Craig DiLouie

MIT ZÄHNEN UND KLAUEN


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die sich quasi in durchgeknallte Zombies verwandelt haben, ist etwas Neues und war nie Bestandteil seines Trainings. Statt sich zu konzentrieren, fesselt ihn nun ein Gedanke, den er vor Kurzem aufschnappte. Demnach könnten die Laute der Tollwütigen der Verständigung dienen, bloß dass ihr Sprechapparat teilweise gelähmt sei und nur dieses spukhafte Gurgeln hervorbringe. Er bekommt diesen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf und fragt sich, was sie ihm mitteilen wollen.

       Eine Meute junger, muskulöser Asiaten in Achselhemden und Jeans schält sich aus dem Dunkel und fällt mit Metallrohren sowie Baseballschlägern über die Teenies her. Sogleich brechen die beiden unter den Schlägen zusammen, doch abgesehen davon, dass ihre Turnschuhe über den Asphalt scharren, während sie sich winden und zappeln, geben sie keinen Ton von sich, bis sie tot sind. Boyd hört Knochen brechen, als die Hiebwaffen treffen, und ein Klirren auf dem Straßenbelag, wenn sie die Leiber verfehlen.

       »Um Gottes willen«, ringt er sich ab. Ihm ist hundeelend.

       Einer der Jungen richtet sich auf und blickt in ihre Richtung.

       »Sei still«, zischt Susan neben ihm.

       »Warum? Sie sind nicht infiziert.«

       »Ich bin diesen Typen schon einmal begegnet«, flüstert sie. »Mit ihnen ist nicht zu spaßen.«

       Nach der Bluttat zieht die Bande wortlos weiter.

       »Los, Rick«, drängt Susan mit einem Seufzer. »Wir sind gleich da.«

      Auch im Krieg gibt es Regeln

      In Bowmans Kommandozentrale, dem Büro des Gebäudetechnikers, empören sich die Unteroffiziere über veränderte Einsatzregeln.

       Der Lieutenant erklärt: »Sie sind nun befugt, mit tödlicher Gewalt gegen jeden Zivilisten vorzugehen, der sich gegenüber Mitgliedern dieser Einheit bedrohlich zeigt, selbst wenn er unbewaffnet ist.«

       Daraufhin brausen alle auf.

       »Die Order kommt direkt von der Bataillonsspitze, vermutlich auch von der Einsatzleitung Quarantäne und dem Kommandanten persönlich.«

       Auch im Krieg gibt es Regeln. Einsatzregeln werden von Befugten des Führungsstabs formuliert, um ausgehend von bestimmten Umständen festzulegen, ob und inwieweit Militäreinheiten Gewalt anwenden dürfen. Solche Bestimmungen sollen außerdem gesetzlichen Grundprinzipien entsprechen.

       Der Lieutenant streicht sich übers stoppelige Haar. »Gentlemen, ich bin offen gestanden nicht sicher, was ich davon halten soll, und höre mir gern Ihre Vorschläge an.«

       Kemper wirft ihm einen strengen Blick zu.

       »Das ist illegal«, unterstellt McGraw. »Wir brauchen keiner Order zu folgen, die gegen das Gesetz verstößt.«

       »Angenommen, wir reichen die neuen Einsatzregeln nicht an die Männer weiter«, schlägt Lewis vor. »Was geschieht dann, wenn wir angegriffen werden? Wie verteidigen wir uns und mit welchen Mitteln?«

       »Ich schieße nicht auf amerikanische Staatsbürger«, stellt McGraw mit rot glühendem Gesicht klar. »Ich habe unter Eid geschworen, sie zu beschützen, nicht abzuschlachten, verdammt – selbst die beschissenen Hippies.«

       »Also lassen wir zu, dass die Tollwütigen auf uns losgehen, uns kalt- oder krankmachen«, schlussfolgert Lewis. »Sieht so Ihre Einsatzregel aus?«

       McGraw grunzt abschätzig. »Von wie vielen Leuten sprechen wir hier? Mit einigen wenigen auf einmal kommen wir klar, ohne dass jemand dabei draufgeht. Tollwütig werden ja nicht allzu viele; das geschieht relativ selten.«

       »Falls das stimmt«, entgegnet Ruiz, »würde ich gerne wissen, woher all die Berichte über Tollwütige stammen, die Einheiten der Army angreifen.«

       Darauf kann ihm niemand eine Antwort geben.

       »Ich meine, haben Sie sich nie gefragt, weshalb die USA ihre Streitkräfte aus nahezu jedem Winkel der Welt abzieht? Wir unterhalten – wie viele? – über 700 Stützpunkte, allein über 250.000 Soldaten im Ausland? Lassen Sie sich das mal durch den Kopf gehen. Mittlerweile sind sie fast alle zurückgekehrt.«

       »Man enthält uns etwas vor«, glaubt Lewis. »So viel steht verflucht noch mal fest.«

       »Worauf Sie Gift nehmen können.«

       »Wir überblicken die Lage nur in arg beschränktem Umfang«, sagt Bowman.

       »Was geschieht später, Sir?«, fragt Ruiz. »Gesetzt den Fall, wir erschießen ausschließlich Menschen, an deren Absicht, uns umzubringen, nicht der Hauch eines Zweifels besteht – wie wird es uns ergehen, wenn die Pandemie vorüber ist? Müssen wir uns dann wegen Mordes vor Gericht verantworten? Könnte man uns den Prozess machen?«

       »Die sterben sowieso«, wirft Lewis ein.

       »Ich möchte verbindliche Garantien«, beharrt Ruiz, »was den rechtlichen Aspekt betrifft.«

       »Wenn ich also sage, sie versuchen, uns zu töten, sollte es uns erlaubt sein, ihnen zuvorzukommen. Man kann nicht die gesamte Army vors Kriegsgericht zerren, oder?«

       »Ich erschieße niemanden«, beharrt McGraw. »Es geht nicht darum, dass wir uns dem Befehl widersetzen, sondern um die Frage, ob wir dem Captain überhaupt sagen, dass wir es als klare Ansage für diejenigen am oberen Ende der Befehlskette tun.«

       »Wir können nicht die einzige Einheit sein, die sich weigert, auf Kranke zu schießen«, glaubt Ruiz.

       »Die Zeiten sind brenzlig«, sagt Lewis. »Ich würde der Obrigkeit nicht mit stolzgeschwellter Brust erklären, dass ich ihre Befehle nicht ausführe, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

       »Ist überhaupt vorgesehen, dass wir hier sind?«, gibt Ruiz zu bedenken. »Widerspricht es nicht bereits dem Gesetz, dass das Militär seine Waffen auf die Bürger in den eigenen Städten richtet? Sie kennen das Posse-Comitatus-Gesetz.«

       »Wir spielten diese Art von Notstand im Inneren durch, bevor wir in den Irak aufbrachen«, erinnert sich Lewis. »Weshalb hätte man dafür Sorge getragen, wenn nicht aus dem Grund, dass wir uns dieses Training jetzt zunutze machen?«

       »Ach ja? Und wo bitte sind die nicht-tödlichen Waffen?«

       Lewis sucht Kempers Blick. »Gib mir hierbei Rückendeckung, Pops.«

       Der Angesprochene würde sie alle am liebsten zusammenstauchen und darauf stoßen, dass sie Profis sind, also den Mund halten und auf den Lieutenant hören sollen. Doch Bowman regt sich nicht, sondern sitzt mit offenem Mund da, wenn er nicht gerade vor sich hinbrummelt, die ganze Sache ergebe keinen Sinn. Falls nur drei bis fünf Prozent der Betroffenen Tollwutsymptome äußern und innerhalb einer Woche sterben, wie können sie dann eine so große Bedrohung darstellen? Egal zu welchem Zeitpunkt – auf mehr als 10.000, höchstens 15.000 in ganz Manhattan kann es nicht hinauslaufen. Zugegeben, dies ist eine beträchtliche Menge, aber sie sind weit verstreut.

       Wie kann es so viele Tollwütige geben?

       Kemper zweifelt plötzlich daran, dass der Lieutenant sie alle unversehrt durchbringt. Nachdem sie ein Jahr lang gemeinsam im Irak gedient haben, empfindet er diese Vorstellung als Treuebruch, und das beunruhigt ihn. Zudem muss er feststellen, dass er mit Lewis übereinstimmt: Die Army verheimlicht ihnen etwas Wichtiges. Wie der Lieutenant deutlich machte, sind ihre Kenntnisse über den Stand der Dinge sehr, sehr beschränkt, und Kemper überlegt nun, wie teuer es sie zu stehen kommen wird, sobald die Rechnung fällig ist.

      Das Ekelhafteste, was ich je gerochen habe

      Private First Class Jon Mooney liegt im Dunkeln auf seiner Pritsche und kann nicht schlafen. Er ist unruhig, starrt vor sich hin und hat einen trockenen Mund, nachdem er Tag und Nacht mit einer Grippemaske herumgelaufen ist. Immer wieder spielt sich die Erschießung vor seinem geistigen Auge ab: Taten Sie das Richtige? Den Anblick des Tollwütigen, der sich im Stacheldraht verstrickt kreischend in seinem eigenen Blut wälzte, bekommt er nicht aus dem Kopf.

       Seine Kameraden von Gruppe 1 schnarchen leise ringsum. Collins lallt unverständlich im Schlaf, überwiegend zusammenhangloses Zeug, das allerdings mit der Frage »Brathähnchen?« und einem rauen Kichern endet. Jemand anderes lässt einen fahren und dreht sich um. Mooney mag diese Kerle;