(lat. abalienare) heißt entäußern, entfremden; Abalienation heißt Entäußerung, Geistesstörung.
Abart, Unterart, Spielart oder Rasse heißt die aus der Vererbung zufälliger Merkmale entstandene Unterform einer Art. Vgl. Art, Darwinismus.
Abasie-Astasie (gr.) heißt die durch hysterische Schwäche hervorgerufene Unfähigkeit Nervenkranker zu gehn und zu stehn. Der Kranke kann im Liegen mit seinen Beinen jede Bewegung ausführen; aber er kann nicht gehn und stehn. Vgl. Hellpach, die Grenzwissenschaft der Psychologie, Leipzig 1902, S. 184.
Abbüßungsvertrag (lat. pactum expiatorium) heißt der Vertrag, durch den man sich verpflichtet, das einem andern zugefügte Unrecht wieder gut zu machen, und durch den der Staatsbürger das Recht erhält, statt bei Gesetzesverletzung vom Staate ausgeschlossen zu werden, sich einem anderen kleinen Übel (der Strafe) zu unterwerfen. J. G. Fichte (1762-1814) erklärt ihn für die Grundlage des ganzen Strafrechts und leugnet deshalb die Berechtigung der Todesstrafe. Aber er verkennt dabei, daß der Staat überhaupt nicht, wie er im Anschluß an Rousseau (1712-1778) annahm, auf einem Vertrage beruht, sondern allmählich entstanden ist. Vgl. Todesstrafe.
abdisputieren (v. lat. disputare = streiten) heißt abstreiten.
Abduktion (lat. abductio), eigtl. Wegführung, heißt in der Logik der Übergang von einem Satz zum andern.
Aberglaube (auch Afterglaube, Mißglaube, lat. superstitio, gr. deisidaimonia) heißt allgemein jeder falsche Glaube. Er entsteht, indem niedere religiöse Vorstellungen zur Zeit des religiösen Fortschritts festgehalten werden. Im engeren Sinne ist der Aberglaube eine den Gesetzen der Erfahrung und des Denkens zuwiderlaufende Ansicht von dem ursächlichen Zusammenhange der sinnlichen Welt mit der nichtsinnlichen. Es ist z. B. abergläubisch, einen Krieg aus dem Erscheinen eines Kometen, oder den Tod eines Menschen aus dem Zusammensein von dreizehn Personen an einer Tafel abzuleiten. Der Aberglaube beruht hauptsächlich auf dem Fortleben der Vorstellungen der Naturreligionen und des Volksglaubens, die teils der Unwissenheit, teils dem ungeschulten Schlußvermögen, teils der Phantasie entsprungen sind. Er ist theoretisch, wenn er unsere Weltanschauung bestimmt, praktisch, wenn er unsere Handlungsweise regelt (Magie). Manche abergläubische Ansicht ist ziemlich harmlos, manche gefährlich, manche führt sogar zum Fanatismus. Die verschiedenen Formen des Aberglaubens sind belehrend für die Erkenntnis der menschlichen Natur und der menschlichen Kulturgeschichte, daher auch oft für den Dichter anregend und stoffgerecht, wie Goethe wohl wußte. Der aus dem Altertum und Mittelalter ererbte Aberglaube ist durch die Tätigkeit der Reformation und der Aufklärung wesentlich beschränkt, aber keineswegs völlig beseitigt, dagegen im volkstümlichen Lied neu belebt und psychologisch vertieft worden. Der Aberglaube der Gegenwart gipfelt im Spiritismus. Vgl. Wuttke, der deutsche Volksaberglaube, 1869. Pfleiderer, Theorie des Aberglaubens, 1872. Lippert, Christentum, Volksglaube und Volksbrauch, Berlin 1882. C. Meyer, der Aberglaube des Mittelalters, Basel 1884. Strümpell, der Aberglaube, 1890.
Aberratio delicti (lat.), Abirrung des Vergehens, bezeichnet die unbeabsichtigte Folge einer schlechten Handlung; ob sie dem Täter zuzurechnen sei, ist eine ethische und juridische Streitfrage.
Aberwitz ist soviel als Unverstand. Stärkere Grade des Aberwitzes heißen Wahnwitz, Wahnsinn (s. d.).
Ab esse ad posse valet, a posse ad esse non valet consequentia (lat.): Vom Sein kann man auf das Können (oder von der Wirklichkeit auf die Möglichkeit), nicht aber umgekehrt schließen. Diese logische Regel, welche eine modale Konsequenz ausdrückt (vgl. Modalität), besagt, daß aus der Gültigkeit des assertorischen (s. d.) Urteils die des problematischen (s. d.), aber nicht aus der Gültigkeit des problematischen die des assertorischen Urteils folgt.
Abfall heißt das plötzliche Aufgeben eines bisherigen Verhältnisses auf politischem, religiösem, philosophischem u. a. Gebiet. War jenes Verhältnis ein uns aufgezwungenes oder ein verwerfliches, so zeugt der Abfall (die Apostasie) oft von Charakter; war es ein gutes oder wird es ohne Grund aufgegeben, so ist der Abfall meist charakterlos. Philosophisch verwendet ist die Idee des Abfalls von Origenes (185-254) und Schelling (1775-1854), welche die ganze sichtbare Welt aus einem Abfall von Gott herzuleiten versucht haben.
abgekürzt (decurtatus) heißt ein logischer Schluß oder Beweis, wenn bei seiner Darstellung ein oder mehrere selbstverständliche Glieder fortgelassen werden. Vgl. Enthymem, Sorites und Kettenschluß.
abgeleitet heißen Begriffe oder Sätze oder Erkenntnisse, wenn sie aus andern gefolgert sind oder gefolgert werden können. So scheidet z. B. Kant in unserer Erkenntnis die reinen Stammbegriffe des Verstandes, wie Substanz, Ursache, Gemeinschaft, die er Kategorien (s. d.) nennt, von den aus diesen abgeleiteten reinen Begriffen, die er Prädikabilien nennt; zu den letzteren gehören z. B. die Begriffe der Kraft, der Handlung, des Leidens, des Entstehens und Vergehens, der Veränderung, der Gegenwart, des Widerstandes etc.
abgemessen (präzis) heißt ein Begriff, wenn er so genau bestimmt ist, daß in denselben, ohne daß ein Merkmal fehlt, kein zufälliges und abgeleitetes und überflüssiges, sondern nur wesentliche, ursprüngliche und unentbehrliche Merkmale aufgenommen sind.
Abgunst ist das Mißfallen eines Menschen an dem Wohlsein eines Mitmenschen. Vgl. Neid.
abhängig heißt ein Gegenstand oder eine Person, deren Existenz oder Beschaffenheit durch einen anderen Gegenstand oder eine andere Person mitbestimmt ist. Es gibt z. B. eine logische, mathematische, physische, moralische, religiöse Abhängigkeit. In der Logik ist jeder Schlußsatz von den Prämissen nach Quantität und Qualität abhängig. Der besondere Ausdruck der logischen Abhängigkeit ist das hypothetische Urteil (s. d). Die mathematische Abhängigkeit findet ihren Ausdruck im Begriff der durch eine oder mehrere Variabeln bestimmten Funktion, z. B. y = f (u, v). Physisch sind alle Dinge, ja auch alle Personen von anderen abhängig, da alle unter dem Gesetz des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung stehen. Die moralische Abhängigkeit (Dependenz) ist soviel als Verbindlichkeit, d. h. Verpflichtung, etwas zu tun. Schleiermacher (1768-1834) nannte die Religion das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit von Gott.
Abiogenesis (aus d. gr. a = nicht, bios = Leben, genesis = Entstehung gebildet), Urzeugung, heißt die erste Entstehung organischer Wesen aus unorganischem oder aus organischem, aber ungeformtem Bildungsstoffe. Die Beobachtungen und Versuche haben bisher die Möglichkeit einer solchen Urzeugung nicht erwiesen, aber für die Anhänger der Kant-Laplaceschen Hypothese ist die Urzeugung ein kosmologisches Postulat. Neuerdings versucht man um dieses Postulat durch die Theorie einer Panspermie herumzukommen (s. d.). Vgl. Generatio aequivoca.
Ablepsie (v. gr. a = nicht, blepein = sehen) heißt Blindheit, Verblendung, Stumpfsinn.
Abneigung ist die zur Gewohnheit gewordene Unlust an einem Gegenstande oder einer Person. Die Ehescheidung aus »unüberwindlicher Abneigung« wird von den Gesetzen zugelassen, läßt sich aber vom ethischen Standpunkt aus schwer verteidigen.
Abnormität (von d. lat. abnormis = regelwidrig gebildet) heißt die Abweichung von der Regel im Dasein oder im Handeln. Sie kann angeboren oder erworben, dauernd oder vorübergehend sein.
ab ovo (lat.), von Anfang einer Sache an, ist eine sprichwörtliche Redensart, die aus dem Lateinischen stammt und von der Mahlzeit hergenommen ist, bei der man mit dem Ei (ovum) begann und mit den Äpfeln endigte (vollständig ab ovo usque ad mala bei Horaz, Sat. I, 3, 6 f.).
Abráxas