sie oftmals die herrlichen Farben des Sonnenuntergangs. Sie pflückten Gänseblümchen, um die Blätter abzuzupfen, und sangen die leidenschaftlichsten Duette, indem sie sich der Töne Pergoleses oder Rossinis als getreuer Dolmetscher für ihr heimliches Empfinden bedienten.
So kam der Balltag heran. Klara Longueville und ihr Bruder, den die Kammerdiener hartnäckig mit dem Adelsprädikat nannten, waren der Glanzpunkt des Abends. Zum erstenmal in ihrem Leben bereitete der Triumph eines andern jungen Mädchens Fräulein von Fontaine Freude. Sie überhäufte Klara mit ehrlich gemeinten liebevollen Zärtlichkeiten und Bemühungen, die die Frauen einander gewöhnlich nur dann erweisen, wenn sie die Männer eifersüchtig machen wollen. Emilie aber verfolgte ein bestimmtes Ziel, sie wollte Geheimnisse herausbekommen. Aber Fräulein Longueville bewies als weibliches Wesen noch mehr geistige Gewandtheit als ihr Bruder; dabei machte sie gar nicht den Eindruck, als ob sie etwas verschweigen wolle, und verstand es, die Unterhaltung auf einem Gebiet, das mit persönlichen Angelegenheiten nichts zu tun hatte, festzuhalten, und sie tat das in einer so reizenden Weise, daß Fräulein von Fontaine von einer Art Neid ergriffen wurde und sie eine »Sirene« nannte. Während Emilie geplant hatte, Klara zum Reden zu bringen, forschte Klara Emilie aus; sie wollte sich ein Urteil bilden, und sie wurde von der andern ins Verhör genommen; sie ärgerte sich wiederholt, daß sie Züge ihres Charakters in einzelnen Antworten hatte deutlich werden lassen, die Klara in raffinierter Weise aus ihr herausgelockt hatte, wobei sie eine bescheidene, harmlose Miene aufsetzte, die jeden Verdacht an böswillige Absicht fernhielt. Einmal schien Fräulein von Fontaine ärgerlich zu sein, weil sie sich zu einer von Klara provozierten Bemerkung über die Bürgerlichen hatte verleiten lassen.
»Liebes Fräulein,« sagte das reizende junge Wesen, »ich habe Maximilian so viel von Ihnen reden hören, daß ich, aus Liebe zu ihm, den lebhaftesten Wunsch hatte, Sie kennenzulernen; und Sie kennenlernen wollen, ist das nicht dasselbe, wie Sie liebhaben wollen?«
»Ach, liebe Klara, ich hatte Angst, es könnte Ihr Mißfallen erregen, weil ich so über die gesprochen habe, die nicht von Adel sind.«
»Oh, beruhigen Sie sich. Heute hat so etwas ja keine Bedeutung mehr. Mich selber berührt das nicht: ich komme hierbei nicht in Frage.«
Wie zweideutig diese Antwort auch klang, Fräulein von Fontaine war hocherfreut darüber; denn wie alle leidenschaftlich erregten Menschen legte sie sie sich wie einen Orakelspruch in dem Sinne aus, der ihren Wünschen entsprach, und war froher als je, wenn sie beim Tanzen auf Longueville blickte, der in Wesen und Eleganz beinahe noch ihr erträumtes Ideal übertraf. Und sie empfand eine um so tiefere Befriedigung, wenn sie nun dachte, daß er adelig sei; ihre schwarzen Augen strahlten, und sie gab sich dem Tanze mit all der Wonne hin, die man in Gegenwart des Geliebten empfindet. Niemals verstanden sich die beiden Liebenden besser als jetzt; und mehrmals fühlten sie, wie ihre Finger bebten, wenn sich ihre Hände beim Kommando des Kontertanzes berührten.
So kam für das schöne Paar der Beginn des Herbstes unter dauernden Festen und Vergnügungen heran, während es sich weiter dem süßesten Gefühl, das das Leben kennt, hingab und es durch tausend kleine Geschehnisse, die sich jeder vorstellen kann, noch stärker werden ließ: die Liebeshändel gleichen einander ja alle. Dabei suchte einer den andern auszuforschen, soweit eine solche Prüfung geschehen kann, wenn man verliebt ist.
»So schnell hat ein Liebeshandel wohl noch nie zu einer Neigungsheirat geführt, wie es hier kommt«, sagte der alte Onkel, der die beiden jungen Leute mit seinen Blicken verfolgte, wie wenn ein Naturforscher ein Insekt unter das Mikroskop nimmt.
Bei diesem Worte erschraken Herr und Frau von Fontaine. Der alte Vendéer war bezüglich der Heirat seiner Tochter doch nicht so indifferent, wie er vor kurzem erklärt hatte. Er hatte in Paris Erkundigungen angestellt und nichts erfahren können. Beunruhigt über diese mysteriösen Verhältnisse und noch ohne Nachricht über das Ergebnis einer Nachforschung, mit der er einen Pariser Sachwalter in Bezug auf die Familie Longueville betraut hatte, hielt er sich für verpflichtet, seiner Tochter ein vorsichtiges Verhalten anzuraten.
»Wenn du ihn liebst, meine liebe Emilie, so gestehe ihm das wenigstens nicht!«
»Es ist wahr, lieber Vater, ich liebe ihn, aber ich werde es ihm nicht eher sagen, als bis Sie es mir erlaubt haben.«
»Jedenfalls mußt du bedenken, Emilie, daß du über seine Familie und seinen Beruf noch ganz im Unklaren bist.«
»Wenn ich das auch bin, das gilt mir gleich. Sie wünschen doch, lieber Vater, daß ich mich verheirate, und haben mir gestattet, frei zu wählen; meine Wahl ist unwiderruflich getroffen, was ist also noch weiter nötig?«
»Es ist nötig, mein liebes Kind, zu wissen, ob der Mann deiner Wahl der Sohn eines Pairs von Frankreich ist«, erwiderte ironisch der ehrenwerte Edelmann.
Emilie verharrte einen Augenblick in Schweigen. Bald aber erhob sie das Gesicht, sah ihren Vater an und sagte mit einer gewissen Unruhe: »Sind die Longueville?« …
»Erloschen mit der Person des alten Herzogs von Rostein-Limbourg, der 1793 auf dem Schaffot geendet hat. Er war der letzte Abkömmling der letzten jüngeren Linie.«
»Aber es gibt, lieber Vater, doch sehr gute Familien, die von Bastarden abstammen. Die Geschichte Frankreichs wimmelt von Fürsten, deren Wappen einen Querbalken trägt.«
»Deine Ansichten haben sich sehr geändert«, sagte der alte Edelmann lächelnd.
Der nächste Tag war der letzte, den die Familie Fontaine in der Villa Planat zubringen wollte. Emilie, die die Mitteilungen ihres Vaters sehr beunruhigt hatten, erwartete mit lebhafter Ungeduld die Stunde, zu der der junge Longueville zu erscheinen pflegte, um eine Erklärung von ihm zu erlangen. Nach dem Diner begab sie sich allein in den Park und lenkte ihre Schritte nach einem verschwiegenen Boskett, wo sie der sehnsüchtige junge Mann, wie sie wußte, aufsuchen würde; während sie hinging, überlegte sie, wie sie dieses wichtige Geheimnis, ohne sich bloßzustellen, herausbekommen sollte; ein recht schwieriges Unternehmen! Bisher hatte noch kein offenes Geständnis die Neigung, die sie mit dem Unbekannten verband, offenbart. Sie, wie Maximilian, beide hatten die Süße der ersten Liebe genossen, aber da beide gleich stolz waren, schien jeder sich vor dem Geständnis, daß er liebe, zu scheuen.
Maximilian Longueville, dem Klara