Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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hier Da­men der vor­neh­men Ge­sell­schaft zu be­geg­nen und von ih­nen ge­se­hen zu wer­den, die sel­te­ner ge­täusch­te Er­war­tung, hier jun­ge Bäue­rin­nen zu se­hen, die eben­so schlau sind wie Ad­vo­ka­ten, läßt am Sonn­tag zu dem Ball von Sceaux Schwär­me von Ad­vo­ka­ten­schrei­bern, Äs­ku­lap­schü­lern und jun­ge Leu­te, de­nen die feuch­te Luft der Pa­ri­ser Hin­ter­lä­den ihre blas­se Ge­sichts­far­be und krank­haf­te Fri­sche er­hal­ten hat, her­bei­strö­men. Auch eine gan­ze An­zahl von Ehe­bünd­nis­sen der Bür­ger­krei­se ha­ben ihre ers­te An­knüp­fung bei der Mu­sik des Or­che­s­ters, das im Mit­tel­punk­te die­ses kreis­run­den Saals un­ter­ge­bracht ist, er­fah­ren. Wenn das Dach re­den könn­te, wie vie­le Lie­bes­ge­schich­ten hät­te es zu er­zäh­len? Die­se in­ter­essan­te Mi­schung mach­te da­her den Ball von Sceaux an­zie­hen­der als ei­ni­ge an­de­re Tanz­lo­ka­le in der Um­ge­bung von Pa­ris, vor de­nen er auch noch durch sei­ne Rotun­de, sei­ne schö­ne Lage und sei­nen hüb­schen Gar­ten un­be­streit­ba­re Vor­zü­ge be­saß. Emi­lie ließ als die ers­te den Wunsch laut wer­den, sich auf die­sem Be­zirks­ball »un­ter das Volk zu mi­schen«, da sie sich ein au­ßer­or­dent­li­ches Ver­gnü­gen da­von ver­sprach, sich in­mit­ten die­ser Ge­sell­schaft zu be­we­gen. Man war er­staunt über ih­ren Wunsch, sich in ein sol­ches Ge­wühl zu wa­gen; aber hat das In­ko­gni­to für die Gro­ßen nicht eine sehr star­ke An­zie­hungs­kraft? Fräu­lein von Fon­taine be­rei­te­te es ein Ver­gnü­gen, sich die­se fest­lich ge­klei­de­ten Bür­gers­leu­te vor­zu­stel­len, sie ver­ge­gen­wär­tig­te sich, wie die Erin­ne­rung an einen Blick oder ein be­zau­bern­des Lä­cheln von ihr in mehr als ei­nem Bür­ger­her­zen haf­ten wür­de, sie lach­te schon im vor­aus über die Prä­ten­tio­nen der Tän­ze­rin­nen und spitz­te be­reits ih­ren Blei­stift für die Sze­nen, mit de­nen sie die Sei­ten ih­res Ka­ri­ka­tu­ren­al­bums zu fül­len ge­dach­te. Da­her konn­te der Sonn­tag nicht früh ge­nug für ihre Un­ge­duld her­an­kom­men. Die Ge­sell­schaft der Vil­la Pla­nat mach­te sich zu Fuß auf den Weg, um den Rang der Per­sön­lich­kei­ten, die den Ball mit ih­rer Ge­gen­wart beeh­ren woll­ten, nicht zu ver­ra­ten. Man hat­te zei­tig ge­speist. Der Mai­mo­nat be­güns­tig­te die­se ari­sto­kra­ti­sche Lau­ne mit sei­nem herr­lichs­ten Aben­de. Fräu­lein von Fon­taine war höchst er­staunt, in der Rotun­de meh­re­re Qua­dril­len von Leu­ten tan­zen zu se­hen, die zur gu­ten Ge­sell­schaft zu ge­hö­ren schie­nen. Sie be­merk­te wohl hier und da ei­ni­ge jun­ge Leu­te, die ihre Mo­nats­er­spar­nis­se dar­an ge­wen­det hat­ten, an ei­nem Tage glanz­voll auf­zu­tre­ten, und un­ter­schied meh­re­re Pär­chen, de­ren zu aus­ge­las­se­ne Lus­tig­keit nicht auf ein ehe­li­ches Ver­hält­nis schlie­ßen lie­ßen; aber statt der er­war­te­ten Ern­te blieb ihr nur die Nach­le­se. Sie war er­staunt, zu se­hen, daß das Ver­gnü­gen im Per­kal­klei­de dem in Sei­de so durch­aus ähn­lich war, und daß die Bour­geoi­sie mit eben­so­viel Gra­zie, und zu­wei­len noch mit mehr, zu tan­zen ver­stand, wie der Adel. Die meis­ten Toi­let­ten wa­ren ein­fach aber ge­schmack­voll. Die­je­ni­gen, die in die­ser Zu­sam­men­kunft die Lehns­her­ren des Ter­ri­to­ri­ums re­prä­sen­tier­ten, näm­lich die Bau­ern, ver­hiel­ten sich, was sie nie ge­glaubt hät­te, takt­voll still in ih­rem Win­kel. Fräu­lein Emi­lie muß­te erst eine ge­wis­se Prü­fung der ver­schie­de­nen Ele­men­te, aus de­nen sich die­se Ge­sell­schaft zu­sam­men­setz­te, vor­neh­men, ehe sie einen An­laß zum Be­spöt­teln fand. Aber es blieb ihr we­der die Zeit für ihre bos­haf­ten kri­ti­schen Be­mer­kun­gen, noch die Mög­lich­keit, eine von den auf­fal­len­den Äu­ße­run­gen, die die Ka­ri­ka­tu­ris­ten so gern sam­meln, zu er­hor­chen. Das stol­ze Ge­schöpf traf auf die­sem wei­ten Ge­fil­de plötz­lich, um eine der Jah­res­zeit ent­spre­chen­de Me­ta­pher zu ge­brau­chen, auf eine Blu­me, de­ren Glanz und Far­ben auf sie mit al­lem Zau­ber des Neu­en wirk­ten. Es be­geg­net uns häu­fig, daß wir ein Kleid, eine Ta­pe­te, ein Stück wei­ßes Pa­pier all­zu zer­streut be­trach­ten, um so­fort einen Fleck oder eine her­vor­leuch­ten­de Stel­le wahr­zu­neh­men, die uns spä­ter plötz­lich so ins Auge fal­len, als ob sie erst in dem Au­gen­blick, da wir sie se­hen, ent­stan­den sei­en; ver­mö­ge ei­nes in­ne­ren, die­sem ähn­li­chen, Vor­gangs sah Fräu­lein von Fon­taine plötz­lich in ei­nem jun­gen Mann den In­be­griff der äu­ße­ren Vor­zü­ge, die sie seit so lan­ger Zeit sich er­träumt hat­te, leib­haft vor sich.

      Sie hat­te sich auf ei­nem der plum­pen Stüh­le, die den Saal um­ga­ben, nie­der­ge­las­sen, und zwar auf dem äu­ßers­ten Platz der Grup­pe, die ihre Fa­mi­lie bil­de­te, um auf­ste­hen oder nach ih­rem Be­lie­ben her­um­ge­hen und die le­ben­den Bil­der und Grup­pen, die sich hier wie bei ei­ner Mu­se­ums­aus­stel­lung dar­bo­ten, be­trach­ten zu kön­nen; un­ge­niert mus­ter­te sie mit ih­rer Lor­gnet­te eine Per­son, die sich zwei Schrit­te vor ihr be­fand, und prüf­te sie, wie man einen ge­mie­te­ten Stu­dien­kopf oder eine Gen­re­sze­ne kri­ti­siert. Nach­dem ihr Blick über das ge­sam­te große le­ben­de Bild des Saa­l­es hin­ge­gan­gen war, blieb er plötz­lich auf dem Ge­sicht haf­ten, das wie ab­sicht­lich an ei­ner Stel­le des Ge­mäl­des in der schöns­ten Be­leuch­tung an­ge­bracht zu sein und mit der gan­zen Per­sön­lich­keit au­ßer je­dem Ver­hält­nis zu dem üb­ri­gen Rest zu ste­hen schi­en. Der ein­sam und träu­me­risch da­ste­hen­de Un­be­kann­te hat­te sich leicht an eine der Säu­len, die das Dach tru­gen, ge­lehnt und hielt sich mit ge­kreuz­ten Ar­men und ge­neig­tem Haup­te in ei­ner Stel­lung, als ob er sich von ei­nem Ma­ler por­trä­tie­ren las­sen woll­te. Ob­gleich vol­ler Stolz und An­mut, hat­te sei­ne Hal­tung doch nichts Af­fek­tier­tes. Kei­ne Ges­te ver­riet, daß er sei­nem Ge­sicht die Drei­vier­tel­an­sicht, und sei­nem Kop­fe die leich­te Nei­gung nach rechts, wie Alex­an­der, Lord By­ron und ei­ni­ge an­de­re große Män­ner, nur ge­ge­ben hat­te, um die Auf­merk­sam­keit auf sich zu zie­hen. Sein Blick folg­te un­ver­rückt den Be­we­gun­gen ei­ner Tän­ze­rin und ver­riet tie­fe An­teil­nah­me an ihr. Sei­ne schlan­ke, schön ent­wi­ckel­te Fi­gur er­in­ner­te an die ed­len Ver­hält­nis­se ei­nes Apol­lo­kör­pers. Schö­nes schwar­zes Haar lock­te sich na­tür­lich über sei­ner ho­hen Stirn. Mit ei­nem ein­zi­gen Blick be­merk­te Fräu­lein von Fon­taine sei­ne fei­ne Wä­sche, sei­ne neu­en zie­gen­le­der­nen Hand­schu­he, die bei ei­nem gu­ten Hand­schuh­ma­cher ge­kauft wa­ren, und sei­ne zier­li­chen Füße mit gut sit­zen­den Stie­feln aus ir­län­di­schem Le­der. Er hat­te sich nicht mit den ge­schmack­lo­sen Ber­lo­cken be­hängt, die die frü­he­ren Zier­ben­gel der Na­tio­nal­gar­de und die Lo­ve­la­ces der Kon­to­re an sich zu tra­gen pfle­gen. Nur ein schwar­zes Band, an dem sein Au­gen­glas be­fes­tigt war, hing über die Wes­te von un­ta­de­li­gem Schnitt her­ab. Nie­mals hat­te die schwer zu be­frie­di­gen­de Emi­lie bei ei­nem Man­ne Au­gen mit so lan­gen und so ge­schwun­ge­nen Wim­pern ge­se­hen. Me­lan­cho­lie und Lei­den­schaft spra­chen aus die­sem männ­li­chen, oliv­far­be­nen Ant­litz. Der Mund schi­en im­mer zum Lä­cheln und zum Öff­nen der be­red­ten Lip­pen be­reit zu sein; aber so, daß sich dar­in nicht Froh­sinn, son­dern eine ge­wis­se lie­be­vol­le Trau­er aus­drück­te. Der Cha­rak­ter die­ses Kop­fes war zu be­deu­tend und zu ei­gen­ar­tig, als daß man hät­te sa­gen mö­gen: Das ist ein schö­ner oder ein hüb­scher Mann! Nein, er er­reg­te auch den Wunsch, ihn nä­her ken­nen­zu­ler­nen. Auch der scharf­sich­tigs­te Beo­b­ach­ter hät­te ge­ste­hen müs­sen, daß er ihn für einen Mann von her­vor­ra­gen­der Be­ga­bung hal­te, den