machte den beiden Herankommenden höflich Platz und lehnte sich an eine andere Säule. Emilie, die von der Höflichkeit des Fremden ebenso betroffen war, wie sie es von einer Unhöflichkeit gewesen wäre, begann nun eine Unterhaltung mit ihrem Bruder, wobei sie lauter sprach, als es der gute Ton gestattete; sie nahm verschiedene Kopfhaltungen an, bewegte sich lebhaft und lachte ohne Anlaß, weniger um ihren Bruder zu unterhalten, als um die Aufmerksamkeit des teilnahmlosen Unbekannten auf sich zu ziehen. Aber keiner dieser Kunstgriffe wollte verfangen. Fräulein von Fontaine folgte jetzt der Richtung der Blicke des jungen Mannes und erkannte nun, weshalb er sich nicht um sie kümmerte.
In der Quadrille vor ihr tanzte eine junge blasse Person, die an die schottischen Göttinnen erinnerte, welche Girodet auf seinem Riesengemälde »Französische Krieger von Ossian empfangen« dargestellt hat. Emilie glaubte in ihr eine berühmte Lady zu erkennen, die seit einiger Zeit ein benachbartes Landgut bewohnte. Ihr Kavalier war ein junger Mann von fünfzehn Jahren mit roten Händen, Nankinghosen, einem blauen Rock und weißen Schuhen, der bewies, daß ihre Tanzleidenschaft sie nicht wählerisch in bezug auf ihren Partner machte. Ihren Bewegungen merkte man ihre anscheinende Schwäche nicht an; nur eine leichte Röte verbreitete sich über ihre blassen Wangen, und ihr Teint fing an sich zu beleben. Fräulein von Fontaine näherte sich der Quadrille, um die Fremde, wenn sie auf ihren Platz zurückging, während die Visavis die gleiche Figur ausführten, besser beobachten zu können. Aber der Unbekannte trat jetzt vor, beugte sich zu der hübschen Tänzerin herab, und die neugierige Emilie konnte deutlich die in befehlendem, aber sanftem Tone gesprochenen Worte verstehen:
»Klara, mein Kind, tanze nicht mehr.«
Klara machte ein etwas ärgerliches Gesicht, nickte aber gehorsam mit dem Kopfe und lächelte schließlich. Nach dem Tanze legte der junge Mann mit aller Vorsorglichkeit eines Liebenden einen Kaschmirschal um die Schultern des jungen Mädchens und wies ihr einen Sitz an, wo sie vor dem Winde geschützt war. Bald darauf folgte Fräulein von Fontaine, die sie aufstehen und außen um den Saal herumgehen sah, wie Leute, die aufbrechen wollen, ihnen unter dem Vorwande, daß sie die Aussichtspunkte des Gartens aufsuchen wolle. Ihr Bruder fügte sich mit spöttischer Gutmütigkeit dieser Laune, draußen so umherzuschweifen. Emilie sah nun, wie das Paar einen eleganten Tilbury bestieg, bei dem sich ein Kutscher in Livree befand: erst in dem Moment, da der junge Mann oben auf dem Kutschersitze die Zügel ordnete, traf sie ein Blick von ihm, der nicht anders war, als wie man mit einem solchen achtlos eine Menschenmenge streift; nachher hatte sie noch die schwache Genugtuung, daß sie ihn zweimal nacheinander den Kopf umwenden sah, und die junge Unbekannte tat desgleichen. War das Eifersucht?
»Ich denke, du hast den Garten nun genügend bewundert,« sagte ihr Bruder, »und wir können den Tanzsaal wieder aufsuchen.«
»Gern«, erwiderte sie. »Glaubst du, daß das eine Verwandte von Lady Dudley war?«
»Lady Dudley kann einen Verwandten bei sich zu Besuch haben,« antwortete der Baron von Fontaine, »aber eine Verwandte, nein.«
Am nächsten Morgen gab Fräulein von Fontaine dem Wunsche Ausdruck, einen Ausritt zu machen. Unmerklich gewöhnte sie ihren alten Onkel und ihre Brüder daran, sie auf solchen Morgenritten zu begleiten, die, wie sie behauptete, ihrer Gesundheit sehr zuträglich waren. Eigenartigerweise bevorzugte sie hierbei die Umgebungen des Dorfes, wo Lady Dudley wohnte. Trotz ihres Umherstreifens zu Pferde sah sie den Fremden nicht so schnell wieder, wie die hoffnungsfreudige Suche nach ihm sie erwarten ließ. Wiederholt besuchte sie den Ball von Sceaux wieder, ohne dort den jungen Engländer zu finden, der wie vom Himmel herabgefallen war, um ihre Träume zu beschäftigen und zu verschönern. Obgleich nichts die entstehende Liebe eines jungen Mädchens so anstachelt wie ein Hindernis, so kam doch für Fräulein Emilie von Fontaine ein Moment, da sie im Begriffe war, diese merkwürdige heimliche Verfolgung aufzugeben, weil sie an dem Erfolge eines Unternehmens verzweifelte, dessen Eigenartigkeit einen Begriff von der Kühnheit ihres Charakters geben kann. Sie hätte in der Tat auch noch lange um das Dorf Ghatenay herumirren können, ohne ihren Unbekannten wiederzusehen. Die junge Klara – mit diesem Namen hatte Fräulein von Fontaine sie ja nennen hören – war keine Engländerin, und der für einen Fremden Gehaltene wohnte nicht in den blühenden, duftenden Anlagen von Chatenay.
Eines Abends, als Emilie mit ihrem Onkel ausgeritten war, dem seit Beginn der schönen Tage seine Gicht ziemlich lange Ruhe gelassen hatte, begegnete sie der Lady Dudley. Neben der berühmten Fremden saß in der Kalesche Herr von Vandenesse. Emilie erkannte das hübsche Paar, und ihr Verdacht war sofort verschwunden, wie Träume schwinden. Ärgerlich wie eine vergeblich wartende Frau, riß sie so scharf an den Zügeln, daß ihr Onkel die größte Mühe hatte, ihr zu folgen, so hatte sie ihr Pony los jagen lassen.
»Ich bin anscheinend zu alt geworden, um diese zwanzigjährigen Geister zu verstehen,« sagte sich der Seemann und setzte sein Pferd in Galopp, »oder vielleicht ist die heutige Jugend der ehemaligen nicht mehr ähnlich. Aber was hat denn meine Nichte? Jetzt läßt sie auf einmal ihr Pferd so langsam gehen, wie ein Gendarm in Paris auf der Straße patrouilliert. Man möchte beinahe sagen, daß sie den braven Bourgeois dort stellen will, der aussieht wie ein träumender Poet, denn er hat, wie mir scheint, ein Album in der Hand. Aber wie dumm bin ich! Sollte das nicht der junge Mann sein, nach dem wir auf der Suche sind?«
Bei diesem Gedanken mäßigte der alte Seemann den Gang seines Pferdes, um sich seiner Nichte ohne Geräusch nähern zu können. Der Vizeadmiral hatte selber zu viele Streiche im Jahre 1771 und den folgenden, in der Epoche, da die galanten Abenteuer beliebt waren, gemacht, um nicht sofort zu vermuten, daß Emilie rein durch Zufall den Unbekannten vom Ball von Sceaux wiedergetroffen hatte. Ungeachtet des Schleiers, den das Alter über seine grauen Augen gebreitet hatte, konnte der Graf von Kergarouet bei seiner Nichte die Zeichen ungewöhnlicher Erregung erkennen, trotz der Unbeweglichkeit, zu der sie ihr Gesicht zu zwingen versuchte. Der durchdringende Blick des jungen Mädchens war mit einer Art starren Staunens auf den Fremden gerichtet, der ruhig vor ihr herging.
»So ist es!« sagte sich der Seemann, »sie wird ihn verfolgen, wie ein Handelsschiff einen Korsaren verfolgt. Und wenn sie gesehen haben wird, daß er sich entfernt, dann wird sie in Verzweiflung sein, daß sie nicht weiß, ob er sie liebt und ob es ein Marquis oder ein Bürgerlicher ist. Die jungen Menschen müßten immer eine alte Perücke wie mich bei sich haben …«
Er