nicht auf das DSM-System Bezug genommen wird.

      Hinsichtlich der Typisierung von Untergruppen nimmt die ICD-11 eine deutliche Veränderung gegenüber der ICD-10 vor und konvergiert weitgehend mit der Klassifikation im DSM-5. Insbesondere entfällt die komorbide Störung von ADHS und Störung des Sozialverhaltens, für deren Auftreten nunmehr zwei separate Diagnosen zu stellen sind. Die Subtypen in der ICD-11 sind nunmehr die folgenden:

      6A05.0 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, vorherrschend unaufmerksame Präsentation

      6A05.1 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, vorherrschend hyperaktiv-impulsive Präsentation

      6A05.2 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kombinierte Präsentation

      6A05.Y Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, andere spezifizierte Präsentation

      6A05.Z Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, nicht-spezifizierte Präsentation

      Mit dieser Klassifikation folgt die ICD-11 nunmehr der in Klinik und Forschung etablierten Einteilung in drei Subtypen mit Betonung von jeweils einer der Grunddimensionen des diagnosespezifischen Verhaltens bzw. ihrer Kombination und zwei Residualkategorien für die selteneren und nicht in diesen die Subtypen klassifizierbaren Symptomkonstellationen von ADHS.

      2.2 Klassifikation nach DSM

      Das US-amerikanische Klassifikationssystem Diagnostic and Statistical Manual (DSM) der American Psychiatric Association hat seit seiner dritten Revision (DSM-III, APA 1980) das Aufmerksamkeitsdefizit in den Vordergrund gerückt und daher die Bezeichnung »attention deficit disorder« (ADD) kreiert, die schon mit der bald folgenden Revision (DSM-III-R, APA 1987) erneut in »attention deficity hyperactivity disorder (ADHD)« umbenannt wurde. Die unter dem Einfluss des DSM-III-R realisierte Forschung hat sodann einige Belege für die Schlussfolgerung erbracht, dass ein reines Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ohne Hyperaktivität (ADD/-H) eine eigenständige kinderpsychiatrische Diagnose und nicht nur einen Subtyp der ADHD darstellt. So liegen bei dem isolierten Aufmerksamkeitsdefizit (ADS) eher Probleme der fokussierten und selektiven Aufmerksamkeit vor, während Probleme der Enthemmung fehlen. Beim kombinierten Typ mit ADHS bestehen die Probleme eher in der persistenten Anstrengung und Ablenkbarkeit. Die Probleme der Enthemmung sind hierbei zentral sowie auch nach Rückbildung der Hyperaktivität weiterhin persistent.

      Im Widerspruch zu diesen Erkenntnissen hat das DSM-IV (APA 1994) jedoch eine Aufteilung in Subtypen mit einem vorwiegend unaufmerksamen, einem vorwiegend hyperaktiv-impulsiven und einem Mischtyp vorgenommen. Diese Unterscheidung ist auch im DSM-5 (APA 2013) erhalten geblieben, wie Kasten 2.2 mit den entsprechenden diagnostischen Kriterien entnommen werden kann. Aufgrund des oft lebenslangen Verlaufs der ADHS wird die Störung nun dem Kapitel neurobiologische Entwicklungsstörungen (neurodevelopmental Disorders) zugeordnet. Das geforderte Alterskriterium für den Beginn der Symptomatik wurde vom 7. auf das 12. Lebensjahr heraufgesetzt, im Gegensatz zum Kindesalter und DSM-IV wurde für das Erwachsenenalter eine Symptomeschwelle von fünf statt zuvor sechs geforderten Kriterien ab dem 17. Lebensjahr zur Diagnosestellung zugrunde gelegt. Das Kriterium einer signifikanten Funktionsbeeinträchtigung aufgrund der ADHS-Symptomatik wurde in eine Beeinträchtigung des Alltags aufgrund der ADHS-Symptomatik verändert, die entsprechend des festgestellten Schweregrades der Beeinträchtigung spezifiziert werden kann.

      Aus dem Vergleich der Forschungskriterien der ICD und des DSM wird die weitgehende Konvergenz der diagnostischen Kriterien der beiden Klassifikationssysteme deutlich. Im DSM-5 neu hinzu gekommen sind die Berücksichtigung eines teilremittierten ADHS sowie eines dreigestuften Schweregrades (leicht-mittel-schwer). Hingegen ist die Klassifizierung einer eigenen Entität beim gleichzeitigen Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens, welche in der ICD-10 Berücksichtigung findet, empirisch mittlerweile abgesichert. Analoge Hinweise auf eine spezielle Untergruppe hyperkinetischer Störungen mit gleichzeitig bestehenden emotionalen Störungen (Angst und Depression) sind empirisch bisher weniger intensiv erbracht worden. Der unter dem Einfluss englischer Wissenschaftler vorgenommenen Betonung der Pervasivität, d. h. der Situationsunabhängigkeit als Diagnose-Kriterium in der ICD-10 wird in der nordamerikanischen Diskussion weniger gefolgt. Hier ist vielmehr vorgeschlagen worden, die pervasive Störung im Vergleich zur situativen Störung als eine schwere Ausprägung der ADHD zu betrachten (Barkley 2006).

      Das unter B. im DSM-5 erfasste Alterskriterium, mit dem die Manifestation der Störung vor dem Alter von 12 Jahren gefordert wird, ist auf der Basis von Ergebnissen infrage gestellt worden, die in epidemiologischen Längsschnittstudien ermittelt wurden. Drei epidemiologische Kohortenstudien in Neuseeland, Brasilien und Großbritannien haben von ADHS-Spätmanifestationen im Erwachsenenalter ohne vorausgehende ADHS im Kindesalter berichtet (Moffitt et al. 2015, Caye et al. 2016; Agnew-Blais et al. 2016; Cooper et al. 2018). Diese Befunde sind derzeit noch in kritischer Diskussion, inwieweit methodische Artefakte zur Annahme eines ADHS mit Spätbeginn im Erwachsenenalter geführt haben könnten (Asherson und Agnew-Blais 2019). Andererseits sprechen die Langzeitbeobachtungen der Multimodal Treatment of ADHD (MTA) Studie nicht grundsätzlich gegen die Validität dieser Annahme, wenngleich mangelnde Sorgfalt bei der klinischen Abklärung der Funktionsbeeinträchtigung, der psychiatrischen Anamnese und der Komorbidität häufig