zu Boden fielen.
In diesem Augenblick ging die Türe auf; Herr Pfäffling hatte ahnungslos seinen Besuch aufgefordert, das Klavier zu probieren und so traten sie miteinander ins Musikzimmer. Nein, auch für einen Kinderfreund wäre dieser Knäuel sich balgender Knaben und ringender Mädchen kein schöner Anblick gewesen, und nun erst für den Kinder feind!
Er prallte ordentlich zurück. Elschen schrie beim Anblick des gefürchteten Fremden laut auf und ergriff eiligst durch den anderen Ausgang die Flucht, alle Geschwister ihr nach. Aber noch unter der Türe besann sich Karl, kehrte zurück, grüßte und sagte: »Entschuldige, Vater, wir wollten drüben nicht stören, deshalb sind wir alle hier gewesen,« dann stellte er rasch die Stühle an ihren Platz und rettete dadurch noch einigermaßen die Ehre der Pfäfflinge, die sich wohl noch nie so ungünstig präsentiert hatten, wie eben diesem Fremden gegenüber.
Eine kleine Weile darnach reiste der Gast ab, von Herrn Pfäffling zur Bahn geleitet. Die Kinder nahmen wieder Besitz von dem großen Tisch im Wohnzimmer und saßen bald in der gewohnten Weise an ihren Aufgaben, doch war ihnen allen bang, wie der Vater wohl die Sache aufgenommen habe und was er sagen würde bei seiner Rückkehr von der Bahn; die Mutter war ja nicht dabei gewesen, sie konnte es nicht wissen.
Nun kam der Vater heim. Eine merkwürdige Stille herrschte im Zimmer, als er über die Schwelle trat. Er blieb einen Augenblick stehen und betrachtete das friedliche Familienbild. Dann sagte er: »Da sitzen sie nun wie Musterkinder ganz brav bei der Mutter, sanft wie unschuldige Lämmlein, nicht wieder zu erkennen die wilde Horde von drüben!« Bei diesem Scherzenden Ton wurde ihnen allen leicht ums Herz, sie lachten, sprangen dem Vater entgegen und Elschen fragte: »Ist der Herr weit weggereist, Vater, und bleibt der jetzt schön da, wo er hin gehört?«
»Jawohl, du kannst beruhigt sein, er kommt nicht mehr. Und wenn er käme oder wenn ein anderer kommt,« setzte Herr Pfäffling hinzu, indem er sich an seine Frau wandte, »dann geben wir uns gar keine Mühe mehr, unser Hauswesen in stiller Vornehmheit zu zeigen und in künstliches Licht zu stellen, denn so ein künstliches Licht verlöscht doch plötzlich und dann ist die Dunkelheit um so größer.«
Ein paar Stunden später, als Elschen längst schlief, die Schwestern Gute Nacht gesagt hatten und Frieder mit Wilhelm und Otto im sogenannten Bubenzimmer ihre Betten aufsuchten, saß Karl noch allein mit den Eltern am Tisch. Seit seinem fünfzehnten Geburtstag hatte er dies Vorrecht. Es wurde allmählich still im Haus. Auch Walburg hatte Gute Nacht gewünscht; manchmal lag kein anderes Wort zwischen ihrem »Guten Morgen« und »Gute Nacht«.
Die drei, die nun noch am Tische saßen, waren ganz schweigsam und bewegten doch ungefähr denselben Gedanken.
Herr Pfäffling dachte: Wenn nur Karl auch zu Bett ginge, dass ich mit meiner Frau von Marstadt reden könnte. Die Kinder sollen ja noch nichts davon wissen. Er zog seine Taschenuhr – es war noch nicht spät. Dann ging er auf und ab, sah wieder nach der Uhr und wurde immer ruheloser.
Frau Pfäffling dachte: Meinem Mann ist es lästig, dass wir nicht allein sind, aber er möchte Karl doch nicht so früh zu Bett schicken. Nein, diese Unruhe! Und dagegen die Ruhe, mit der Karl in sein Buch schaut und nicht ahnt, dass er stört.
Darin täuschte sich aber Frau Pfäffling, denn Karl dachte: Der Vater schweigt und die Mutter schweigt. Wenn ich zur Türe hinausginge, würden sie reden, über Herrn Kraußold aus Marstadt, denn mit diesem hat es eine besondere Bewandtnis. Nun zieht der Vater zum dritten Mal in fünf Minuten seine Uhr. Er möchte mich fort haben und doch nicht fortschicken. Und die Mutter auch. Da ist's wohl angezeigt, dass ich freiwillig gehe. Er klappte das Buch zu, stand auf und sagte: »Gute Nacht, Vater, gute Nacht, Mutter, ich will jetzt auch gehen.«
»Gute Nacht, Karl.«
Sie waren überrascht, dass er so bald aufbrach. »Es ist Zufall,« sagte Herr Pfäffling. »Oder hat er gemerkt, dass er uns stört,« meinte die Mutter. »Woran sollte er das gemerkt haben? Wir haben nichts gesagt und er hat gelesen.«
»Dir kann man so etwas schon anmerken,« erwiderte Frau Pfäffling lächelnd.
»Das muss ich noch erfahren,« sagte Herr Pfäffling lebhaft und rief seinen Jungen noch einmal zurück: »Sage offen, warum du so bald zu Bett gehst?« Einen Augenblick zögerte Karl, dann erwiderte er schelmisch: »Weil du dreimal auf deine Uhr gesehen hast, Vater.«
»Also doch? So geh du immerhin zu Bett, Karl, es ist nett von dir, dass du Takt hast – übrigens, wenn du Takt hast, dann kannst du ebenso gut hier bleiben, dann wirst du auch nicht taktlos ausplaudern, was wir besprechen.« »Das meine ich auch,« sagte Frau Pfäffling, »er wird nun bald sechzehn Jahre. Komm, Großer, setze dich noch einmal zu uns.«
Dem Sohn wurde ganz eigen zumute. Mit einmal fühlte er sich wie ein Freund zu Vater und Mutter herbeigezogen, und in dieser Abendstunde erfuhr er, was seine Eltern gegenwärtig freudig bewegte.
Als er sich aber eine Stunde später leise neben seine Brüder zu Bette legte, da besann er sich, ob irgend etwas auf der Welt ihn bewegen könnte, das Vertrauen der Eltern zu täuschen, und er fühlte, dass keine Lockung noch Drohung stark genug wäre, ihm das anvertraute Geheimnis zu entreißen.
In aller Stille reiste am folgenden Sonntag unser Musiklehrer nach Marstadt, um sich dort den Herren vorzustellen, die über die Ernennung des Direktors für die neu zu gründende Musikschule zu entscheiden hatten. Es kam noch ein anderer, jüngerer Mann aus Marstadt für die Stelle in Betracht, und nun musste sich's zeigen, ob Herr Pfäffling wirklich, wie sein Freund Kraußold meinte, die besseren Aussichten habe. Unterwegs nach der ihm unbekannten Stadt wurde Herr Pfäffling immer kleinmütiger. Warum sollten sie denn ihn, den Fremdling, wählen, statt dem Einheimischen? Sie konnten ja gar nicht wissen, wie eifrig er sich seinem neuen Beruf widmen wollte und wie ihm dabei all seine seitherigen Erfahrungen an der Musikschule zustatten kommen würden!
In Marstadt angekommen, machte er Besuche bei den Herren, die sein Freund Kraußold ihm nannte. War er bei dem ersten noch verzagt, so wuchs seine Zuversicht bei jedem weiteren Besuch, denn wie aus einem Munde lautete das Urteil über seinen Mitbewerber: »Zu jung, viel zu jung zum Direktor« Und einmal, als er in Begleitung seines Freundes über die Straße ging, sah er selbst den Jüngling, der sein Mitbewerber war, und von da an war er beruhigt; das war noch kein Mann für solch eine Stelle, der sollte nur noch zehn Jahre warten!
In froher Zuversicht konnte unser Musiklehrer die Heimreise antreten. Am Bahnhof von Marstadt bot ein Mädchen Blumen an. In seiner hoffnungsfreudigen Stimmung gestattete er sich einen bei ihm ganz unerhörten Luxus: Er kaufte eine Rose. Sein Freund Kraußold sah ihn groß an: »Zu was brauchst du so etwas?«
»Für die zukünftige Frau Direktor,« antwortete Herr Pfäffling fröhlich, und als sein Freund noch immer verwundert schien, setzte er ernst hinzu: »Weißt du, sie hat es schon manchmal recht schwer gehabt in unseren knappen Verhältnissen.«
Sie verabschiedeten sich und Kraußold versprach, am nächsten Donnerstag gleich nach Schluss der Sitzung ihm den Entscheid über die Besetzung der Stelle zu telegrafieren. Als bei seiner Heimkehr Herr Pfäffling seiner Frau die Rose reichte, wusste sie alles, auch ohne Worte: seine glückselige siegesgewisse Stimmung, seine Freude, dass er auch ihr ein schöneres Los bieten konnte, das alles erkannte sie an der unerhört verschwenderischen Gabe einer Rose im November!
Die Sache blieb nicht länger Geheimnis. Herr Pfäffling besprach sie mit seinem Direktor, in der Zeitung kam eine Notiz aus Marstadt über die geplante Musikschule und die zwei Bewerber um die Direktorenstelle. Auch die Kinder hörten nun davon, die Hausleute erfuhren es und Walburg wurde es ins Ohr gerufen.
Je näher der Donnerstag kam, um so mehr wuchs die Spannung auf den Entscheid. Am Vorabend lief noch ein Brief von Kraußold ein, der keinen Zweifel mehr darüber ließ, dass Pfäffling einstimmig gewählt würde.
Gegen Mittag konnte das Telegramm einlaufen. Es war noch nicht da, als Herr Pfäffling aus der Musikschule heimkam. So setzten sie sich alle zu Tisch wie gewöhnlich, aber die Kinder stritten sich darum, wer aufmachen dürfte, wenn der Telegrafenbote klingeln würde. Die Mutter hatte das aufmerksame Ohr einer Hausfrau, sie legte den Löffel aus der