Madeleine Puljic

Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12)


Скачать книгу

Fertignahrung auf den Tisch. »Du gibst doch auch zu, dass es ein Kriegsgefangener sein muss!«

      »Aber eben kein Truvaud.«

      »Woher willst du das wissen? Hast du je einen gesehen?«

      Pei'Tun schnarrte tadelnd. »Lass sie doch.« Er griff nach der Dose und kippte sich den geschmacklosen Wurmbrei darin in den Rachen. Die leere Dose leckte er sorgsam aus und warf sie dann in den Verwerter. »Es ist doch egal, wer der Kerl war. Die Ritter kümmern sich um ihn.«

      Zum ersten Mal, seit sie nach Kessaila gekommen waren, hatte Ha'Tuuk Zweifel daran. »Wozu sollten sie ihn denn dann herbringen? Ein schnelles Ende wäre das, was der Kerl verdient hat!«

      »Wenn er ein Truvaud wäre – was er nicht ist!« Pei'Tun war des Themas offensichtlich ebenso überdrüssig geworden wie Kii'Daan. Er schüttelte seine Flügel aus und erhob sich. »Aber um deine Frage zu beantworten: Ich weiß zwar nicht, was ihr beiden mitgemacht habt, bevor euch die Ritter aufgegriffen haben, aber ich habe gesehen, wer unser Volk getötet hat. Und die sahen nicht aus wie dieser halb nackte Affe.«

      »Aber möglicherweise hat er ihnen geholfen«, beharrte Ha'Tuuk.

      »Du bist besessen, Schwester.«

      Vielleicht war sie das. Ha'Tuuk war selbst überrascht von dem Zorn, der in ihr schwelte. Doch es war die einzige Empfindung, die sie von ihrer Ohnmacht erlöste. Zu hassen war einfach. Es gab ihr das Gefühl, etwas zu tun. Solange sie hasste, lebte sie. Und es war sehr leicht, die Truvaud zu hassen für das, was sie ihrem Volk angetan hatten. Was sie Kii'Daan und ihr angetan hatten! Ihr ganzes Rudel war ...

      Mit einem wütenden Schnarren schüttelte Ha'Tuuk den Kopf. Sie wollte nicht daran denken. Nicht daran. Solange die Gedanken abstrakt blieben, konnte sie an ihrer Wut festhalten, und dann war alles in Ordnung. Aber allzu leicht drängten sich die Details in ihre Erinnerung. All die Dinge, die sie verloren hatten. Die Gesangsabende im Rudel. Die Nestwärme ihrer Eltern. Die Spiele mit ihren Geschwistern. Die weiten Felder und steinigen Klippen, die frische Luft ihrer eigenen Welt ...

      Von Trauer überwältigt, stieß Ha'Tuuk ein wehklagendes Heulen aus. Sie schüttelte die tröstenden Hände ihrer Schwester ab. Sie musste weg, fort von den Erinnerungen und der Enge dieser Behausung, in der sie keine Luft bekam. Sie musste nach draußen, wo sie wenigstens so tun konnte, als könnte sie den Himmel ihrer Heimat über sich sehen.

      Ha'Tuuk flatterte zum Dach ihrer Unterkunft hoch und hockte sich auf die Balustrade.

      Das Leben war ungerecht. Warum hatte ihre Familie sterben müssen? Warum musste ausgerechnet sie überleben? Kii'Daan war die Kluge, die Vernünftige. Sie war immer die Träumerin gewesen. Was blieb ihr nun noch, wo all ihre Träume sich in Albträume verwandelt hatten? Worauf sollte sie noch hoffen, wo von Tag zu Tag deutlicher wurde, dass es keine weiteren Überlebenden gab – dass sie die drei Letzten ihrer Art waren? Etwa darauf, dass Pei'Tun sich ihr zuwandte und nicht ihrer Schwester? Welch erbärmlicher Gedanke. Sie mochte ihn nicht mal. Aber wenn ihre Gruppe tatsächlich die letzten Kussu repräsentierte ...

      Er würde Kii'Daan wählen, und Ha'Tuuk würde verschmäht zurückbleiben, allein und zerfressen von einem Hass, den sie eigentlich gar nicht wollte. Nichts davon wollte sie. Aber das Leben fragte nicht danach, was man sich wünschte.

      »Er ist in der Zitadelle der Ritter.«

      Ha'Tuuk stieß ein überraschtes Schnarren aus. Eine Gestalt war auf sie zugetreten, kleiner sogar als ein Kussu.

      »Wer ...?«, fragte sie. Was sie meinte war: Wer bist du?

      Doch der Fremde beantwortete eine andere Frage. »Der Gefangene, den sie gebracht haben. Der Mörder.«

      »Ein Mörder?« Die Fühler in ihrem Nacken stellten sich auf. »Dann werden sie ihn also bestrafen?«

      Der Fremde stieß ein heiseres Lachen aus. »Bestrafen? Wohl kaum. Er ist ihr Gast.«

      »Aber wenn er jemanden ermordet hat ...« BARILS Wille war unergründlich, aber Ha'Tuuk hatte immer gedacht, dass er auf Gerechtigkeit fußte! Sie schüttelte sich. »Warum erzählst du mir das? Was willst du von mir?«

      »Ich dachte nur, es würde dich interessieren. Immerhin bist du eine Kussu.«

      Er wandte sich zum Gehen, aber Ha'Tuuk hielt ihn mit einem leisen Aufschrei zurück.

      »Was meinst du damit? Was habe ich denn mit diesem ...« ... halb nackten Affen ... »... Gefangenen zu tun?«

      »Dann hast du es noch nicht gehört?« Der Fremde neigte den Kopf zur Seite, und Ha'Tuuk hatte das Gefühl, als mustere er sie, auch wenn sie sein Gesicht im Schatten der Gasse nicht deutlich sehen konnte.

      »Was gehört?«

      »Er wurde angeklagt, weil er sich der Kriegerin in den Weg gestellt hat, als sie dein Volk rächen wollte. Er ist ein Verteidiger der Truvaud.«

      9.

      Kessaila, BARILS Adyton

      Endlich verblasste das Hologramm. Der Boden unter Perry Rhodans Füßen gewann wieder an Substanz, die Schwerkraft kehrte zurück. Da erst fiel ihm auf, wie sehr seine Sinne während der Prüfungen durcheinandergeraten waren.

      Wie viele Stunden hatte er in der Simulation verbracht? Er fühlte sich, als wäre er einen Marathon gelaufen, mit dem Gewicht einer Space-Jet im Schlepptau. Dabei hatte er sich keinen Zentimeter aus der Mitte des Raums entfernt. Jedenfalls nicht körperlich.

      Mit unsicheren Schritten stolperte er zur Wand, schöpfte Wasser aus dem Springbrunnen und trank in gierigen Schlucken. Anschließend klatschte er sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Die kühle Nässe half ihm, in die Realität zurückzufinden.

      Wie viele Lebewesen hatte er sterben sehen, seit er den Prüfungsraum betreten hatte? Welches sadistische Spiel sollten diese Tests darstellen?

      Semmaru hatte richtiggelegen, als er von wachsend schwierigen moralischen Dilemmata gesprochen hatte.

      Wie viel war ein Leben wert? Welches Leben verschonte Rhodan, und zu welchen Bedingungen? Rettete er eines, wenn dafür ein anderes erlosch, das ohne sein Eingreifen unangetastet geblieben wäre? Was, wenn zehn Leben gegen eins standen? Oder tausend? Wenn Kinder beteiligt waren oder die Letzten einer Art? Wo zog man die Grenze?

      Ein leises Schaben riss Rhodan aus seinen Grübeleien. Die Tür des Prüfungsraums öffnete sich, und herein trat der Diplomat.

      Fast wäre es Rhodan lieber gewesen, wenn stattdessen A-Kuatond erschienen wäre. Immerhin hatte sie ihm diesen Mist eingebrockt. Semmaru dagegen konnte er seine Situation nicht vorwerfen. Der Diplomat hatte zumindest versucht, Rhodan auf die Prüfungen vorzubereiten.

      Auch diesmal gab er sich ungebrochen guter Laune. »Du hast dich gut geschlagen«, sirrte er.

      »Schön.« Rhodan ließ die Hände sinken und wischte sie an seinen Hosenbeinen trocken. »Hattet ihr Spaß beim Zusehen?«

      »Es geht doch nicht um unsere Unterhaltung«, protestierte der Ritter. »Es geht allein darum, deine Absichten zu verstehen.«

      »Und, ist euch das wenigstens gelungen?« Rhodan konnte die Bitterkeit in seiner Stimme nicht völlig verbergen, aber das war ihm gleichgültig. Die Ritter hatten ihn beobachtet, sie hatten gesehen, dass ihm keine der Entscheidungen leichtgefallen war.

      Semmaru neigte den Kopf zur Seite. »Wir beginnen zu verstehen. Aber wie ich bereits sagte, die Tests werden mehrere Tage in Anspruch nehmen.«

      »Ja, das sagtest du.« Weitere Tage, in denen er sich Szenarien stellen musste, für die es keine befriedigende Lösung gab. Jedenfalls nicht für ihn. Er wollte keinen Ausgleich, er war niemand, der wegsah. Aber egal auf welche Weise er es versucht hatte – mit Taten, mit Worten, mit Taktik oder Empathie ... Für jedes Mal, da es ihm gelang, Leben zu retten, endete ein anderes im Desaster. Ganz gleich, wie lange diese Prüfung noch andauerte – Rhodan glaubte nicht länger daran, dass er sie zu BARILS Zufriedenheit bestehen konnte.

      Was