war, ganz offene Worte mit ihr zu reden.
»Was würdest du denn sagen, wenn ich eine Modelkarriere machen würde?« fragte sie leichthin.
»Du spinnst«, kam die spontane Antwort.
»Du bist auch ein Spießer«, rief sie ihm hin.
»Dann bin ich eben ein Spießer. Was ist bloß in dich gefahren, Kim? Ist etwas passiert, worüber du nicht reden willst? Wir sind doch Freunde. Mit mir kannst du über alles sprechen.«
»Geh jetzt lieber«, sagte sie aggressiv.
Er erhob sich sofort. »Okay, wie du willst, aber wundere dich nicht, wenn ich nicht wiederkomme.«
Sie sah plötzlich unglücklich aus wie ein verunsichertes, bestraftes Kind.
»Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist«, flüsterte sie.
»Geh zu Dr. Norden, mit dem kannst du über alles reden, wenn du schon zu mir kein Vertrauen hast.«
»Ich will nicht, daß du böse mit mir bist.«
»Ich bin nicht böse, ich verstehe dich nur nicht mehr. Du warst ein so bezauberndes Mädchen, jetzt wage ich nicht mal mehr, dich anzufassen, weil ich fürchte, dir die Knochen zu brechen. Steig mal auf die Waage und betrachte dich im Spiegel. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich nicht gewarnt hätte.«
Er ging zur Tür und sie stand wie versteinert. »Servus, Kim«, sagte er.
Sie brachte kein Wort über die Lippen, aber als er gegangen war, liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie warf sich auf ihr Bett und weinte hemmungslos.
*
Jan stand kurz vor dem Staatsexamen und hatte bereits Aussicht auf eine Stellung in einer Computerfirma, da er glänzende Beurteilungen vorlegen konnte. Er hatte sich rechtzeitig um eine solche Stellung bemüht und gehörte zu den Favoriten für eine leitende Position. Jan hatte keinen Vater, der ihn protegierte. Er hatte sich während des Studiums immer etwas verdient, weil er seinen Eltern nicht zugemutet hätte, für seinen Unterhalt aufzukommen, aber er hatte sich großer Anerkennung erfreuen können und immer sehr gute Verdienstmöglichkeiten gefunden, dank seiner vielfältigen Kenntnisse und seiner Flexibilität. Er war dazu einfach ein sehr netter junger Mann und ein Traumschwiegersohn für viele Mütter. Für ihn hatte es immer nur Kim gegeben, aber nun verzweifelte er fast an ihrer Verschlossenheit und Uneinsichtigkeit.
Er fuhr nicht gleich nach Hause, er brauchte erst Abstand. So ging er ins Fitneßstudie, um Luft abzulassen. Er war nicht der Typ, der jähzornig werden konnte, er konnte nicht streiten, wenigstens nicht mit Kim. Irgendwie tat sie ihm jetzt leid, weil sie sich nicht helfen lassen wollte. Schon bald machte er sich wieder Sorgen um sie.
Er ging zum Telefon und rief sie an, aber sie meldete sich nicht. Jetzt bekam er regelrecht Angst und fuhr wieder zu der Villa zurück. Als ihm auf sein Läuten nicht geöffnet wurde, sprang er über den Zaun. Er war so fit, daß ihm das nicht schwerfiel, obgleich der Zaun ziemlich hoch war. Dann lief er zum Haus und um das Haus herum. Er sah, daß die Terrassentür einen Spalt offen war und überlegte nur kurz, was er tun solle und rief nach Kim. Doch nichts rührte sich. Er überwand seine Bedenken und ging über die Terrasse ins Haus. Im Wohnraum konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen, aber als er in die Diele kam, konnte er einen Aufschrei nicht unterdrücken. Kim lag am Boden und blutete aus einer Kopfwunde.
Er kniete bei ihr nieder und fühlte ihren Puls. Er war schwach, aber sie lebte.
Er wagte nicht, sie zu bewegen und ging lieber schnell zum Telefon. Es war jetzt schon fast neun Uhr, aber dennoch wagte er es, Dr. Norden anzurufen, denn seine Nummer hatte er im Kopf. Er hatte in Bezug auf die Telefonnummern, die ihm als wichtig erschienen, das absolute Gedächtnis.
Fee Norden meldete sich. Sie kannte Jan, wenn auch nur etwas flüchtig, aber als er sagte, welches Anliegen er hatte, war sie wirklich gleich ganz bei der Sache.
Sie rief Daniel ans Telefon. »Es geht um Kim«, sagte sie, und als Jan ihm sagte, wie er Kim vorgefunden hatte, erklärte er, daß er sofort kommen würde.
»Ich habe doch geahnt, daß da etwas nicht stimmt«, murmelte Fee.
»Das eine braucht nichts mit dem andern zu tun zu haben«, sagte Daniel.
Kim war noch bewußtlos, als er eintraf. Jan war blaß und aufgeregt.
»Ich wollte sie nicht bewegen«, sagte er. »Die Wunde hatte schon aufgehört zu bluten.«
Es war eine Platzwunde, die noch nichts aussagte über diese tiefe Ohnmacht. Sie konnte sich irgendwo angestoßen haben.
»Vielleicht wurde ihr schwindelig, und sie ist auf der Treppe gestrauchelt«, meinte Dr. Norden. »Auf jeden Fall ist es besser, sie wird klinisch untersucht. Dann können wir auch gleich herausfinden, warum sie so abgemagert ist.«
»Das macht mir auch Sorgen. Ich hätte Sie sowieso deswegen aufgesucht. Sie ist auch so verschlossen, wenn man darauf anspielt. Ich war heute mit ihr zusammen, aber sie war derartig stur, daß ich gegangen bin. Jetzt tut es mir leid.«
»Sie sind nicht verantwortlich für ihren Zustand, Jan. Meine Frau hatte mir schon erzählt, daß sie betroffen war über Kims Aussehen. Es kann ja sein, daß sie an Bulimie leidet.«
»Wir haben zusammen gegessen, sie hat tüchtig zugelangt«, erklärte Jan, »aber dann haben wir einen Film gesehen, in dem so ein Fall von Bulimie vorkam, und als ich eine Andeutung machte, ist sie wütend geworden und hat den Fernseher ausgemacht. Sie hat sich seit dem Urlaub verändert. Ich glaube, da ist etwas passiert, was sie aus dem Gleichgewicht gebracht hat, aber sie schweigt.«
Dr. Norden rief in der Behnisch-Klinik an. Sie schickten einen Krankenwagen. Nach der Injektion, die Dr. Norden Kim verabreicht hatte, wurde ihr Puls etwas stärker, aber sie kam noch nicht zu sich.
Dr. Norden fuhr dem Sanitätswagen voraus, Jan fuhr ihm nach. Er hatte erst Türen und Fenster verschlossen und auch die Haustür abgeschlossen, Kims Schlüsselbund hatte er im Schlüsselschrank gefunden.
Als er zur Behnisch-Klinik kam, befand sich Kim schon im Untersuchungsraum. Auch Dr. Norden war bei ihr, aber er kam nach zehn Minuten heraus.
»Sie wird ein paar Tage zur Beobachtung in der Klinik bleiben«, erklärte er. »Die Eltern werden wir nicht benachrichtigen, aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn Constantin sich um das Haus kümmern würde. Können Sie ihn erreichen?«
Jan nickte. »Ich werde ihn anrufen. Da es um Kim geht, wird er schon mit sich reden lassen. Er ist halt ein Außenseiter.«
»Ich sehe es nicht so, er hat halt seine eigenen Ansichten und Ziele.«
»Ich finde es ja gut. Ich sorge auch lieber für mich selbst, aber meine Eltern haben dafür Verständnis und sind sogar froh darüber. Die Meyrings denken da anders, vor allem ans Image. Aber ich glaube nicht, daß Kims Zustand mit ihren Eltern zu tun hat.«
»Ich hoffe, daß wir den Grund finden. Ich werde mich um sie kümmern, und meine Frau wird auch versuchen, daß sie sich öffnet. Sie haben einen guten Kontakt.«
»Wir haben Ihre Frau heute getroffen, und ich habe zu Kim gesagt, daß Ihre Frau das beste Beispiel ist, daß Schönheit nichts mit Superschlankheit zu tun hat. Das hat sie sicher in die falsche Kehle gekriegt. Ich war immer ehrlich mit ihr, und ich dachte, sie würde in sich gehen, wenn sie sich im Spiegel betrachtet. Sie war so bezaubernd, es tut weh, diese Veränderung zu sehen.«
»Aber Sie sollten sie jetzt nicht im Stich lassen. Sie braucht einen guten Freund sehr nötig, Jan.«
»Ich lasse sie auch nicht im Stich, aber sie darf sich nicht abkapseln. Dann wird sie ja auch noch gemütskrank.«
»Sie haben keine Ahnung, was der Auslöser sein könnte für diesen labilen Zustand, der doch gar nicht zu der Kim paßt, die wir kannten?«
»Ich habe hin und her überlegt. Vielleicht ist es die bevorstehende Hochzeit von Hanno Veltin. Sie war mit ihm befreundet.«
»Ach