Craig DiLouie

MIT ZÄHNEN UND KLAUEN


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»Wie geht es Ihnen, Sir? Ist es schlimm?«

       »Heute ein bisschen besser, danke. Mein Fieber ist gesunken, aber ich könnte etwas Wasser …«

       Sie fahren erneut zusammen, als vor dem Gebäude kleinkalibrige Schüsse losgehen. Vorsichtig treten die Soldaten ans Fenster und spähen durch die geschlossenen Läden. Tief unten sehen sie Mündungsfeuer. Gruppe 3 nimmt jemanden aufs Korn.

       »Was zum Henker?«, fragt Wyatt.

       »Oh Gott!«, ruft Mooney und rennt aus dem Zimmer.

       Wyatt stürzt hinterher und holt ihn ein, als er in sich in einen Papierkorb übergibt.

       »Ich habe es eingeatmet«, japst Mooney, während er ausspuckt und versucht, wieder Luft zu bekommen. »Ich vergaß eine Sekunde lang, mir die Nase zuzuhalten. Das war das Ekelhafteste, was ich je gerochen habe. Heiliger Strohsack, das stank wie eine verwesende Leiche.«

       »Alter, zieh die Maske wieder an, bevor du dir was einfängst«, rät Wyatt nervös.

       »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, ruft der Patient aus dem dunklen Zimmer.

       »Lassen Sie mich nicht alleine, ja? Könnte ich etwas Wasser haben, bitte?«

       »Hey, sieh mal.«

       Wyatt zeigt auf den Boden. Eine Blutspur beginnt kurz vor ihnen und führt zu einer Doppeltür zehn Meter weiter. Sie ist verschmiert, als habe jemand einen mit Blut vollgesogenen Wischlappen bis durch die Tür gezogen.

       »Mach keinen Scheiß, Mann«, sagt Mooney, als sich Wyatt der Tür nähert. Wir sollten zurückkehren, denkt er. Falls Gruppe 3 draußen kämpft, zählt McGraw die Männer bestimmt durch. In diesem Augenblick wird er sich wahrscheinlich in blinde Raserei hineinsteigern, da er seine unerlaubt abkömmlichen Schützen nicht findet, seinen breiten Schnauzbart mit der Unterlippe bearbeiten und mit den Backenzähnen knirschen, die in seinem kantigen Kiefer stecken. Mooney hegt keinerlei Interesse daran, was sich hinter der Tür befinden mag. Wie hat sich der Kerl vorhin ausgedrückt? Schrecklich nannte er es – das Geschrei sei schrecklich gewesen, wie von einem Tier auf der Schlachtbank.

       »Wir verziehen uns besser«, drängt Mooney. »McGraw liest uns sonst die Leviten.«

       Wyatt grinst. »Ich schau nur kurz nach. Kumpel, hier geht’s ab wie in einem Spukhaus. Mal sehen, ob uns Zombies hinter der Tür auflauern.«

       Er betätigt einen Wandschalter mit der flachen Hand. Die Türflügel öffnen sich automatisch.

      Aus der Leitung, verflucht

      Jake Sherman, der Funker des Platoons, der auch für Telefonate zuständig ist, sitzt in der Kammer eines Hausmeisters und hat die Füße auf eine Kiste mit billigem Toilettenpapier gelegt. Er schluckt ein Päckchen löslichen Kaffee, den er mit Kakaopulver vermischt hat, und kippt Red Bull zum Herunterspülen nach, während er den Militärfunk abhört. Nach zu vielen schlaflosen Nächten im Irak blieb er am Koffein hängen und konnte die Gewohnheit, sich im Dienst nach allen Regeln der Kunst damit zu berauschen, bislang nicht wieder ablegen.

       Flug Blackhawk, hier War Pig Three gleich unter Ihnen. Wie lautet Ihr Rufzeichen?

       War Pig Three, hier Red Baron Two.

       Red Baron Two, bitten um Kontrollflug östlich von uns, ungefähr drei Blocks. Lärmaufkommen aus dieser Richtung, eventuell Feuergefecht im Gange. Was geht dort vor sich? Bestätigen, over.

       Warten, over … War Pig Three, wir sehen mehrere … äh, geschätzt 50 Zivilisten an einer Kreuzung drei Blocks nördlich und zwei östlich von Ihnen. Break. Anhaltender Tumult. Break. Einige bewaffnet. Break. Sie scheinen gegeneinander zu kämpfen, over.

       Roger und danke für Ihre Augen, Red Baron Two, Ende. Dann ist die Aufregung vorbei, und der Funkverkehr verfällt wieder in den nächtlichen Trott: Einheiten, die sich über ihre Standorte, Verfassung und Versorgung austauschen, sowie alle anderen Arten banaler Kommunikation, derer es bedarf, um zwei Brigaden der Infanterie am Boden von New York aufrechtzuerhalten. Sherman schaltet vom Kanal der Kompanie zum Bataillon und verfolgt dessen Geplapper. War Pig von Kompanie Delta verbreitet die Nachricht von den Ausschreitungen weiter. War Hammer aus der Kompanie Alpha fordert einen Rettungshubschrauber für einen Grenadier an, dem ein Lyssa-Opfer ein Ohr abgebissen hat, und Warmonger von Bravo bittet den letzten Rufteilnehmer darum, seine Identität zu verifizieren. Dann wechselt er ins Zivilfunknetz, um mehr über den Aufstand herauszubekommen. Die Oberen haben aufgrund des extremen Ausmaßes der Krankheitswelle mehr Frequenzen als üblich freigeschaltet, also stehen ihm alle zur Verfügung. Die Polizei weiß von dem Kampf, kann aber nicht genügend Einsatzkräfte aufbringen, um zu intervenieren. Ferner brennt eine Lagerhalle in Queens, wo zu wenige Feuerwehrleute bereitstehen, um auf die Mitteilung zu reagieren. Die Behörden sind mit Anzeigen wegen öffentlicher Ruhestörung und Plünderung überfordert. Berichten zufolge kam es in Lyssa-Kliniken zu Gewaltausbrüchen, wobei eine der Kliniken offensichtlich mit Molotowcocktails in Brand gesetzt wurde. Obwohl man mehrere Hauptverkehrsadern in der Stadt nur für offizielle Fahrzeuge abriegelte, lag der Verkehr praktisch überall lahm. Sherman lacht in sich hinein. Die Stimmen wirken zwar beklommen und angespannt, doch selbst die Ankündigung der Apokalypse klänge per SINCGAR übertragen wahrscheinlich wie der Hinweis auf einen logistischen Schnitzer. Mit einem Blick auf seine Armbanduhr schaltet er zurück auf den Kanal der Kompanie, um die Verbindung zum Kommandanten zu prüfen. Er hört: War Dogs Two, War Dogs Two, hier War Dogs. Bestätigen Sie, over. Sherman erkennt die Stimme des Sprechers wieder. Es ist Doug Price, der Funker von Captain Price. Er schaltet sich ein, während er Kakaopulver kaut: »War Dogs, hier War Dogs Two. Bestätige, over.« War Dogs Two, Nachricht folgt, over. Er nimmt einen kleinen Notizblock mit Stift zur Hand. »Roger. Erwarte Nachricht, over.« War Dogs Two, schicke ›Nirv…‹ Sherman versteht einen Moment lang nichts, da im Hintergrund Männer brüllen und ein Knall ertönt, als habe jemand einen Gewehrschuss abgegeben. »Kontakt negativ, War Dogs. Bitte wiederholen, over.« Schicke ›Nirvana‹. Bitte bestätigen, over. »Verstanden diesmal, War Dogs. Melde ›Nirvana‹. Warten Sie, over.« Er will ›Nirvana‹ in seiner Codetabelle suchen, einem Spickzettel für Routinefunksprüche, die verschlüsselt werden müssen, findet sie aber nicht, also kramt er das Einsatzcodebuch hervor und schlägt das Wort darin nach. Es bedeutet: Einheit wird angegriffen. Sherman verschluckt sich am Kakaopulver. Nachdem er noch einen Schluck Red Bull getrunken hat, um den Hals freizubekommen, steckt er sich eine Zigarette an und überlegt kurz. Wer wäre dämlich genug, einen Zug schwerbewaffneter US-Infanteristen mitten in der Nacht in Manhattan hochnehmen zu wollen? Dennoch hat er sie gerade gehört, eine authentische Nachricht des Oberbefehlshabers der Kompanie, der meldet, ihr Hauptquartier und das Erste Platoon würden attackiert. Er erwidert: »Roger, War Dogs.« War Dogs Two, hier War Dogs. Zweite Nachricht folgt, over. »Bin bereit zum Empfang, over.« Melde ›Motörhead Slayer November Sierra Oscar November‹, over. »War Dogs, bestätige ›Motörhead Slayer November Sierra Oscar November‹«, wiederholt Sherman und schreibt die Worte zugleich auf seinen Block. »Warten Sie, over.« Er schlägt den Code nach und übersetzt: Sammeln an unserem Standpunkt um null-siebenhundert. Der Lieutenant muss umgehend davon erfahren. »Roger, War Dogs. Stand-by. Warten Sie, Ende.« Jake? Jake, bist du noch da? Sherman erstarrt einen Moment lang, weil er nicht weiß, wie er auf diesen Verstoß gegen das Kommunikationsprotokoll reagieren soll. Letzten Endes antwortete er aber: »Klar, Doug. Bin dran.« Seid vorsichtig, wenn ihr herkommt, klar? Es sind Tausende. »Tausende wer?« Jemand hat uns belogen, Jake. Das Funkgerät fiept, sodass er schmerzhaft das Gesicht verzieht. War Dogs, hier Quarantäne. Aus der Leitung, verflucht.

      Einen Platz finden, an dem wir ausharren können, während die Welt den Bach runtergeht

       »Da wären wir.« Susan zeigt auf eines von mehreren Apartmenthäusern, die noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammen. »Hier wohne ich.«

       »Hab keine Angst«, sagt Boyd und bemüht sich um einen tapferen Gesichtsausdruck. Warum er sich selbst so sehr fürchtet, begreift er nicht. Er ist ein Soldat; er hat Menschen sterben sehen und sogar selbst ein paar umgebracht. Na ja, wenigstens in einem Fall ist er sich ganz gewiss. Er hat Stutzen gesichert und geladen, sollte sich also keine Sorgen wegen eines mordlustigen,