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TEXT + KRITIK 227 - Lukas Bärfuss


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schon vorgemacht haben.« In den zahllosen sich anschließenden Interviews sah man Lukas Bärfuss denn auch seine Sehnsucht an, an den Schreibtisch zurückkehren zu dürfen, doch betrachtet er den unbotmäßigen Eingriff in die Macht- und Herrschaftsverhältnisse als selbstverständliche Verpflichtung des politischen Intellektuellen.

      Übrigens: Das einzige Wort, das Lukas Bärfuss für seine Poetik gelten lassen möchte, lautet: Trotzdem.

       Gregor Dotzauer

       Aufatmen im Gegenwind Das Phänomen Lukas Bärfuss

      Habituelle Provokateure sind eine Plage für jede Medienrepublik. Unter dem Vorwand, unliebsamen Wahrheiten Gehör zu verschaffen, bewerben sie oft nichts anderes als die eigene Marke, und je mehr sie dabei angeblich minoritäre Meinungen kundtun, desto stärker setzen sie insgeheim auf das Einverständnis der schweigenden Mehrheit. Auch Lukas Bärfuss muss sich diesen Vorwurf gefallen lassen: Als ausgewiesener Linker bedient er, von Rechtskonservativen regelmäßig angefeindet, zumindest die Bedürfnisse eines liberalen Kulturpublikums. Wer sich der radikalen Ernsthaftigkeit seiner Bücher und Theaterstücke aussetzt, stößt allerdings nirgends auf einen narzisstischen Spieler.

      Bärfuss braucht den Gegenwind zum Atmen, und er macht seinem fortgesetzten Ärger Luft, um nicht an den Schweizer Verhältnissen zu ersticken. Seine Wortmeldungen und Kolumnen sind Ausdruck eines psychohygienischen Grundbedürfnisses, der vor kaum einem Aspekt des öffentlichen Lebens haltmacht. So kontinuierlich wie unroutiniert tut er das Unvermeidliche im Aussichtslosen. Darin liegt, über alle Lagerpolaritäten hinaus, der Unterschied zu Antipoden wie dem notorischen Wider-den-Stachel-Löcker Roger Köppel, dem Verleger und Chefredakteur der »Weltwoche«, der seit 2015 für die nationalkonservative SVP im Nationalrat sitzt.

      Dagegen nimmt sich jede Bosheit von Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt onkelhaft gutmütig aus – wobei für das Maß der polemischen Schärfe sicher auch die Blickrichtung eine Rolle spielt. Erst mit Bärfuss überquerte, wenn man von Reto Hännys widerständiger Prosa absieht, wieder ein nennenswertes Maß an Unmut die Grenze nach Deutschland. Der stille Außenseiter Hugo Loetscher blieb ein innerschweizerisches Phänomen, und Adolf Muschg, der neben seiner Dauerfehde mit dem SVP-Urgestein Christoph Blocher nicht nur durch seine proeuropäischen Einlassungen kaum zu unterschätzende politische Verdienste hat, ist aus Altersgründen für die Härten der Gegenwart verloren.

      In der Tat war Muschg 1994 nach dem acht Jahre zuvor bedachten Friedrich Dürrenmatt der letzte Schweizer, der mit dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wurde. Dagegen kamen die Österreicher, die zuletzt 2008 und 2009 mit Walter Kappacher und Josef Winkler geehrt wurden, viel öfter zum Zuge. Ob das mit der wachsenden Entfernung eines Landes zu tun hat, das mit der Europäischen Union traditionell fremdelt, oder mit einer kulturellen Verkapselung, die die Schweizer Literatur seit Jahren in den Bereich eines Sonderforschungsbereichs verweist, darüber lässt sich streiten.

      Wenn man Bärfuss’ Zorn eines zugutehalten will, dann ist es ein Bemühen um moralische Universalität. Er kennt seine spezifisch schweizerischen Blessuren, aber 2008 hielt er in seinem ersten Roman »Hundert Tage« den Völkermord der Hutu an den Tutsi in einem stark allegorisch gehaltenen Ruanda dagegen. Der Protagonist, ein junger Entwicklungshelfer, versucht, versteckt in seinem Haus, sich einen Reim darauf zu machen, was vor seiner Tür geschieht, und ist doch schon mit dem Alltag überfordert.

      In alledem steckt keine Obsession mit dem Tod, die ihren Gegenstand im Ausland suchen muss: Es ist das, was im Kleinen und im Großen in jedem Menschenleben auf dem Spiel steht. Sein 2014 erschienener Roman »Koala«, eher ein erzählender Essay in drei heterogenen Teilen, verarbeitet den Selbstmord seines Halbbruders, der sich durch langjährigen Drogenmissbrauch immer weiter an den Rand seines bürgerlichen Lebens gebracht hatte, und er tut dies weniger autobiografisch denn als lakonische Fallstudie.

      Ganz ins Fiktionale greift der Roman »Hagard« (2017) aus: die Tragödie eines lächerlichen Mannes, der hilflos seiner eigenen Selbstzerstörung zusieht. Aus einer bloßen Laune heraus folgt der Protagonist, ein Immobilienverwalter mit klarem Pflichtenkatalog, einer Frau, wie sie ein Zürcher Kaufhaus verlässt. Er sieht sie immer nur von hinten und im Verlauf seiner zusehends zwanghaften Beschattungsaktion wohl nur noch als Schimäre – als jemanden, den er für diejenige hält, der er nachsteigt. In fein polierter Prosa beobachtet Bärfuss, wie sein Mann mangels eines funktionierenden Smartphones erst den Kontakt zu seiner Umwelt verliert und dann mit einem fehlenden Schuh sogar noch den gewohnten Boden unter den Füßen. Ein Albtraum mit kaltem Witz.

      Die Prosa von Lukas Bärfuss weiß wenig von den inneren Unruhen ihrer