Craig DiLouie

MIT ZÄHNEN UND KLAUEN


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»Im Ernst? Wir befinden uns hier mitten in einem Kriegsgebiet.«

       »Du willst 30?«

       Während McLeod seine Push-ups zählt, sieht Hicks durch sein Reflexvisier. Er fixiert den roten Punkt zur leichteren Zielerfassung in der Mitte des Sichtfeldes. Die Glimmspurmunition zeichnet Lichtstreifen über den Motorhauben der Autos, die im dicht gedrängten Verkehr dahinkriechen, und über den Köpfen der dazwischen herlaufenden Menschen. Da Hicks nicht in der Lage ist, durch Wände zu sehen, kann er weder den Urheber dieses Metallregens ausfindig machen, noch auf wen der Regen niedergeht. Die Entfernung beträgt nur wenige Hundert Meter. Trotz dieser Nähe fühlt er sich isoliert und weiß kaum zu erahnen, was vor sich geht. Er fragt sich, wo all die dicken Geschosse landen. Projektile mit einem Durchmesser von einem Zentimeter besitzen eine Reichweite von bis zu vier Meilen. Sie durchschlagen Karosserien und auf nahe Distanz auch Betonmauern. Was erst würden sie einem Menschen antun?

       »Sechs … Sieben …«

       Der Beschuss hört auf, nach wenigen Sekunden nur. Irgendjemand muss im großen Stil Mist gebaut haben, wahrscheinlich ein unerfahrener Rekrut in einem Geländewagen, der Angst bekam. Hicks hofft, dass niemand getötet wurde.

       Aber besser ihr als ich, denkt er dann.

       Gerade, als er die Waffe wieder herunternehmen will, bemerkt er am äußeren Rand des Sichtfelds ein Pärchen. Er fokussiert das Visier auf die beiden, einen Mann mittleren Alters in Boxershorts und eine Teenagerin, deren T-Shirt bis zu ihren Knien reicht. Sie glotzen hohl drein und legen jene seltsame Eigenart an den Tag, unterschwellig fahrig den Kopf kreisen zu lassen, wie es fast jeder mit dem Lyssa-Erreger im Leib tut, was Hicks immerzu einen Schauer über den Rücken jagt. Sie halten ihre Fäuste geballt vor der Brust, starren zu ihm herüber und öffnen ihre Münder, ziehen dann jedoch in die Richtung davon, aus der die MG-Schüsse kamen.

       Hicks spricht leise mit sich selbst: »Und wer hat all die Tollwütigen, die hier herumrennen, von der Leine gelassen?«

       Wenn wir eines nicht brauchen, denkt er, dann noch so eine Horde, die sich gegen uns auflehnt und dabei Kugeln einfängt. Nie mehr würde er diese Erfahrungen vergessen können.

       Das MG dröhnt abermals los.

       »Ich frage mich allmählich, ob wir den Irak überhaupt je verlassen haben«, wirft McLeod ein, ehe er wieder mit dem Zählen der Push-ups fortfährt.

      Alles wird glimpflich verlaufen, Sir, solange wir in Bewegung bleiben

      Die gepanzerten Geländewagen rasen unter der Leitung von Second Lieutenant Todd Bowman die Haifa Street hinauf. Es stinkt intensiv nach brennendem Müll und Abgasen. Die Männer im ersten Fahrzeug nicken im Takt zum Dope-Song Die Motherfucker, Die, der so laut durch die Boxen dröhnt, dass man ihn in den Moscheen hört. Im vergangenen Jahr stand die irakische Regierung kurz vor der Auflösung, weshalb die Army die Städte erneut besetzte, um sie zu stützen, was jedoch in einem Krieg, der kein Ende zu finden schien, eine neue Generation von Märtyrern, Fußsoldaten und wahnsinnigen Bombenattentätern auf den Plan rief.

       Die Stimmung auf den Straßen unterliegt einem steten Wandel, aber Bowman, für den Land und Führungsstab gleichermaßen neu sind, ist nicht darauf vorbereitet, wie viel Hass ihm hier tagtäglich entgegenschlägt. Er springt ihn von den Fassaden der Hochhäuser an, die nach jahrelangem Konflikt von Schüssen durchsiebt sind. Die Straßen selbst verrufen ihn als Ungläubigen; das bloße Mauerwerk bedroht ihn mit dem Tod.

       »Feindkontakt rechts!«

       Die Rakete zischt am Kühler seines Wagens vorbei und schlägt in einen geparkten Kleinbus ein, der explodiert. Metall wirbelt in formlosen Fetzen gegen seine Windschutzscheibe, prallt mit einem erschütternden Knirschen ab und lässt wie Spinnweben verlaufende Risse im Glas zurück. Kemper, der am Steuer sitzt, pfeift durch die Zähne, nimmt die Stoßwirkung jedoch ansonsten hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Auf so etwas wurde Bowman im Trainingskorps für Reserveoffiziere nicht vorbereitet. Kleinkalibrige Schüsse schwirren und peitschen durch die Luft, während die Maschinengewehre auf den Geländewagen die Wände der Gebäude in der Umgebung beharken. Leuchtspurgeschosse blitzen vorüber. Die Krone einer Palme zerplatzt, Granatsplitter prasseln mit brennendem Laub auf ihre Frontscheibe.

       Bowman, der die Augen weit aufgerissen hat und vor lauter Schreien heiser wird, zwingt sich nun zur Beruhigung. Seine Männer bauen darauf, dass er sie leitet, und er will sie auf seiner ersten Mission nicht hängen lassen. Sie müssen anhalten und dazu übergehen, gezielt auf die Posten der Aufständischen zu feuern. Gerät man in einen Hinterhalt und kann nicht entkommen, greift man an.

       Er beginnt, die Tasten seines Funkgeräts zu betätigen, als sich Kemper umdreht, ihm zuzwinkert und sagt: »Alles wird glimpflich verlaufen, Sir, solange wir in Bewegung bleiben.«

      Die Cops gehen nicht ans Telefon

      Bowman öffnet blinzelnd die Augen und blickt sich mit einem Anflug von Panik im Büro des Gebäudetechnikers um. Hat er geträumt? Einen Moment lang dachte er … dann hört er ein Geräusch. Ein Klopfen? Er nimmt das Summen von Maschinen im Untergeschoss des Krankenhauses wahr.

      Vor der Tür tuscheln Stimmen.

       »Herein«, sagt er.

       Kemper betritt den Raum, der nur dürftig von einer einzelnen Schreibtischlampe erhellt wird, gefolgt von den Gruppenführern. Bowman erwartet sie, da er ein Meeting einberufen hat. Die Gerüche im Büro – Schweiß, abgestandener Kaffee und getragene Klamotten – werden strenger.

       »Nehmen Sie sich Stühle, Gentlemen«, bittet der Lieutenant und reibt sich die Augen. »Sicher, Pete, schieben Sie das ruhig aus dem Weg. Ah, der Kaffee ist zwar nicht frisch, aber noch heiß, falls Sie welchen möchten.«

       Ruiz bleibt grinsend stehen und greift zur Kanne. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir.« Seine Truppe bewacht den Stacheldrahtzaun für den Rest der Nacht, bis sie um null-sechshundert abgelöst werden.

       Bowman räuspert sich, ehe er losspricht: »Meine Herren, die Lage hat sich verändert – abermals. Genauer gesagt ist sie gerade ungewiss.«

       Verwirrte Blicke über ihren Atemschutzmasken. »Sir?«

       »Vor etwa einer halben Stunde suchte mich der Funker auf«, berichtet Bowman. »Er hatte Interessantes zu vermelden, von Nachrichten, die er über Funk abhören konnte. Gentlemen, in unserem Zuständigkeitsbereich stehen Einheiten unter zivilem Beschuss.«

       Die Sergeants kneifen argwöhnisch die Augen zusammen.

       »Sicher, Sir?«

       »Captain West hat es bestätigt.«

       »Koordinierte Angriffe?«

       Bowman verneint. »Sie schlagen völlig willkürlich zu.«

       »Aber was wollen sie damit erreichen?«, fragt McGraw. »Haben Sie es auf Lebensmittel und einen Impfstoff abgesehen, oder … na ja … ist es gegen die Regierung gerichtet?«

       Bowman sieht ihm rundheraus in die Augen. »Wir waren eine der Einheiten, die attackiert wurden.«

       Ihnen verschlägt es die Sprache – Männern, die kaum etwas überrascht, doch nun haben sie begriffen, dass die Übergriffe von Lyssa-Opfern ausgehen, die Symptome der Tollwut an den Tag legen, und dies verblüfft sie.

       »Wir wurden attackiert?«, wiederholt McGraw langsam.

       »Genau, Sergeant. Wir wurden attackiert.«

       »Von unbewaffneten Amerikanern? Amerikanischen Zivilisten? Kranken Menschen?«

       Bowman wendet sich den anderen Sergeants zu.

       »Wie ich schon sagte: Die Lage wandelt sich.«

       McGraw schüttelt den Kopf.

       »Sir …«

       »Pete, vielleicht sind Sie der Ansicht, Ihre Männer müssten geradestehen für die Vorfälle heute am Zaun. Das finde ich nicht. Captain West stimmt mir dahin gehend zu. Wie auch immer Sie darüber denken mögen, obliegt es Ihnen allein, die Scharte auszuwetzen.«

       McGraw schiebt die Unterlippe über seinen Schnurrbart und brummelt: »Jawohl, Sir.«