Statt zu antworten, wandte sich Tess Qumisha an die Beibootkontrolle. »Ihr habt es gehört – Perry braucht ein Taxi!«
*
Kaum war die Korvette wieder innerhalb der SOL, ging das Kombinationsraumschiff auch schon auf Überlicht.
Das entsprechende Manöver wurde von der Zentrale aus geleitet – ohne Anwesenheit der Kommandantin. Tess Qumisha wartete im Hangar, um den Flüchtling von der Ritterwelt in Empfang zu nehmen.
Entsetzen packte sie, als sie das Beiboot sah. Das Außenschott des Frachtraums der Korvette stand offen und war nur mit einem Energiefeld abgedichtet, das eine ungehinderte Sicht auf das Unglück im Innern zuließ. Rauchschwaden breiteten sich im Hangar der Korvette aus, jedoch nicht dicht genug, um das Gleiterwrack an der Rückwand zu verbergen. Rhodan musste, ohne abzubremsen, in den Frachtraum gerast sein.
Er hatte in den zurückliegenden Jahrtausenden die unwahrscheinlichsten Gefahren überlebt – aber eine solche Bruchlandung? War das überhaupt möglich?
Andererseits: Konnte ausgerechnet Perry Rhodan bei einem simplen Gleiterunfall ums Leben kommen? Leider sah der Gleiter alt aus, verfügte möglicherweise noch nicht mal über Prallfelder, die eine solche Kollision hätten abdämpfen können.
Qumisha ließ ein Antigravfeld projizieren, stieß sich vom Boden ab und erreichte den Unglücksort noch vor den ersten Medorobotern. Das abschottende Energiefeld öffnete sich. Die Lebenserhaltungsanlage der Korvette saugte den Qualm ab.
Unter normaler Bordschwerkraft lief Tess Qumisha die sieben Schritte zum Wrack und riss die ohnehin nur noch an einem Scharnier baumelnde Tür zum Fahrerhaus ab. Sie kletterte auf die Einstiegshilfe, sah hinein – und prustete los.
»Sehr amüsant«, erklang Rhodans gedämpfte Stimme irgendwo aus der Tiefe zwischen den Airbags, die ihn von allen Seiten fest umschlossen und zur Bewegungslosigkeit verdammten. »Wenn du genug gelacht hast, kannst du eine Nadel in diese Dinger stechen?«
16.
14. November 1552 NGZ
SOL, Kepraunsystem
Perry Rhodan kaute auf seiner Unterlippe und tippte mit den Fingernägeln auf den Tisch. Es war selten, dass er innere Unruhe so schlecht unter Kontrolle bekam. Woran lag das? Die Flucht war gelungen, die SOL hatte neue Anhaltspunkte zum weiteren Vorgehen. Er hatte erreicht, was er musste. Warum also fühlte sich das alles so falsch an?
Tess Qumisha betrachtete ihn skeptisch, Eroin Blitzer mit ausdrucksloser Miene. Zu dritt warteten sie im Besprechungsraum hinter der Zentrale auf SENECAS Analyse. Die Hyperinpotronik widmete sich gerade ausführlich den von Rhodan gestohlenen Daten und seinem hastigen Bericht über die Erlebnisse auf Kessaila.
»Das war interessant«, meldete sich SENECAS sonore Stimme schließlich.
Rhodan hörte auf zu tippen. »Was genau?«, fragte er unwirsch.
SENECAS halb charmante, halb enervierende Angewohnheit, mit Wissen zu protzen und sich darum bitten zu lassen, kannte er seit über anderthalb Jahrtausenden. Sie war eine der vielen Facetten, die dazu beitrugen, dass die SOL eine Legende war und nicht bloß nur irgendein Raumschiff. Es gab jedoch Momente, da wünschte sich Rhodan schlicht eine nüchtern analysierende Positronik.
»Zunächst der gestohlene Datenträger«, antwortete SENECA. »Die Dateien über das Diulusystem und die SOL enthalten nichts wesentlich Neues für uns. Anders die weiteren Datensätze, die Semmaru in jüngerer Zeit aufgerufen hat. Dazu gehören sämtliche Testszenarien, die Perry bisher durchlaufen hat, und ungefähr dreitausend weitere Prüfungskonstellationen. In den restlichen Informationen befindet sich ein verschlüsseltes und als streng geheim klassifiziertes Dossier über ein Forschungsprojekt des Ritterordens.«
»Was für ein Projekt?«, fragte Blitzer. »Die Waffe, die BARILS Ritter für die Chaotarchen entwickeln?«
»Der Inhalt des Projekts ist nicht bekannt.« SENECAS Stimme bekam einen schmollenden Ton. »Ich habe doch erwähnt, dass die Datei verschlüsselt ist, und zwar mit den Mitteln einer Superintelligenz. Seid froh, dass ich das herausbekommen habe, was ich habe.«
»Und was ist das?«, hakte Qumisha ungeduldig nach.
»Die galaktische Position des Projekts.« Schmollen wandelte sich in Selbstgefälligkeit. »Wir können selbst nachschauen, woran die Ritter dort arbeiten.«
»Wir brechen sofort auf«, verkündete Blitzer.
»Tun wir nicht!«, widersprach Rhodan scharf. »Ich will erst noch die weiteren Ergebnisse hören.«
Der Zwergandroide wandte den Kopf in einer langsamen und mechanischen Bewegung, bis er Rhodan direkt anstarrte. »Ihr habt einen klar umrissenen Auftrag.«
»Ein klar umrissenes Ziel«, korrigierte Rhodan. »Den Weg dorthin legen wir selbst fest.«
»Ich dachte, du wolltest die Aufgabe schnellstmöglich hinter dich bringen, damit ihr wieder die Souveränität über euer Schiff zurückerhaltet.«
Rhodan seufzte. »Nenn es Instinkt. So etwas bildet man mit dreitausend Jahren aus.« Stumm fragte er sich, wie alt Blitzer wohl sein mochte. Beziehungsweise die Blitzer-Vorlage auf dem Raumschiff LEUCHTKRAFT, deren Kopie die SOL nach Yahouna begleitet hatte.
Die Frage war allerdings müßig und im Moment unwichtig. »Also, SENECA, was hat die Auswertung der Rittertests ergeben?«, kam er zu seinem eigentlichen Thema zurück.
»Zunächst mal konnte ich die galaktischen Positionen aller Planeten feststellen, auf denen du entweder simuliert oder real in die Geschehnisse eingegriffen hast.«
»Wir wissen also, wo die S'Hud und Kraad gekämpft haben?«, vergewisserte sich Rhodan.
»Selbstverständlich«, beschied ihm SENECA.
»Du willst hinfliegen«, vermutete Qumisha, »und der führungslosen Welt helfen, wieder auf die Beine zu kommen?«
»Normalerweise ja«, sagte Rhodan. »Aber noch nicht. Erst will ich wissen, wozu diese absurden Tests gedient haben. Was wollten BARILS Ritter wirklich von mir? Dreitausend Prüfungen, die vielleicht noch vor mir gelegen hätten! Kein Gericht der Welt betreibt so einen Aufwand, um einen Beschuldigten zu entlasten.«
»Die Berechnungen zwecks Beantwortung dieser Frage laufen noch«, sagte SENECA. »Bislang lässt sich allerdings kein kohärentes Ergebnis prognostizieren.«
Das war ein Eingeständnis der Unvollkommenheit, wie man es von SENECA üblicherweise nicht kannte. Entsprechend hellhörig wurde Rhodan. »Und woran liegt das?«
»Widersprüchliche Informationen«, gab SENECA zurück. »Das beginnt mit BARILS Botschaft, die vorgeblich als moralische Richtschnur und Leitlinie des Ritterordens gilt. Ich habe ihren vollständigen Inhalt in einer anregenden Unterhaltung mit einem von A-Kuatonds Robotern ermittelt, bevor diese ihre tragische Fehlfunktion erlitten. Ihr Inhalt deckt sich nicht mit den uns bekannten Verhältnissen in Yahouna.«
Dass religiöse Schriften und wissenschaftlich gesicherte Fakten nicht immer in Einklang miteinander standen, war nichts, was Rhodan bis ins Mark erschütterte. »Ein Beispiel?«, bat er.
»BARILS Botschaft zufolge strebt BARIL nach Neutralität im Kampf zwischen Kosmokraten und Chaotarchen«, gab SENECA bereitwillig Auskunft. »Wir wissen allerdings von unserem Berater an Bord ...« Rhodan bedachte Blitzer bei diesem Euphemismus mit einem freudlosen Lächeln. »... dass BARIL sich durchaus und langfristig aufseiten der Kosmokraten engagiert hat, angeblich aber vor zweihundert Jahren zu den Chaotarchen übergelaufen ist. Das passt nicht zusammen.«
Dem konnte niemand in der Runde widersprechen.
»Damit steht unsere gesamte Wissensbasis infrage«, fuhr SENECA fort. »Denn es kann weitere, uns noch unbekannte Widersprüche geben.«
»Lässt sich aus der Testkonstellation denn nicht errechnen, welchem Zweck sie dient?«, fragte Rhodan.
»Nicht