Mein liebstes armes Bauxerl!
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Ich war schon auf dem Wege zum Bahnhof, um Dich in Übersee2 abzuholen, da erhalte ich nun mit der Post, die mich über alles schmerzende Absage. Ist’s wirklich nichts Schlimmes? Haben die Blutungen aufgehört? Dies müssen, Deine Mutter sagt, die letzten gewesen sein, da sonst unser liebes ersehntes Söhnlein zuviel geschwächt wird. Derselbe braucht alle Kräfte, über die Dein lieber Körper verfügt, aufs Notwendigste und darf ihm nichts entzogen werden.
Ich hoffe, mein allerliebster Schatz, daß Du es Dir, wenn es diesmal gut abgelaufen ist, recht zu Herzen nimmst, um ein Unglück zu verhüten, indem Du selbst allergrößten Schaden leiden würdest. Ich bin sehr in Sorge! Bitte schreib mir, ob Du mich brauchst, lasse Dir fleißig den Doktor kommen, damit ich ein bisschen beruhigt sein kann; bleib ja zu Bett liegen! Wenn Du willst, komme ich sofort heim, so gern ich auch hier bin. Es ist so schade, daß Du nicht mit bist; gestern der herrlichste Septembertag, den man sich nur wünschen kann.
In der Eisenbahn fuhr mir vis a vis ein Pfaffe, dem ich lesend immer die nackten Weiber meines Gil Blas3 unter die Nase hielt; es war nur zu komisch, wie derselbe immer krampfhaft tugendboldig an den Nuditäten vorbei zum Fenster hinaus sah.
Mama hat zur Zeit eine richtige Freßwut, der ich nun leider allein Herr zu werden versuchen muß. Ich bin schon prächtig ausgeruht, gehe ganz wenig zusammen mit Mädi spazieren, sitze im Freien und erhole mich nach Kräften.
Mein liebstes, allerliebstes Liebchen! Was ich Dir alles Schöne wünsche, kann ich Dir gar nicht schreiben, aber daß ich immer in Gedanken bei Dir bin, darfst Du glauben, und wenn gute Wünsche was helfen, so muß es Dir jetzt sicher sehr gut gehen. Halt’ nur tapfer aus, ruhe Dich recht aus, bleib schön zu Bette, ärgere Dich über nichts, über gar nichts. Der schöne Lohn wird nicht ausbleiben und meine Dankbarkeit für Dich ist riesig.
Papa, Mama, Mädi und Tante Jette grüßen mit herzlichem Bedauern, Dich nicht hier zu haben, tausendmal küßt Dich aber Dein getreuer, Papa werdender Richard Soeben Dein Telegramm. Gott sei Dank! Leb wohl!
Trotz ihrer Problemschwangerschaft nimmt Pauline brieflich Anteil an der Komponistenkarriere ihres Ehemanns. Hatte sie die Handschrift des »Till Eulenspiegel«, der im ersten Ehejahr komponiert wurde, noch mit scherzhaften Randglossen wie »verrückt«, »scheußlich« und »schlechtes Geschmier« versehen, nahm sie Strauss’ Schaffen doch in Wahrheit viel ernster. Am Tage der Uraufführung von »Also sprach Zarathustra« unter Leitung des Komponisten in Frankfurt am Main schickt sie ihm diese Glückwünsche.
München, 27. November 1896
Liebster Richard!
Also heute ist der große Tag! Glück und Heil Zarathustras Tönen! Streng Dich nur nicht zu viel mit Besuchen und langem Ausbleiben an; ich ängstige mich um Dich und Du kommst mir recht abstrapaziert zurück! Hoffentlich hast Du keinen Husten und Schnupfen bei diesem kalten Wetter! Vergesse nicht Deine warmen Sachen zu tragen, mein Schätzchen! Ach, so gerne ich Dir Deine Triumphe gönne, so sehr entbehre ich Dich. Du- Du- Liebster! Doch wenn Du mir gesund und frisch bleibst, will ich ja gerne die lange Trennung ertragen und mir denken, daß mein Männle statt für eines, von nun an für 2 Mägen zu sorgen hat; und was für freche Mäulerchen; im übrigen sind wir munter und sehr lebhaft und wissen nicht, wo an und aus in der engen Behausung.
[...]
Adieu, für heute guten Appetit zum Nachtmahl, vielmehr Glück auf zum Konzert, zu dem Du Dich jetzt rüsten wirst. In inniger Liebe Deine getreue Pauline
Am 12. April 1897 wird der »herrliche Riesenbube« Franz geboren, der Vater konzertiert gerade in Stuttgart. Erst nachträglich erfährt er, »in welch schwerer Lebensgefahr Pauline und das Kind geschwebt hatten«.
Voller Loyalität stellt Pauline in diesem Schreiben ihre eigenen Karrierebedürfnisse hinter Richards »häusliche Bequemlichkeit« zurück.
Marquartstein, 1. September 1897
Liebster Richard!
Heute abend Deinen lieben, treuen, inhaltsschweren Brief mit herzl. Dank erhalten.
Punkto Deiner Stellungsfrage ersuche ich Dich nach reiflicher Überlegung und Selbsteinkehr keine Rücksicht auf mein Engagement zu nehmen, sondern wenn Du lieber und profitabler in Hamburg bist, dorthin zu gehen, bist Du lieber in München mit 12.000 M., dann bleiben wir in München, liebster Schatz! Gehst Du gerne nach Hamburg, weil sie Dich in München drücken wollen – meinen Liebling – dann gehe ich nach Hamburg ohne gleich mein Engagement durchdrücken zu wollen; ich gehe dann mit Dir und sehe ich, daß Klima, Verhältnisse, Deine häusliche Bequemlichkeit mir hinreichend gestatten meine künstlerische Tätigkeit wieder aufzunehmen, dann ist es, wenn wir beide dort eingewöhnt sind – immer noch Zeit an mich zu denken. Doch bitte mich jetzt bei Deinen Bedingungen vollständig aus dem Spiele zu lassen und nur das in jeder Beziehung für Dich, uns und Buberl Vorteilhafteste zu wählen!!!
9 Die stolze Mama Pauline mit dem »herrlichen Riesenbuben« Franz
Genug davon und meine innigsten Segenswünsche für Dich in dieser Angelegenheit!!
Das Kind ist lieb, sanft und gesund, ein herziger Kerl, er hielt heute abend ganz stolz Deinen Brief.
Ich selbst bin in recht trüber Stimmung, weinte heute den ganzen Tag, eigentlich ohne Grund, ich nehme eben alles recht schwer und meine Nerven lassen recht zu wünschen übrig, liebster guter Richard! Mein ganzes Glück bist Du und Bubi, möge es mir erhalten bleiben und trachten wir uns viel zu verdienen, damit Du bald Dir selbst leben kannst. Also am 10. Ds. Bist Du gewiß hier, ich freue mich unsäglich, ich weine vor lauter Sehnsucht nach Dir, ach mir ist’s oft schwer, so schwer ums Herz, alle trösten mich.
Für heute gute Nacht, mein Richardi! Ich umarme Dich in größter Liebe!
Paula
Der Ehemann antwortete postwendend und mit einer rührenden Liebeserklärung, ohne auf die trübe Stimmung Paulines näher einzugehen – offenbar ist er die Launen gewöhnt.
Meine Geliebte, süße, reizende Frau!
Du hast mir einen so entzückenden, herrlichen Brief geschrieben, daß ich nicht weiß, wie ich Dir dafür danken soll. Derselbe war mir eine wahrhafte Stärkung bei den schweren Sorgen, die ich in der gegenwärtigen Krisis in meinem Hirn herumzuarbeiten habe, um das Gescheiteste und für unser beider Wohl und Ruhe Ersprießlichste auszudeuten. Du bist eine liebe, brave, prächtige Frau und wer Dich sein nennt, der hat eine Stütze und einen Tröster für sein Leben, daß ihm für keine Zukunft bange zu sein braucht.
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Morgen bin ich bei Boy-End in den Jahreszeiten mit Sporks zu Tisch. Du hast doch eigentlich Sauglück, daß Du nicht hier bist. Aber Du mußt nicht mehr weinen und traurig sein, denn ich denke, es wendet sich alles zum Guten, und unser Bübchen und seine liebe Mutter sollen’s gut bei mir haben und ein schönes Leben führen! ... Tausend Dank nochmals für Deinen herrlichen Brief, sei nicht mehr traurig und gedenke stets fröhlichst
Deines Dich innigst umarmenden R.
Bei Pauline stellen sich – wie auch ihr voriger Brief zeigt – bald Depressionen ein, die weit über die normale postnatale Traurigkeit hinausgehen. Regelmäßig entladen sich Kräche, auf die neuerliche Niedergeschlagenheit folgt. Wohl wenige haben Pauline Strauss – die folgenden Brief mit dem Namen »Bi« unterzeichnet, den sie sich selbst als Kind gegeben hat – in dieser Gemütsverfassung kennengelernt:
München, Abends 8 Uhr 26. Okt. 97
Liebster Richard!
Ich sitze so traurig allein und habe solche Sehnsucht nach Dir, daß ich unendlich traurig bin und es Dir unbedingt schreiben muß; ich las eben einige Deiner lieben Briefe aus Athen und da sprachst Du mir damals von Deiner Sehnsucht nach mir; denke ich nun über das alles nach und wie lieb wir uns doch beide haben und von Anbeginn an schon hatten,