später wurde es ernst mit der gesundheitlichen Krise. Das vom Vater ererbte Asthma kulminierte dank einer verschleppten Erkältung 1891 in einer schweren Lungenentzündung. Mit Unterstützung der wohlhabenden Familie Pschorr reiste Richard zur Heilung von November 1892 bis Juni 1893 durch Italien, Griechenland und Ägypten.
Als ich in Ägypten mit Nietzsches Werken bekannt geworden, dessen Polemik gegen die christliche Religion mir besonders aus dem Herzen gesprochen war, wurde meine seit meinem fünfzehnten Jahr mir unbewußte Antipathie gegen diese Religion, die den Gläubigen vor der eigenen Verantwortung für sein Tun und Lassen (durch die Beichte) befreit, bestärkt und begründet.
Der Schulfreund Friedrich Rösch schreibt 1893 an Strauss, der sich gerade in Ägypten aufhält und Schopenhauers und Nietzsches Ideen wälzte:
Du ahnungsloser Engel Du! Ob denn »der Wille wirklich erlöst sein wolle?« Eine solche Frage kann einem doch nur in einer Wüste entschlüpfen, bei 40° R. O dieser Sonne sengender Strahl ... Der Mensch kommt erst dadurch, dass er an seinem eigenen Willen unendlich leidet, die allerbittersten Erfahrungen macht (Erfahrungen, die Du in Deinem bisherigen Wohlstands-Dusel einfach nicht gemacht haben kannst), zu der Einsicht, dass der Wille der Urheber aller Leiden auf der Welt ist ...
5 Richard Strauss (ganz links) in Ägypten
Der einzige erhaltene Brief von Richard Strauss an seine Jugendliebe Dora Weis (1889) kündet tatsächlich von einer überaus sensiblen, »romantischen« Persönlichkeit:
Tatsache ist, dass mich Dein Brief mit der nun in unabsehbare Ferne rückenden Aussicht, Dich, meine süße Dora, wiederzusehen, tief betrübt und bewegt hat. Gott, was für hölzerne Ausdrücke für das, was ich empfinde ... Dem Künstler Strauss geht es wirklich gut. Aber kann denn kein Glück vollkommen sein?
Mit dem Leiden auf und an der Welt hat sich Richard Strauss jedoch nichtlange aufgehalten, folgte vielmehr dem Lebensprinzip des künstlerischen Egoismus, das Nietzsche ebenfalls gepredigt hat. Seine inneren Krisen und seine Leidenschaften (auch und vor allem die unausgelebten, ja sogar »Tod und Verklärung«) hat Richard Strauss in Musik umgemünzt.
Der französische Schriftsteller Romain Rolland (1866–1944) sah den Komponisten 1898 so:
Er ist groß, schlank, hat flauschiges Haar und einen weißblonden Schnurrbart. Blaß, helle Augen, runder Rücken und ein unsicherer Gang auf langen Beinen mit kleinen Füßen. Breite Schultern. Schöne feine lange gepflegte Hände, die aristokratisch wirken. [...]
Seine Art zu reden ist eher bäuerlich, seine Haltung nie straff. Das ändert sich beim Dirigieren. Das ist der andere Strauss, der in starker Spannung vor Konzentration vibriert. Sein Gesicht wird älter und härter, nichts von der sonstigen Freundlichkeit. Ein asiatischer Barbar, ein Hunne, blond mit fahler Haut.
Nach großen Erfolgen bleibt er liebenswürdig, höflich, einfach und natürlich. Nichts an ihm ist gekünstelt, keine bewussten Gesten, keine Pose. Er ist manchmal von fast kindlicher Schüchternheit. Daneben kann er voll Eigensinn und Gleichgültigkeit, ja Verachtung für andere Menschen sein.
Beim Sprechen zieht er oft Grimassen, macht einen schiefen Mund, besonders wenn er unzufrieden ist und ironisch wird. Bei Tisch sitzt er gelegentlich mit übereinandergeschlagenen Beinen und hebt den Teller bequem zum Munde. Er ißt dauernd Bonbons wie ein Kind. Zu Leuten, die er mag, ist er besonders herzlich. Leuten, die ihn nicht interessieren, hört er kaum zu, dreht ihnen halb den Rücken, fragt höchstens mal »Was?« und sagt geistesabwesend »Ach? Soso -.« In Gesellschaft scheint er mitunter mit offenen Augen zu schlafen.
Man merkt ihm das überschäumende Wesen nicht an, das in seiner Musik lebt. Er wirkt blass und ein wenig unsicher, ewig zweifelnd und unruhig. Ist nicht der Held aus seinem »Heldenleben«. »Ich hab nicht so viel Kraft und bin nicht für’s Kämpfen gemacht, ich habe nicht genug Genie, Willen und nicht die unerschütterliche Gesundheit. Ich ziehe mich lieber zurück und suche die Ruhe.« In ihm vereinen sich viele Charakterzüge, die ich nirgends sonst gesehen hatte. Sie scheinen mir typisch münchnerisch zu sein. Er ist ein wenig verwöhntes Kind und ein wenig Eulenspiegel.
Rolland hatte auch Gelegenheit, mit Richard Strauss über »Ein Heldenleben« zu sprechen. Es wurde diesem oft angekreidet, dass er – von der erwähnten symphonischen Dichtung op. 40 über die »Sinfonia domestica« bis zur Oper »Intermezzo« – viel Autobiographisches in seine Werke eingeflochten oder gar zum Zentrum derselben gemacht hat. Er reagierte entwaffnend, dass er sich und seine Familie nicht weniger wichtig nehme als Napoleon oder Alexander den Großen. »Am liebsten würde ich immerzu mich selbst komponieren.« Doch inwieweit sah er sich als »Held«? Romain Rolland hat er geantwortet:
Den Pfeil des Lebens hat Strauss nie höher geschossen als damals. Ich beschloss, ihn zu fragen. Ich wollte den Schlüssel für die Personen, besonders die Frau des Helden. Sie macht einen neugierig. Die einen hören eine perverse, andere eine kokette. Er sagte: Weder – noch. Ich habe meine Frau dargestellt. Sie ist sehr kompliziert, ein wenig pervers, ein wenig kokett, wechselt von einer Minute zu anderen. Der Held folgt ihr zu Anfang, nimmt den Ton auf, den sie sang. Sie entflieht immer wieder. Da sagt er: Geh du nur, ich bleibe. Und zieht sich in seine Gedanken, seinen eigenen Ton zurück. Da sucht sie ihn. Musikalisch ist dieser Teil ein langes Zwischenspiel zwischen den beiden Ausbrüchen des Anfangs und der Schlacht.
Der Biograph Kurt Wilhelm resümiert:
Aus allen Zeugnissen formt sich ein Bild in diesen Jahren: gutmütig und temperamentvoll, spöttisch und ironisch, bei Widerstand zornig und schnell versöhnt. Maßstab für alles ist die Reinheit der Kunst. Ärger bereiten ihm Unzulänglichkeiten. Schwächen werden resignierend toleriert, auf Dummheit und Intrigen prasseln Zornesausbrüche nieder. Auf Proben wahre Engelsgeduld. Bei Widersetzlichkeit ein Jupiter tonans.
»Sie wissen selbst am besten, wie viele Fehler ich habe«
Der Lebensmensch Pauline
Romain Rollands im vorigen Kapitel wiedergegebene Tagebuchprotokolle führen uns wie selbstverständlich zum Vorbild für die »Frau des Helden«, die Ehefrau Pauline Strauss. Sie wurde 1863 als erstes Kind des bayerischen Generals Adolph de Ahna und seiner Frau Marie in Ingolstadt geboren (wenngleich sie später mit Hilfe ihres Mannes ihr Geburtsjahr um volle elf Jahre nachverlegte). Im August 1887 lernten sie einander in der Pschorr-Villa in Feldafing am Starnberger See kennen. Strauss wurde ihr Musiklehrer und führte sie zu anspruchsvollen Rollen, von Hansel bis hin zu Isolde und Freihild in seiner Erstlingsoper »Guntram«.
Zwischen den Zeilen des folgenden Briefes scheinen Witz und Temperament der jungen Frau durch:
Feldafing, 22. August 1889
Geehrter Herr Capellmeister, mein lieber Maestro! Schönsten Dank für Ihre Karte, die mir die willkommene Nachricht bringt, daß Sie sich während des München-Aufenthalts meines brach liegenden Studiums annehmen werden, was ich mit großem Danke akzeptiere! [...] Gestern sang ich bei Herrn Vogl in Deixelfurt »Neue Freuden«, »Einsam in trüben ...«, »Euch Lüften ...«1. Wenn Sie ihn sprechen, Herr Capellmeister, bitte fragen Sie über mich, er war nämlich sehr entzückt, hauptsächlich über die Vortragsweise. Ich gab mir alle Mühe meinem Meister Ehre zu machen.
Auf der Nachhausefahrt erkältete ich mich leider, so dass mein Hals zur rascheren Gesundheitsförderung heute gewickelt ist, ein anerkannt angenehmer Zustand, man fühlt sich in die Biedermeierzeit zurückversetzt.
Hier ist es kühl, ein wonniger Landaufenthalt nur, sobald man heizt. Papa und Schwester Mädi grüssen Sie bestens. Bitte mich Frl. Johanna zu empfehlen.
Mit herzlichem Grusse Ihre ergebene Schülerin
Pauline de Ahna
Vielleicht lockt Sie ein verirrter Sonnenstrahl einmal heraus! –
Im November des Folgejahres war der Gesundheitszustand der