Patricia Vandenberg

Dr. Norden Box 10 – Arztroman


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      Während Dr. Norden auf seinen Patienten Urs Hansen wartete, telefonierte er mit seiner Frau Fee, die ihm ihr Leid klagte.

      »So schwach, wie Kevin ist, würde er einen solchen Eingriff nicht überleben.«

      »Aber was, wenn die Medikamente nicht anschlagen?«, stellte Daniel eine berechtigte Frage. »Immerhin hat auch das Antibiotikum nicht gewirkt, das er bekommen hat.«

      »Kein Wunder«, war Fee nicht um eine Antwort verlegen. »Das Antibiotikum war ja auch nicht auf diese Krankheit abgestimmt. Es gibt moderne Medikamente, mit denen ein Erfolg durchaus möglich ist«, verteidigte sie ihre Einstellung.

      Dr. Norden wiegte nachdenklich den Kopf, als sein Blick auf die Uhr auf seinem Schreibtisch fiel. Er wunderte sich, wo Urs so lange blieb, konzentrierte sich dann aber wieder auf das Telefonat.

      »In diesem Fall würde ich Mario zu Rate ziehen. Immerhin ist er Jennys Stellvertreter und muss eine Entscheidung treffen.«

      »Gut. Ich werde sofort mit ihm sprechen«, erklärte sich Fee mit dieser Lösung einverstanden und verabschiedete sich hastig von ihrem Mann.

      Daniel war gerade im Begriff, den Hörer aufzulegen, als Désis Schrei durch den Flur hallte und Mark und Bein erschütterte.

      Einen Moment lang blieb er sitzen und lauschte. Doch kein Laut drang mehr in sein Büro, und Daniel beschloss, nach dem Rechten zu sehen. Auf dem Flur begegnete ihm Danny.

      »Weißt du, was das war?«, fragte er seinen Vater.

      »Es klang nach Dési. Aber ich weiß nicht, was passiert ist.« Ein Verdacht war Dr. Norden gekommen, der so schrecklich war, dass er ihn lieber nicht laut aussprach.

      »Dann finden wir es heraus«, beschloss Danny, als ein leises Schluchzen über den Flur hallte, gefolgt von unterdrücktem Fluchen. Danny wandte den Kopf nach links und rechts. »Das kam von da drüben!«

      In diesem Moment kam Janine um die Ecke. Ihre Miene sprach Bände.

      »Dési … Sie wollte den Freigänger holen und zu Ihnen bringen«, stammelte sie und presste die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen. »Er hat im Behandlungszimmer 3 gewartet.«

      »Sag ich’s doch!« Danny wartete nicht länger und stürzte los, um die Ecke und ans Ende des Flurs, wo das kleine Zimmer lag, das in erster Linie für Infusionspatienten genutzt wurde. Als er die Tür aufriss, stockte ihm der Atem. »Lass sofort meine Schwester los!« Er wollte grimmig klingen. Doch seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

      Hinter ihm tauchten Janine und Dr. Norden auf. Mit einem einzigen Blick erfasste auch Daniel die Szene. Er sah die Klinge an der Kehle seiner Tochter, bemerkte den Arm, der ihre Brust umklammerte, die Hand, die sich auf ihren Mund presste. Er sah direkt in Urs’ Augen, in denen ein Ausdruck von Irrsinn lag. Die Medikamentenschachteln, die auf dem Boden verstreut waren, bemerkte der Arzt nicht.

      »Was soll dieser Blödsinn?«, fauchte Daniel und machte einen Schritt auf die beiden zu. »Lass sofort meine Tochter los!«

      Doch Urs war wie von Sinnen.

      »Zurück!«, befahl er und seine Stimme schnappte über. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und die Hand, mit der er die Schere an Désis Hals hielt, zitterte. »Sonst schneid ich ihr die Kehle durch!« Er drückte die Klinge fester auf die Haut. Dési konnte nicht schreien. Doch ihr unterdrücktes Stöhnen war schlimmer als alles, was Daniel je gehört hatte.

      »Bitte! Sie ist doch noch ein halbes Kind«, flehte Danny, der nicht von der Seite seines Vaters wich.

      »Na und?« Urs lachte.

      Danny atmete ein paar Mal tief ein und aus und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

      »Mach keinen Quatsch. Wir können doch über alles reden«, versuchte er sein Glück auf einer anderen Schiene.

      »Ich will aber nicht reden«, knurrte Urs. »Ich brauch Pillen.« Er nannte den Namen des Präparats. »Und kommt bloß nicht auf die Idee, mich reinzulegen«, warnte er.

      »Ich hol sie. Die Apotheke um die Ecke ist offen«, erklärte Janine, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.

      »Halt, so leicht kommt ihr nicht davon«, fuhr Urs fort. Während er Dési festhielt, hatte er Zeit genug gehabt, sich Gedanken darüber zu machen, wie es jetzt weitergehen sollte. »Ich will ein vollgetanktes Auto. Und eine Viertelmillionen Euro. Das sollte fürs Erste reichen.«

      »Aber das ist doch Wahnsinn!«, versuchte Daniel Norden, auf den jungen Mann einzuwirken.

      Schlagartig drückte sich die Klinge wieder fester an Désis Hals. Ihr unterdrücktes Schluchzen schnitt wie ein Messer in das Herz des Vaters, und jede ihrer Tränen war ein Tropfen seines Blutes.

      »Kein Wort mehr!«, zischte Urs. »Ihr habt genau eine Stunde. Dann ist die süße Kleine tot. Und jetzt raus hier!«

      Um seine Worte zu unterstreichen, zog er mit einem Ruck an Désis Kopf, dass es knackte.

      Das Wimmern seiner Tochter war mehr, als Daniel Norden verkraftete. Er schickte Dési einen verzweifelten Blick, in den er ein Versprechen legte. Das Versprechen, sie aus dieser Hölle unversehrt zu befreien. Koste es, was es wolle!

      »Keine Angst, Süße, dir wird nichts passieren!« Es war Danny, der dieses Versprechen laut aussprach.

      Antwort gab aber ein anderer.

      »Raus hier!«, schrie Urs noch einmal aus Leibeskräften.

      Diesmal kamen Daniel, Danny und Janine seinem Befehl nach und schlossen die Tür hinter sich.

      *

      Nachdem Felicitas Norden im Büro ihres Bruders angerufen und von Andrea Sanders, vertröstet worden war, hatte sie unverzüglich mit den Recherchen im Fall Trostmann begonnen. Wenn sie geahnt hätte, welches Drama sich in diesem Moment in der Arztpraxis abspielte, wäre sie nicht so ruhig an ihrem Schreibtisch gesessen. So aber beugte sie sich über die Unterlagen, die sie zu Tuberkulose und der wesentlich selteneren Neurotuberkulose gefunden hatte, und suchte nach nützlichen Hinweisen zur Behandlung dieser seltenen Form der Krankheit.

      »Meine Güte«, seufzte sie schließlich und klappte einen dicken Wälzer zu, in dem sie gelesen hatte. »Wenn Urs wirklich Tuberkulose hat, kann er froh sein, wenn sie sich nicht in andere Organe ausbreitet.« Sie zog das nächste Buch zu sich heran und schlug es auf. »Ich bin gespannt, was Dan feststellen wird.«

      Sie blätterte noch durch die Seiten auf der Suche nach dem richtigen Kapitel, als es klopfte. Sofort musste Fee an Volker Lammers denken und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Als sie aber Mario sah, der den Kopf durch die Tür steckte, lächelte sie.

      »Und ich dachte schon, mein Erzfeind kommt mich mal wieder besuchen…« Felictias lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

      Ihre Augen waren rot vor Anstrengung, und sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

      »Dieses Vergnügen hab ich dir abgenommen.« Mario Cornelius kam herein.

      Er schloss die Tür hinter sich, ehe er zu seiner Schwester kam und sich auf die Schreibtischkante setzte. Voll böser Vorahnung sah seine Schwester ihm dabei zu.

      »Sag bloß, er ist mir zuvorgekommen und hat dich heimgesucht?«

      »Wenn du es so nennen willst, dann ja. Daraufhin hab ich die Akte Trostberg kommen lassen. Außerdem war ich bei dem Jungen und hab ihn untersucht«, fackelte Mario nicht lange. »Und ich muss zugeben, dass auch mir die Entscheidung schwer fällt. Ich weiß nicht, welcher der richtige Weg ist.«

      Felicitas Norden traute ihren Ohren nicht. Sie rutschte ein Stück vor und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. Dabei ließ sie ihren Bruder nicht aus den Augen.

      »Ich bitte dich, Mario! Wenn du dir den Jungen angesehen hast, weißt du doch Bescheid. Er ist völlig apathisch und sehr schwach. Meiner Ansicht nach würde er eine Operation nicht überleben.«

      »Aber Lammers ist