erklärte er. »Und sei mir nicht böse: Wenn du in der Arbeit auch so schlechte Laune hast, wundert es mich nicht, dass Silvie Riemerschmidt ab und an die Daumenschrauben anzieht«, kam er nicht um Kritik an seinem Zweitältesten herum.
In Felix‘ wütendes Schnauben hinein klingelte es an der Tür. Fee sah ihren Mann überrascht an.
»Wer kann das sein?«
Doch da hatte sich der Sohn des Hauses schon auf den Weg gemacht. Er öffnete die Tür und begrüßte Roman, der mit Leichenbittermiene dastand.
»Hey, Roman, komm rein. Die beiden Gutmenschen sind im Esszimmer«, konnte er sich einen frechen Kommentar nicht verkneifen und floh nach ein paar Begrüßungsfloskeln in sein Zimmer. Väterliche Kritik war nicht das, was er an diesem Abend auch noch brauchen konnte.
Verwundert sah der Architekt ihm nach und ging dann hinüber zum Ehepaar Norden.
»Roman, das ist ja eine Überraschung«, begrüßte Daniel Jennys Lebensgefährten und warf einen verwunderten Blick über dessen Schulter. »Nanu, du bist allein hier?«
»Wenn ich störe, bin ich gleich wieder weg«, erklärte Roman schnell.
Doch da hatte Fee schon einen Stuhl zurecht gerückt und ein Glas Wein eingeschenkt. Sie ahnte, wo der Hase im Pfeffer lag.
»Du störst nicht!«, erklärte sie und drückte ihn mit sanfter Gewalt in den Stuhl. »Ganz im Gegenteil freuen wir uns immer, dich zu sehen.« Das entsprach voll und ganz der Wahrheit, und der Architekt entspannte sich ein wenig.
»Es ist schön, wenigstens hier willkommen zu sein«, seufzte er und hob sein Glas, um mit Daniel und Fee anzustoßen, die im Laufe der Zeit auch seine Freunde geworden waren.
»O je«, entfuhr es Felicitas. »Das heißt, dass dich Jenny schon wieder versetzt hat? Aber ich hab sie doch extra vor Andreas Unterschriftenmappen gerettet, damit sie rechtzeitig bei dir sein kann«, erinnerte sie sich an die List vom frühen Abend.
Einen Moment lang starrte Roman die Ärztin ungläubig an. Dann glättete sich seine Miene wieder.
»Wirklich? Das wusste ich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wir hatten ja auch kaum Zeit, uns zu unterhalten. Wir waren beim Griechen, als Jennys Telefon geklingelt hat. Da stand das Hauptgericht noch nicht mal auf dem Tisch.«
»Lass mich raten. Die Klinik!«, wusste Daniel Norden aus eigener Erfahrung, mit welchen Pflichten so eine Selbständigkeit einherging. Da machte es keinen Unterschied, ob es sich um eine Praxis wie seine oder eine Privatklinik handelte, wie Jenny sie seit Jahren so erfolgreich führte. »Es gab einen Notfall.«
»Sag bloß, du weißt, wovon ich rede?« Ein trauriges Lächeln zuckte um Romans Lippen.
»Ich kann ein Lied davon singen!« Es war Fee, die die Frage des Freundes beantwortete. »Wahrscheinlich habe ich mehr Nächte ohne als mit meinem Mann verbracht.«
»Du übertreibst schamlos«, wiedersprach Daniel belustigt.
Doch diese Feinheiten waren nicht wichtig für Roman Kürschner. Für ihn ging es ums Ganze.
»Wenn es nur halb so viele Nächte waren, frage ich mich, wie eure Ehe das überstanden hat.« Sein bewundernder Blick hing an dem ganz offensichtlich immer noch verliebten Ehepaar.
»Neben vielen Kleinigkeiten haben wir immer dafür gesorgt, dass es ungestörte Zeiten für uns gab, in denen wir uns nur mit uns beschäftigt haben«, berichtete Daniel, und Fee nickte, zufrieden damit, dass ihr Mann derselben Ansicht war wie sie. »In denen wir uns unserer Liebe versichert und sie vertieft haben. Das gibt Sicherheit, um die übrigen, stürmischen Zeiten zu überstehen.« Daniel hob sein Bier und nahm einen Zug. Dabei musterte er seine Frau über den Rand seines Glases hinweg.
Fee las die stumme Frage darin und nickte kaum merklich.
Von dieser wortlosen Kommunikation bekam Roman nichts mit. Zu sehr war er mit seinen eigenen Problemen beschäftigt.
»Seht ihr, und genau das ist euer Vorteil«, seufzte er und starrte auf den Boden seines Weinglases. »Ihr seid euch wenigstens einig darin, dass eine Liebe gepflegt werden will. Dass man daran arbeiten und hin und wieder Gefühle zulassen muss. Solche guten Vorsätze hat Jenny nur ansatzweise«, erinnerte er sich an ihre wohlklingenden, aber wenig verlässlichen Worte. »Und wenn ein Notruf eingeht, hat sie sie leider genauso schnell wieder vergessen.« Er tat es Daniel nach und hob sein Glas, um einen weiteren Schluck von dem angenehm kühlen Weißwein zu trinken.
Im Normalfall sprach Roman Kürschner nicht mit Außenstehenden über seine Beziehung und schon gar nicht über die Probleme, die er damit hatte. Doch an diesem Abend war alles anders. Jenny hatte ihn schwer verletzt, und der Alkohol tat ein Übriges, um ihn gesprächig werden zu lassen.
»Ich weiß wirklich nicht, wie das mit uns weitergehen soll«, fuhr er mit Grabesstimme fort.
»War Jenny denn schon immer so?«, erkundigte sich Daniel sichtlich schockiert.
Er hatte das Paar stets als harmonisch und liebevoll wahrgenommen und nicht mit diesen Differenzen gerechnet.
Nachdenklich wiegte Roman den Kopf.
»Wahrscheinlich liegt der Fehler auch auf meiner Seite«, gestand er betroffen und durchaus selbstkritisch. »Anfangs hat mir ihre Unnahbarkeit nämlich gefallen. Der Jäger im Manne und so weiter …« , er winkte ab und lächelte grimmig, »…ihr kennt die Sprüche ja. Als ich dann mit Jenny zusammengekommen bin, habe ich ihr viel Liebe gegeben. Ich dachte, sie könnte von mir lernen. Eine Weile ging das auch gut, es war sehr schön und harmonisch. Aber in letzter Zeit habe ich immer mehr das Gefühl, dass sie mich nicht mehr wirklich an sich ranlässt. Statt uns immer näher zu kommen, zieht sie sich wieder zurück. Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass etwas zwischen uns wächst. Dabei verstehe ich einfach nicht, warum.« Roman warf einen weiteren, langen Blick in sein Weinglas, während er über seine schwierige Beziehung zu Jenny nachdachte. Dann schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. Er leerte das Glas in einem letzten, tiefen Zug, stellte es auf den Tisch und stand auf. »Mal sehen, wie lange ich es noch aushalte«, sagte er zu Daniel und Fee. »Aber wenn Jenny mich nicht langsam wichtiger nimmt, kann ich für nichts mehr garantieren.« Er nickte dem Arztehepaar zu und ging zur Tür. Dort angekommen, drehte er sich noch einmal um. »Danke für alles.« Damit verschwand der Architekt endgültig.
Als die Haustür ins Schloss fiel, fuhr Fee aus ihren Gedanken hoch.
»O je, das klingt aber gar nicht gut«, seufzte sie bekümmert. »Du hast recht! Eine ungestörte Auszeit wird den beiden gut tun und vielleicht sogar ihre Beziehung retten. Ich finde deine Idee, den beiden den Gutschein zu schenken, perfekt.« Ihre Augen suchten den Blick ihres Mannes. »Das war es doch, woran du vorhin gedacht hast«, hakte sie vorsichtshalber nach.
Daniel lächelte innig und stand auf.
»Ein Glück, dass du den Hotelgutschein erst jetzt erwähnst. Deine Fähigkeit, meine Gedanken zu lesen, hätte das Fass zum Überlaufen und Roman zur Verzweiflung gebracht.« Er beugte sich über seine Frau und küsste sie innig.
Und Fee küsste ihn wieder, während sie an ihre Freundin dachte, die ihr großes Glück so leichtfertig aufs Spiel setzte.
»Am besten bring ich ihr den Gutschein gleich morgen früh vorbei. Dann könnten die beiden gleich nach Dienstschluss morgen ins Wochenende starten«, sagte sie nachdenklich, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. »Es muss schnell etwas passieren.«
*
»Für einen allein ist meine Wohnung eigentlich viel zu groß.« Mit entschuldigendem Lächeln drehte sich Dr. Mario Cornelius in seinem Wohnzimmer um die eigene Achse.
Marianne Hasselts Augen folgten der Bewegung des Kinderarztes, den sie vor einer Weile in der Behnisch-Klinik kennengelernt hatte.
Nach einer Schlägerei war ihr fast erwachsener Sohn Tobias dort eingeliefert worden. Doch erst als sie selbst wegen einer hartnäckigen Virus-Infektion in die Klinik musste, war sie Mario Cornelius wiederbegegnet, und die beiden hatten ihr