aufs Brot. »Wer soll den Musikunterricht geben?« fragte er.
»Weiß ich nicht.«
»Meier, da könntest du meinen Vater empfehlen.«
»Warum nicht, das kann man schon machen. Das heißt, für solche Herrschaften muss man immer das feinste wählen.«
»Du kannst dich darauf verlassen, mein Vater gibt feinen Unterricht.«
»Wohl, wohl, aber so ein Titel fehlt, Professor oder Direktor oder so etwas, das hören sie gern.«
»Jetzt will ich dir etwas anvertrauen, Meier. Mein Vater kommt als Direktor nach Marstadt, sobald es mit der Musikschule dort im Reinen ist. Er hat schon seine Aufwartung dort gemacht und alle Stimmen waren für ihn. Nur ist es noch nichts geworden, weil erst gebaut werden muss.«
»Dann kann ich wohl etwas für ihn tun,« sagte Rudolf Meier herablassend, »vorausgesetzt, dass sie sich bei mir nach dem Musiklehrer erkundigen und nicht bei den Professoren.«
»Dem musst du eben zuvorkommen, gleich jetzt, wenn du heimkommst, musst du mit den Russen sprechen.«
»Meinst du, da könnte ich so aus- und eingehen, wann ich wollte? Du hast keinen Begriff von Umgangsformen.«
»Nein,« sagte Otto, »wie man das machen muss, weiß ich freilich nicht, aber wenn du das nicht zustande bringst, dann möchte ich wohl wissen, was du kannst: dein Griechisch ist nichts, deine Mathematik ist gar nichts und dein Latein ist am allerwenigsten, wenn du also nicht einmal in deinem Zentralhotel etwas vermagst, dann ist deine ganze Sache ein Schwindel.«
»Ich vermag viel im Hotel.«
»So beweise es!«
»Werde ich auch. Vergiss nicht, dass du mir deine Hefte versprochen hast.«
So trennten sich die Beiden. Otto aber rannte vergnügt heim, rief die Geschwister zusammen und erzählte von der schönen Möglichkeit, die sich für den Vater auftat, die reichen Russen aus dem Zentralhotel zum Unterricht zu bekommen. Sie trauten aber diesem Rudolf Meier nicht viel zu und kamen überein, dass sie den Eltern zunächst kein Wort sagen wollten, es sollte nicht wieder eine Enttäuschung geben.
Am Nachmittag empfing Rudolf Meier die beiden Hefte. Am nächsten Tag, in einer Unterrichtspause sagte er leise zu Otto: »Wenn ich deinen Vater empfehle, gibst du mir dann deinen Aufsatz abzuschreiben?«
» Zehn Aufsätze,« sagte Otto, »mach aber, dass es bald so weit kommt.«
Einen Augenblick später traf Otto im Schulhof seinen Bruder Karl und erzählte ihm das. Da wurde Karl nachdenklich, und noch ehe die Pause vorüber war, fasste er Otto ab, nahm ihn beiseite und sagte: »Du solltest das zurücknehmen, so eine Handelsschaft gefiele dem Vater nicht. So möchte er die Stunden gar nicht annehmen. Sag du dem Rudolf Meier, er soll seine Aufsätze selbst machen, zu solch einem Handel sei unser Vater viel zu vornehm.«
Das sagte Otto und noch etwas dazu, was ihm nicht der Bruder, sondern der Ärger eingegeben hatte: »Du bist nichts als ein rechter Schwindler.« So ging die Sache aus und die Kinder waren nur froh, dass sie darüber geschwiegen hatten. Sie dachten längst nicht mehr daran, als eines Nachmittags Wilhelm meldete: »Vater, der Diener vom Zentralhotel hat diesen Brief für dich abgegeben, er soll auf Antwort warten.«
Frau Pfäffling begriff nicht die Blicke glücklichen Einverständnisses, die die Kinder wechselten, während ihr Mann die Karte las, auf der höflich angefragt wurde, ob er sich im Zentralhotel wegen Violin- und Klavierstunden vorstellen möchte. Die Karte war an Herrn Direktor Pfäffling adressiert, und als die Brüder diese Aufschrift bemerkten, flüsterten sie lachend einander zu: Ein Schwindler ist er trotzdem, der Rudolf Meier!
Der Diener des Zentralhotels bekam für die Überbringung einer so erwünschten Botschaft ein so schönes Trinkgeld, wie er es von dem schlichten Musiklehrer nie erwartet hätte, und als er Herrn Meier senior ausrichtete, dass Herr Direktor Pfäffling noch diesen Nachmittag erscheinen werde, fügte er hinzu: »Es ist ein sehr feiner Herr.«
Bei Pfäfflings war große Freude. Otto erzählte alles, was Rudolf Meier von dem Fremden berichtet hatte, die Eltern und Geschwister hörten ihm zu, er war stolz und glücklich und konnte gar nicht erwarten, bis der Vater sich auf den Weg nach dem Zentralhotel machte. Aber so schnell ging das nicht, im Hausgewand konnte man dort nicht erscheinen. Herr Pfäffling suchte hervor, was er sich neulich zu seiner Vorstellung in Marstadt angeschafft hatte. »Wenn es nur nicht wieder eine Enttäuschung gibt,« sagte er, während er sich eine seine Krawatte knüpfte, »wer weiß, wie die hohen Aristokraten sich in der Nähe ausnehmen, mit denen dieser Rudolf Meier prahlt!« Frau Pfäffling hatte aber gute Zuversicht: »Das erste Hotel hier ist es immerhin,« sagte sie, »und die Russen gelten für ein sehr musikalisches Volk, da wirst du hoffentlich bessere Schüler bekommen als Fräulein Vernagelding.«
»Ach, die Unglückselige kommt ja heute nachmittag,« seufzte Herr Pfäffling, »ich werde aber zu rechter Zeit wieder zurück sein, für meine Marterstunde.«
Er ging, und sie sahen ihm voll Teilnahme nach, Otto noch mehr als die andern, er fühlte sich doch als der Anstifter des ganzen.
Unser Musiklehrer blieb lange aus. Der kurze Dezembernachmittag war schon der Abenddämmerung gewichen, die Lampe brannte im Zimmer, auch die Ganglampe war schon angezündet und von Marie und Anne in ihr Stübchen geholt worden. Um fünf Uhr war Fräulein Vernageldings Zeit. Frau Pfäffling wurde unruhig. So gewissenhaft ihr Mann sonst war, heute schien er sich doch zu verspäten. Nun schlug es fünf Uhr, es klingelte, Marie und Anne eilten mit der geraubten Lampe herbei.
Zwischen Fräulein Vernagelding und den Zwillingen hatte sich allmählich eine kleine Freundschaft angesponnen. Wenn die Schwestern so eilfertig herbeikamen mit der Lampe und gefällig Hilfe leisteten bei dem Anziehen der Gummischuhe, dem Zuknöpfen der Handschuhe und dem Aufstecken des Schleiers, so freute dies das Fräulein und es plauderte mit den viel jüngern Mädchen wie mit ihresgleichen. Als sie nun heute hörte, dass Herr Pfäffling noch nicht da sei, schien sie ganz vergnügt darüber, lachte und spasste mit den Schwestern.
»Herr Pfäffling ruft immer ›Marianne‹,« sagte sie, »welche von Ihnen heißt so?«
»So heißen wir bloß miteinander,« antworteten sie, »wir können es eigentlich nicht leiden, jede möchte lieber ihren eigenen Namen, Marie und Anne, aber so ist's eben bei uns.«
Das fand nun Fräulein Vernagelding so komisch, dass ihr etwas albernes Lachen über den ganzen Gang tönte. Sie hatte inzwischen abgelegt.
»Mutter sagte, Sie möchten nur einstweilen anfangen, Klavier zu spielen,« richtete Marie aus.
»Ach nein,« entgegnete das Fräulein, »ich möchte viel lieber mit Ihnen plaudern. Klavierspielen ist so langweilig. Aber es muss doch sein. Es lautet nicht fein, wenn man gefragt wird: Gnädiges Fräulein spielen Klavier? und man muss antworten: nein. So ungebildet lautet das, meint Mama. Mein voriger Klavierlehrer war so unfreundlich, er sagte immer, ich sei unmusikalisch. Herr Pfäffling ist schon mein vierter Lehrer. Die Herrn wollen immer nur musikalische Schülerinnen, es kann aber doch nicht jedermann musikalisch sein, nicht wahr? Man muss es doch auch den Unmusikalischen lehren, finden Sie nicht?«
»Bei uns ist das anders,« sagte Anne, »wir sind sieben, da wäre es doch zuviel für den Vater, wenn wir alle Musik treiben wollten; er nimmt bloß die, die recht musikalisch sind.«
Die drei Mädchen, an der Türe stehend, fuhren ordentlich zusammen, so plötzlich stand Herr Pfäffling bei ihnen. Im Bewusstsein seiner Verspätung war er mit wenigen großen Sätzen die Treppe heraufgekommen. Fräulein Vernagelding tat einen kleinen Schrei und rief: »Wie haben Sie mich erschreckt, Herr Pfäffling, aber wie fein sehen Sie heute aus, so elegant.« Herr Pfäffling unterbrach sie: »Wir wollen nun keine Zeit mehr verlieren, bitte um Entschuldigung, dass ich Sie warten ließ.«
»O, es war ein so reizendes Viertelstündchen,« hörte man sie noch sagen, ehe sie mit ihrem Lehrer im Musikzimmer verschwand und einen Augenblick nachher wurde G-dur gespielt ohne jegliches Fis, was immer ein sicheres Zeichen war, dass Fräulein