Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Box 4 – Arztroman


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ihrer Leidensgeschichte beginnen sollte.

      »Aus einem bestimmten Grund wollte ich einfach besser aussehen. Jünger, frischer. Deshalb habe ich mich für eine Unterspritzung mit Hyaluronsäure entschieden. Eine ultrafeine Nadel, kaum Schmerzen, und die ganze Behandlung dauert nur so lange wie ein Besuch bei der Kosmetikerin.«

      »Klingt in der Tat verlockend«, gestand Daniel und konnte sich gerade noch zurückhalten, mit den Fingern über die Falten um seinen Mund zu fahren.

      »Dummerweise ging bei mir irgendetwas schief. Direkt im Anschluss an die Behandlung schwoll mein Gesicht an wie ein Luftballon. Die Ärtzin selbst wäscht ihre Hände natürlich in Unschuld und will nichts von einem Behandlungsfehler wissen.« Andreas Stimme war immer leiser geworden und verstummte schließlich ganz. Das Tränendepot hatte sich wieder gefüllt.

      Schon sah sich Daniel von einer weiteren Sturzflut bedroht.

      »Immer mit der Ruhe, Frau Sander.« Die Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter war tröstlich. »Ich werde mich der Sache annehmen. Mit etwas Glück bekommen wir das schon wieder hin.« Er beugte sich über sie und nahm das Gesicht in Augenschein. »So, wie das aussieht, leiden Sie an einer Fillerkomplikation mit einer lokalen Entzündung. Die werden wir zuerst behandeln. Anschließend versuchen wir es mit einer Hyaluronidase. Dabei handelt es sich um Enzyme, die die eingebrachte Hyaluronsäure auf natürliche Art und Weise abbaut. Hilft das alles nichts, bringt ein kleiner Eingriff den gewünschten Erfolg. Und jetzt hören Sie bitte auf zu weinen. Sonst kann ich ja gar nicht erkennen, ob mein Trost fruchtet.«

      Andrea rang sich ein Lächeln ab.

      »Ihr Wunsch ist mir Befehl«, nuschelte sie in ihr Taschentuch.

      Dr. Norden rutschte von der Schreibtischkante. Höchste Zeit, sich nach Lenni zu erkundigen.

      »Ich mag es, wenn Frauen so handsam sind.« Er zwinkerte ihr zu und freute sich über das Lachen, das ihn hinaus begleitete. Klein zwar und verhalten, aber immerhin.

      *

      Die Reifen des Rollstuhls quietschten leise auf dem PVC-Boden, der so ganz anders aussah als der Boden im Hörsaal damals. Heutzutage gab es Vinylböden in Holzoptik, die der Behnisch-Klinik eine fast wohnliche Atmosphäre verliehen, wie Fee insgeheim wieder einmal feststellte. Ihr Patient Julius dagegen hatte ganz andere Sachen im Sinn. Er sah von seinem Handy hoch.

      »Mit einem Rollstuhl auf die Halfpipe. Das wäre mal was.«

      »Du machst mir Spaß«, stöhnte Emil. »Ein Glück, dass du jetzt erst einmal hier festsitzt.« Und zu Felicitas gewandt fragte er: »Und die Operation ist also am Ellbogen?«

      »Es handelt sich nur um einen kleinen Eingriff, der allerdings unumgänglich ist.« Felicitas bugsierte das Bett auf die Seite, um eine Schwester mit einem Wäschewagen vorbeizulassen. Ihr Patient hatte sich wieder in sein Handy vertieft. »Der Knochen heilt leider nicht von selbst so, wie wir das gern hätten. Chronische Schmerzen und eine eingeschränkte Beweglichkeit wären die Folge. Aber keine Sorge.« Vor der Tür eines Krankenzimmers machte sie halt. »Wir kriegen das schon wieder hin.«

      Stimmen näherten sich.

      Dr. Lammers ging mit einer Schwester über den Flur. Die beiden unterhielten sich leise und schienen keinerlei Notiz von ihrer Umwelt zu nehmen. Fee war das nur recht.

      »Nimmst du irgendwelche Medikamente?«, erkundigte sie sich bei Julius, der selbstvergessen im Rollstuhl saß und auf seinem Mobiltelefon herumtippte.

      »Als Biologe schwöre ich auf Naturheilverfahren«, antwortete Emil anstelle seines Enkels. »Sind da irgendwelche Wechselwirkungen mit der Narkose zu befürchten?«

      »Nicht mal, wenn Sie ein ganzes Kräuterfeld vertilgen«, bemerkte Volker Lammers im Vorbeigehen. Sein Lachen dröhnte über den Flur.

      Bevor Felicitas eine passende Antwort einfiel, war er auch schon um die Ecke verschwunden.

      Dr. Steinhilber schickte ihm einen Blick aus schmalen Augen nach.

      »Ein Anwärter für den Friedensnobelpreis ist dieser Typ aber nicht.« Er hielt Felicitas die Tür zum Krankenzimmer auf. »Ist er Ihr Vorgesetzter?«

      Sie lächelte.

      »Im Gegenteil. Ich bin die Chefin der Pädiatrie und er mein Stellvertreter.«

      »Sieht ganz so aus, als könnte sich das demnächst ändern.« Leise klappernd fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.

      Fee zählte still bis drei, wie sie es inzwischen automatisch tat, um sich in einer schwierigen Situation zu beruhigen. Nomalerweise ging es dabei um kleine Patienten. Aber auch in anderen Situationen hatte sich diese Praktik bewährt. Doch in diesem Fall war es nicht so einfach wie sonst. Sie zählte bis fünf, bis sechs, dann atmete sie tief durch, parkte den Rollstuhl vor dem Bett und drehte sich zu ihrem ehemaligen Dozenten um.

      »Sie irren, Herr Dr. Steinhilber.«

      Emil lachte.

      »Immer noch kämpferisch wie eh und je.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich erinnere mich noch gut an Sie. Und an Ihre Liebesbriefe.«

      Felicitas wurde es heiß und kalt. Schnell sah sie hinüber zu Julius. Doch der war zum Glück immer noch in seiner eigenen Welt versunken. »Daran erinnern Sie sich noch?« Sie ärgerte sich darüber, dass ihre Stimme zitterte.

      Dr. Steinhilber zwinkerte ihr zu.

      »Keine Sorge. Ich verrate Sie nicht.«

      »Vielen Dank.« Felicitas rang sich ein Lächeln ab. Nicht auszudenken, was passierte, wenn Lammers erfuhr … Nein, daran wollte sie noch nicht einmal denken! Sie klatschte in die Hände. »Dann wollen wir Julius mal in sein Bett verfrachten. Komm, ich helfe dir aus dem Stuhl.«

      Sie wartete, bis der junge Mann das Mobiltelefon aus der Hand gelegt hatte.

      »Kann ich ich nach der Operation wieder Scooter fahren?« fragte er, als Felicitas die Bettdecke über ihn breitete und glatt strich.

      »Mach dir keine Sorgen«, sagte Emil und schüttelte das Kopfkissen aus. Er schickte Fee einen fragenden Blick. »Die Ärzte hier wissen doch, was zu tun ist, oder?«

      »Natürlich wissen wir das.« Sie stand am Bett und dachte kurz nach. »Dr. Steinhilber, Sie waren ein hervorragender Dozent. Einer der besten, die ich hatte. Und jetzt habe ich endlich Gelegenheit, Ihnen zu beweisen, dass auch ich mein Fach beherrsche.« Sie nickte ihm zu, wuschelte Julius durch das Haar und verabschiedete sich in der Hoffnung, Emils offensichtliche Zweifel zum Schweigen gebracht zu haben.

      *

      »Die sind immer noch da drin?« Wie ein werdender Vater wanderte Dr. Norden vor dem Operationssaal auf und ab. »Das gibt’s doch nicht! Es geht um eine Augenoperation. Warum dauert das denn so lange?«

      »Das solltest du den Professor fragen.« Lächelnd deutete Schwester Elena auf Lutz Krug, der eben aus dem Operationssaal trat.

      Die Miene des Kollegen war alles andere als ermutigend. Daniel hielt die Luft an.

      »Was ist? Wie geht es Lenni? Wie ist die OP verlaufen?«

      Der Professor ließ sich Zeit mit einer Antwort. Er zog den Mundschutz vom Gesicht und zupfte die Haube vom Kopf.

      »Tja, was soll ich sagen …« Lutz sah hinüber zum Anästhesisten Klaiber, der ihm gefolgt war. Auch sein Gesicht sprach Bände.

      »Meine Güte!«, rief Dr. Norden händeringend. »Jetzt schaut doch nicht so. Sagt doch etwas!«

      Ein Lächeln zuckte um Lutz Krugs Mundwinkel.

      »Die Patientin lebt noch. Wenn es das ist, was Sie hören wollen.« Er klopfte Daniel auf die Schulter. »Keine Sorge, der Verlauf war optimal. Ich hoffe für Sie, dass wir Lennis schlechte Laune gleich mitentfernt haben.«

      »Das hoffe ich auch«, seufzte Dr. Norden und nahm seine ehemalige Haushälterin im Bett in Empfang. Er brachte sie höchstpersönlich in den Wachraum, stellte ihr Bett an seinen Platz, kontrollierte den Sitz