Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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Klang et­was Be­lei­di­gen­des hat­te.

      Gleich­zei­tig er­hob der Graf sei­ne Reit­peit­sche, als ob er sei­nem Pfer­de einen Hieb ver­set­zen woll­te und streif­te da­bei die Schul­ter sei­nes Geg­ners, wäh­rend er sag­te: »Die li­be­ra­len Bour­geois sind Kan­ne­gie­ßer, und je­der Kan­ne­gie­ßer soll­te vor­sich­tig sein.«

      Der jun­ge Mann stieg bei die­ser höh­ni­schen Be­mer­kung die Stra­ßen­bö­schung hin­auf, stell­te sich hier mit ge­kreuz­ten Ar­men hin und er­wi­der­te in sehr er­reg­tem Tone:

      »Mein Herr, wenn ich Ihr wei­ßes Haar sehe, kann ich ei­gent­lich nicht an­neh­men, daß es Ih­nen noch Spaß macht, ein Duell zu pro­vo­zie­ren.«

      »Wei­ßes Haar?« schrie der See­mann, ihn un­ter­bre­chend, »das lügst du in dei­nen Hals hin­ein, grau sind sie erst.«

      Der so be­gon­ne­ne Dis­put wur­de nach we­ni­gen Se­kun­den so heiß, daß der jun­ge Geg­ner den ge­mä­ßig­ten Ton, den er bis da­hin fest­zu­hal­ten sich be­müht hat­te, fal­len ließ. So­bald der Graf von Ker­ga­rou­et sei­ne Nich­te mit al­len An­zei­chen leb­haf­ter Un­ru­he sich ih­nen nä­hern sah, nann­te er sei­nem Wi­der­sa­cher sei­nen Na­men und er­such­te ihn, vor der jun­gen Dame, die sei­ner Hut an­ver­traut war, Schwei­gen zu be­wah­ren. Der Un­be­kann­te konn­te ein Lä­cheln nicht un­ter­drücken, über­reich­te dem al­ten See­mann eine Kar­te, in­dem er ihn dar­auf auf­merk­sam mach­te, daß er ein Land­haus in Che­vreu­se be­wohn­te, und ent­fern­te sich dann schnell, nach­dem er es ihm nä­her be­zeich­net hat­te.

      »Bei­na­he hät­test du die­sen ar­men Zi­vi­lis­ten ver­letzt, mei­ne lie­be Nich­te«, sag­te der Graf, der sich be­eilt hat­te, Emi­lie ent­ge­gen­zu­rei­ten. »Du hast dein Pferd nicht fest im Zü­gel. Du läßt mich da mei­ne Wür­de aufs Spiel set­zen, da­mit ich dei­ne Tor­hei­ten de­cke; wärst du bei mir ge­blie­ben, so hät­te ein ein­zi­ger Blick oder ein freund­li­ches Wort von dir, wie du sie so nett zu sa­gen weißt, wenn du nicht rück­sichts­los sein willst, al­les in Ord­nung ge­bracht, wäh­rend er so einen Arm­bruch hät­te da­von­tra­gen kön­nen.«

      »Aber, lie­ber On­kel, es war doch Ihr Pferd und nicht meins, das die Schuld trägt. Ich glau­be wahr­haf­tig, Sie kön­nen nicht mehr rei­ten; Sie sind nicht mehr der gute Rei­ter, der Sie noch im letz­ten Jah­re wa­ren. Aber an Stel­le die­ses lee­ren Ge­re­des …«

      »Teu­fel noch­mal! Das nennst du lee­res Ge­re­de, wenn du dei­nem On­kel Grob­hei­ten sagst?«

      »Müs­sen wir uns nicht er­kun­di­gen, ob der jun­ge Mann nicht ver­letzt ist? Se­hen Sie doch, On­kel, er hin­kt ja.«

      »Ach nein, er rennt. Ich habe ihm or­dent­lich den Kopf zu­recht­ge­setzt.«

      »Ah so, On­kel, dar­an er­ken­ne ich Sie.«

      »Halt, mei­ne lie­be Nich­te«, sag­te der Graf und hielt Emi­lies Pferd am Zü­gel fest. »Ich sehe kei­ne Not­wen­dig­keit, we­gen ir­gend­ei­nes be­lie­bi­gen La­den­schwen­gels Um­stän­de zu ma­chen, der über­glück­lich sein müß­te, wenn er von ei­nem rei­zen­den jun­gen Mäd­chen oder dem Kom­man­dan­ten der ›Bel­le-Pou­le‹ nie­der­ge­rit­ten wor­den wäre.«

      »Wes­halb mei­nen Sie denn, daß er ein Ple­be­jer ist, lie­ber On­kel? Mir scheint, daß er sehr gute Ma­nie­ren hat.«

      »Alle Welt hat heu­te gute Ma­nie­ren, mein Kind.«

      »Nein, lie­ber On­kel, alle Welt hat nicht das Auf­tre­ten und die Hal­tung, die nur der stän­di­ge Ver­kehr mit der gu­ten Ge­sell­schaft ver­leiht; ich bin gern be­reit, mit Ih­nen zu wet­ten, daß der jun­ge Mann zum Adel ge­hört.«

      »Du hast nicht ge­ra­de viel Zeit ge­habt, um ihn ge­nau an­zu­se­hen.«

      »Ich sehe ihn ja nicht zum ers­ten Male.«

      »Und es ist auch nicht das ers­te­mal, daß du auf der Su­che nach ihm bist«, er­wi­der­te der Ad­mi­ral la­chend.

      Emi­lie wur­de rot, und ihr On­kel wei­de­te sich dar­an, sie eine Zeit­lang in ih­rer Ver­le­gen­heit zu las­sen; dann sag­te er: »Emi­lie, du weißt, daß ich dich wie mein ei­ge­nes Kind lie­be, und zwar ge­ra­de des­halb, weil du die ein­zi­ge in der Fa­mi­lie bist, die den Ah­nen­stolz be­sitzt, den eine vor­neh­me Ge­burt ver­leiht. Wer, beim Teu­fel, hät­te ah­nen kön­nen, daß sol­che wich­ti­gen Grund­sät­ze heu­te so sel­ten ge­wor­den sein wür­den? Also, ich will dein Ver­trau­ter sein. Ich sehe wohl, Klei­ne, daß die­ser jun­ge Gent­le­man dir nicht gleich­gül­tig ist. Still! Die Fa­mi­lie wür­de uns aus­la­chen, wenn wir un­ter falscher Flag­ge se­gel­ten. Du weißt, was das be­deu­tet. Also laß mich dir hel­fen, Kind. Hal­ten wir die Sa­che ge­heim, und ich ver­spre­che dir, daß ich ihn in un­ser Haus brin­gen wer­de.«

      »Und wann, lie­ber On­kel?«

      »Mor­gen.«

      »Aber, lie­ber On­kel, das ver­pflich­tet mich doch noch zu nichts?«

      »Ab­so­lut zu nichts, und du kannst ihn be­schie­ßen, ihn in Brand ste­cken und ihn dann wie eine ge­brauch­te alte Tas­se ste­hen­las­sen, wenn es dir be­liebt. Er wird dann nicht der ers­te Sol­che sein, nicht wahr?«

      »Du bist so gut, lie­ber On­kel!«

      So­bald der Graf heim­ge­kehrt war, setz­te er sei­ne Bril­le auf die Nase, zog heim­lich die Kar­te aus der Ta­sche und las: »Ma­xi­mi­li­an Lon­gue­ville, Rue de Sen­tier.«

      »Sei be­ru­higt, mei­ne Lie­be,« sag­te er zu Emi­lie, »du kannst mit al­ler Ge­wis­sens­ru­he nach ihm an­geln, er ge­hört ei­ner un­se­rer his­to­ri­schen Fa­mi­li­en an; und wenn er noch nicht Pair von Frank­reich ist, so wird er es un­fehl­bar wer­den.«

      »Und wo­her wis­sen Sie das?«

      »Das ist mein Ge­heim­nis.«

      »Ken­nen Sie denn sei­nen Na­men?«

      Der Graf nick­te mit sei­nem grau­en Haup­te, das ei­nem al­ten Ei­chen­stamm glich, um den ei­ni­ge Blät­ter, die die Herbst­käl­te zu­sam­men­trock­nen ließ, sich rank­ten; auf die­ses Zei­chen hin be­gann sei­ne Nich­te, ihn die im­mer wie­der neue Macht ih­rer Ko­ket­te­ri­en füh­len zu las­sen. Sie ver­stand die Kunst, den al­ten See­mann zu um­schmei­cheln, und über­häuf­te ihn mit den kind­lichs­ten Zärt­lich­kei­ten und den sü­ßes­ten Wor­ten; sie ging selbst so­weit, ihn zu um­ar­men, um das ihr so wich­ti­ge Ge­heim­nis zu er­fah­ren. Der Alte, der sei­ne Zeit da­mit ver­brach­te, sich von sei­ner Nich­te sol­che Sze­nen vor­spie­len zu las­sen, und sie oft mit ei­nem Schmuck oder der Über­las­sung sei­ner Loge im Théâtre des Ita­li­ens be­zahl­te, ge­fiel sich dies­mal dar­in, sich bit­ten und vor al­lem, sich lieb­ko­sen zu las­sen. Da er aber sein Ver­gnü­gen zu lan­ge aus­deh­nen woll­te, so wur­de Emi­lie böse, ging von Zärt­lich­kei­ten zu bos­haf­ten Be­mer­kun­gen über, schmoll­te und nä­her­te sich ihm dann doch wie­der, von ih­rer Neu­gier ge­trie­ben. Der schlaue See­mann ließ sich von ihr das fei­er­li­che Ver­spre­chen ge­ben, in Zu­kunft zu­rück­hal­ten­der, sanf­ter, we­ni­ger ei­gen­sin­nig und spar­sa­mer zu sein, vor al­lem aber, daß sie ihm al­les sa­gen wür­de. Die­ser Ver­trag wur­de ge­schlos­sen und mit ei­nem Kus­se be­sie­gelt, den er auf Emi­li­ens wei­ße Stirn drück­te; dann nahm er sie in einen Win­kel des Zim­mers mit sich, setz­te sie auf sei­ne Knie, nahm die Kar­te zwi­schen