Craig DiLouie

MIT ZÄHNEN UND KLAUEN


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Kopf geschossen hat – ein Polizist, der nicht einschreiten konnte, als sein bester Freund von rasenden Infizierten im seltenen Endstadium einer neuartigen Krankheit zerfetzt wurde. Deshalb würde ich sagen, im Augenblick ist alles möglich.«

       »Wir sind alle erschöpft.« Der Unteroffizier bläst erneut eine Rauchwolke in die Luft und drückt die Zigarre am Absatz seines Stiefels aus. »Wir hängen in den Seilen, aber davon ganz abgesehen: New York kam mir schon immer wie ein fremdes Land vor.«

       Der Lieutenant blickt ihn kurz an, bevor er in lautes Gelächter ausbricht.

       »Das bringt mich auf eine Idee«, entgegnet er schließlich. »Die Situation gebietet uns, dass wir die Stadt als feindlich betrachten, also tun wir es einfach. Wenn Ihre Streitkräfte isoliert auf feindlichem Terrain festsitzen und von einem sicheren Areal in ein neues Einsatzgebiet vorstoßen müssen – was tun Sie dann zuallererst?«

       Kemper lächelt unvermittelt. »Auskundschaften«, antwortet er.

       »Richtig. Bevor wir hier verschwinden müssen, haben wir gerade noch genügend Zeit, um eine Aufklärungsmission zu lancierten. Vielleicht stoßen wir dabei auf Antworten, die wir brauchen, um zu verstehen, womit wir es hier zu tun haben.«

       »Sehr gut«, befindet Kemper. Das ist der Todd Bowman, den der Platoon Sergeant im Irak zum Kommandanten ausgebildet hat, und es tut gut, ihn wieder bei sich zu wissen. »Ich kenne genau die richtigen Männer für diesen Auftrag.«

      Eine Pistole könnten wir aber auch gebrauchen

      Der Morgen bringt leichte Abkühlung und einen Hauch von Frische mit sich. Die Fenster der höheren Gebäude glänzen unter den ersten Lichtstrahlen des Tages. Mehrere Häuser im Umkreis der gestrigen Explosion qualmen noch, und als der Wind kurzzeitig dreht, rieselt Asche herab, während sich der beißende Geruch verbrannter Möbel ausbreitet. Die Kameraden prüfen ihre Rucksäcke, stocken ihre Munition auf und husten in ihre Fäuste: Vorbereitungen zum Abmarsch.

       Das Zweite Platoon ist erschöpft. Man verbrachte Stunden damit, das Krankenhaus zu räumen und die Schweinerei zu beseitigen. Überschaubare Gruppen Infizierter attackierten den Stacheldrahtzaun im Laufe der Nacht wiederholt und mussten niedergeschossen werden. Ihre Leiber blieben bis zum Morgengrauen im Freien zwischen den Autowracks liegen.

       Während des Aufbruchs macht das Gerücht die Runde, man werde für seine Taten zur Rechenschaft gezogen – auch der Lieutenant – und exekutiert.

       Die Jungs haben im Irak gekämpft und kennen ihre Pflichten, ließen sich aber rekrutieren, um die Bösen umzulegen und keine Landsleute. Das, was sie jetzt tun, kommt ihnen nicht richtig vor. Sie fühlen sich wie Kriegsverbrecher, egal was die neuen Einsatzregeln besagen. Einige haben die Nase gestrichen voll, sind sogar bereit, den Dienst zu quittieren und zu ihren Lieben zurückzukehren. Andere suchen jemanden, dem sie die Schuld geben können. Die Atmosphäre ist heikel. Die Unteroffiziere nehmen sie wahr und greifen umso rigoroser durch, um die Jungs auf Trab zu halten, nicht ohne auf mögliche Anzeichen von posttraumatischer Belastungsstörung zu achten.

       Im Eingangsbereich verabschiedet sich der Lieutenant vom Leiter des Krankenhauses und dem Cop. »Tut mir leid, dass wir nicht bleiben und anhaltende Hilfe leisten können«, betont Bowman gegenüber Dr. Linton, der über Nacht um zehn Jahre gealtert zu sein scheint. »Wie werden Sie weiter vorgehen?«

       »Wir bleiben, wo wir sind, Lieutenant«, übernimmt Winslow für den Arzt. »Ich werde gemeinsam mit dem Doktor versuchen, den Laden am Laufen zu halten und zu einer Genesungsklinik umzugestalten.«

       »Wir haben noch eine Menge Lebensmittel und Wasser, Benzin und einen Generator«, sagt Linton, ehe er sich höflich räuspert. »Eine Pistole könnten wir aber auch gebrauchen.«

       »Sind Sie sicher, Sir?«

       »Das bin ich.«

       Bowman reicht Winslow seine Glock 19. »Ich lasse Ihnen die Waffen inklusive Munition zurückgeben, die wir von Ihren, äh … Leuten eingesammelt haben, Sir«, verspricht er dem Polizisten.

       »Danke, Lieutenant«, erwidert dieser mit bedrückter Miene.

       »Also dann, viel Glück für Sie beide. Sie sind sehr mutig.«

       Mutig und todgeweiht, denkt er insgeheim.

       Ein Psycho-Bulle mit ein paar Handfeuerwaffen ist außerstande, ein großes Hospital vor einem Mob zu verteidigen, der Gewalt anwenden wird, um sich Zugang zu verschaffen und medizinische Hilfe einzufordern. Dieser oder Junkies, die ihren nächsten Schuss brauchen, werden den beiden den Garaus machen.

       Könnte sein Platoon an Ort und Stelle bleiben, wären sie alle weiterhin sicher und würden zu Ende bringen, was Sie begonnen haben. Befehl ist aber leider Befehl.

       »Irgendjemand muss überleben, Lieutenant«, konstatiert Winslow.

       Bowman runzelt die Stirn zu dieser seltsamen Bemerkung. Nachdem er seine Feldmütze aufgesetzt und salutiert hat, verlässt er das Trinity Hospital, ohne sich noch einmal umzudrehen.

       Die Soldaten sitzen mit ihrer Ausrüstung draußen auf der Erde, säubern die Waffen und kauen Notrationen. Sie blicken so erwartungsvoll wie ängstlich zu ihrem Lieutenant auf, sagen jedoch nichts. Tatsächlich ist ihr Schweigen das Erste, was Bowman auffällt, nachdem er aus dem Gebäude kommt. Die Jungs sind völlig diszipliniert; keine Spur von der üblichen Kraftmeierei oder gegenseitigen Kniffen in den Hintern heute Morgen. Alle versuchen, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie sie gehandelt haben.

       Bowman wird sie im Laufe des Tages zu einer Mittelschule im Nordwesten der Stadt führen, die zur Lyssa-Klinik erkoren wurde, im gegenwärtigen Einsatzgebiet des Ersten Platoons liegt und als Hauptquartier von Kompanie Charlie fungiert. Die Entfernung dorthin beträgt über eine Meile. Da sie keine Transportmittel haben, müssen sie marschieren.

       Der Lieutenant nickt Sergeant McGraw zu und fragt leise: »Alles okay?«

       »Wir kommen klar, Sir«, antwortet der Führer des ersten Zugs.

       »Finden Sie Private Mooney und Private Wyatt und schaffen Sie sie her, Sergeant.«

       »Sofort, Sir.«

       Kemper tritt heran und salutiert.

       Bowman erwidert die Geste.

       »Guten Morgen, Sir.«

       »Wie steht's, Mike?«

       »Alle anwesend, außer Private Boyd. Er wird immer noch vermisst.«

       »Tja, wir haben das Krankenhaus gestern Nacht gründlich durchsucht, also müssen wir davon ausgehen, dass er sich über den Zaun geschlagen hat und desertiert ist. Machen wir einen Spaziergang und sehen uns an, was es zu sehen gibt.«

       Sie umgehen den Stacheldraht und besteigen das Dach eines liegen gebliebenen Autos, um sich einen besseren Ausblick auf die First Avenue zu verschaffen. Bowman benutzt wieder das Reflexvisier an seinem Gewehr, Kemper ein Fernglas Marke Vortex Viper. Richtung Norden ist die Straße mit verlassenen Fahrzeugen verstopft, so weit das Auge reicht. Qualm wabert wie ein Leichentuch über der Szene, was die Sicht drastisch einschränkt. Einige Vehikel brennen, sodass dicker, rußiger Rauch hervorquillt. Menschen entdecken sie nicht. Fernab donnern Schüsse. Ein eindringliches, brachiales Geräusch. Bowman läuft es eiskalt den Rücken hinab.

       »Sehen wir mal von dem Geballer ab, scheint es heute Morgen relativ ruhig zu sein«, bemerkt der Platoon Sergeant.

       »Stimmt. Keine Sirenen, kein Verkehr, und was dies betrifft, sehe ich auch keine weiteren Hilfsbedürftigen, die ins Krankenhaus wollen. Richtig unheimlich.«

       »Ich würde liebend gern wissen, wo all die Leute abgeblieben sind, die in diesen Fahrzeugen saßen. Es sieht so aus, als habe gestern Nacht gleich vor diesen Straßensperren eine Schlacht stattgefunden. Vielleicht trifft eine Ihrer jüngsten Äußerungen den Nagel auf den Kopf, Sir.«

       »Worauf beziehen Sie sich, Mike?«

       »Gut möglich, dass wir in einer Folge von Twilight Zone gelandet sind.«

       Hinter ihnen traben Mooney und Wyatt in voller Montur herbei, gefolgt von McGraw.

       »Sir, Private Mooney meldet gehorsamst!«