Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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lang­sa­men Schrit­tes zu der Ge­sell­schaft im Sa­lon zu­rück. Noch nie­mals hat­te Fräu­lein von Fon­taine ih­ren An­be­ter so lie­bens­wür­dig und so geist­voll ge­se­hen: sei­ne schlan­ke Fi­gur, sein an­zie­hen­des We­sen er­schie­nen ihr noch reiz­vol­ler, seit­dem die eben statt­ge­hab­te Un­ter­re­dung sie des Be­sit­zes ei­nes Her­zens ver­si­chert hat­te, um das sie alle Frau­en be­nei­den konn­ten. Sie san­gen ein ita­lie­ni­sches Duett mit sol­chem Aus­druck, daß die Ge­sell­schaft be­geis­tert Bei­fall klatsch­te. Ihr Ab­schied hat­te et­was Kon­ven­tio­nel­les, hin­ter dem sie ihr Glück ver­ber­gen woll­ten. So wur­de die­ser Tag für das jun­ge Mäd­chen eine Ket­te, die sie noch fes­ter an das Ge­schick des Un­be­kann­ten fes­sel­te. Die Kraft und Wür­de, die er bei der Sze­ne, in der sie sich ihre Ge­füh­le ge­stan­den, ent­wi­ckelt hat­te, muß­ten Fräu­lein von Fon­taine mit der Ach­tung er­fül­len, ohne die es kei­ne wah­re Lie­be gibt. Als sie al­lein mit ih­rem Va­ter im Sa­lon zu­rück­ge­blie­ben war, ging der ehr­wür­di­ge Ven­déer auf sie zu, nahm sie zärt­lich bei der Hand und frag­te sie, ob sie ir­gend­ei­ne Auf­klä­rung über das Ver­mö­gen und die Fa­mi­lie des Herrn Lon­gue­ville er­hal­ten hät­te.

      »Ja, lie­ber Va­ter,« er­wi­der­te sie, »ich bin noch glück­li­cher, als ich es mir wün­schen konn­te. Herr von Lon­gue­ville ist der ein­zi­ge Mann, den ich hei­ra­ten will.«

      »Gut, Emi­lie,« ant­wor­te­te der Graf, »dann weiß ich, was ich zu tun habe.«

      »Soll­ten Sie ir­gend­ein Hin­der­nis ken­nen?« frag­te sie mit wirk­li­cher Angst.

      »Mein lie­bes Kind, nie­mand kennt die­sen jun­gen Mann; aber, vor­aus­ge­setzt, daß er kein un­eh­ren­haf­ter Mann ist, soll er mir von dem Au­gen­blick an, wo du ihn liebst, eben­so teu­er sein wie ein Sohn.«

      »Ein un­eh­ren­haf­ter Mann?« er­wi­der­te Emi­lie, »dar­über bin ich ganz be­ru­higt. Der On­kel, der ihn uns vor­ge­stellt hat, kann Ih­nen für ihn gut­sa­gen. Sa­gen Sie doch, lie­ber On­kel, ist er ein See­räu­ber, ein Frei­beu­ter, ein Kor­sar ge­we­sen?«

      »Das habe ich mir ge­dacht, daß es da­hin kom­men wür­de«, rief der alte See­mann, der aus dem Schla­fe er­wach­te, aus.

      Er sah sich im Sa­lon um, aber sei­ne Groß­nich­te war ver­schwun­den, wie ein Sankt-Elms­feu­er, um sei­nen üb­li­chen Aus­druck an­zu­wen­den.

      »Nun also, lie­ber On­kel,« be­gann Herr von Fon­taine wie­der, »wie ha­ben Sie uns nur al­les, was Sie über den jun­gen Mann wis­sen, ver­heim­li­chen kön­nen? Sie muß­ten doch se­hen, wie be­un­ru­higt wir wa­ren. Ist Herr von Lon­gue­ville von gu­ter Fa­mi­lie?«

      »Ich ken­ne ihn nicht von Adams oder von Evas Sei­te her«, rief der Graf von Ker­ga­rou­et aus. »Ich habe mich auf den Takt uns­res klei­nen Toll­kopfs ver­las­sen und ihr ih­ren Saint-Preux durch ein mir be­kann­tes Mit­tel zu­ge­führt. Ich weiß nur, daß der Jun­ge wun­der­bar schießt, ein vor­treff­li­cher Jä­ger ist, vor­züg­lich Bil­lard, Schach und Trik­trak spielt; er ficht und rei­tet wie der se­li­ge Rit­ter Sankt Ge­org. Er ist kul­ti­viert wie un­se­re Wein­ber­ge. Er rech­net wie Barè­me, er zeich­net, tanzt und singt gut. Also, was, zum Teu­fel, wollt ihr denn noch? Wenn das nicht ein voll­kom­me­ner Edel­mann ist, so zeigt mir doch einen Bür­ger­li­chen, der das al­les kann, einen Men­schen, der so vor­nehm lebt wie er. Tut er ir­gend­was? Ent­wür­digt er sich da­mit, daß er in ein Bu­reau geht, um sich vor den Par­ve­n­us, die ihr Ge­ne­ral­di­rek­to­ren nennt, zu ver­nei­gen? Er geht mit er­ho­be­nem Haup­te um­her, er ist ein Mann. Üb­ri­gens habe ich eben in mei­ner Wes­ten­ta­sche die Kar­te ge­fun­den, die er mir über­reicht hat, als die arme Un­schuld dach­te, ich woll­te ihm den Hals bre­chen! Die heu­ti­ge Ju­gend ist nicht sehr ge­ris­sen. Hier ist sie.«

      »Rue du Sen­tier Num­mer fünf«, sag­te Herr von Fon­taine und ver­such­te sich zu er­in­nern, ob un­ter den Aus­künf­ten, die er er­hal­ten hat­te, eine sich auf den jun­gen Un­be­kann­ten be­zie­hen könn­te. »Was, zum Teu­fel, be­deu­tet das? Die Her­ren Pal­ma, Wer­brust und Kom­pa­nie, de­ren Haupt­ge­schäft ein En­gros­han­del mit Mus­se­lin, Schir­ting und bun­ten Stof­fen ist, die woh­nen ja dort. Jetzt weiß ich Be­scheid, Lon­gue­ville, der Ab­ge­ord­ne­te, ist bei ih­rem Hau­se be­tei­ligt. Aber Lon­gue­ville hat, wie ich weiß, nur einen Sohn von zwei­und­drei­ßig Jah­ren, der un­serm hier ab­so­lut nicht ähn­lich ist, und dem er fünf­zig­tau­send Fran­ken Ren­te mit­ge­ben will, da­mit er die Toch­ter ei­nes Mi­nis­ters hei­ra­tet; er möch­te gern, wie an­de­re auch, zum Pair er­nannt wer­den. Nie­mals habe ich ihn von die­sem Ma­xi­mi­li­an re­den hö­ren. Hat er eine Toch­ter? Und ist das die­se Kla­ra? Üb­ri­gens kann sich ja je­der Schwind­ler Lon­gue­ville nen­nen. Aber ist die Fir­ma Pal­ma, Wer­brust und Kom­pa­nie nicht halb rui­niert durch eine Spe­ku­la­ti­on in Me­xi­ko und In­di­en? Ich wer­de das al­les auf­klä­ren.«

      »Du re­dest ganz al­lein, als ob du auf der Büh­ne stän­dest, und scheinst mich für eine Null an­zu­se­hen«, sag­te plötz­lich der alte See­mann. »Weißt du denn nicht, daß ich, wenn er ein Edel­mann ist, mehr als einen Sack in mei­nen Lu­ken ste­hen habe, mit dem ich sei­nem Ver­mö­gen auf­hel­fen wer­de?«

      »Was das an­langt, so hat er das, wenn er ein Sohn von Lon­gue­ville ist, nicht nö­tig; aber«, sag­te Herr von Fon­taine und wieg­te den Kopf hin und her, »sein Va­ter hat ja nicht ein­mal ›Sei­fe an die Ka­nail­le ver­kauf­t‹. Vor der Re­vo­lu­ti­on war er Staats­an­walt, und das ›von‹, das er seit der Re­stau­ra­ti­on sich an­ge­eig­net hat, ge­hört ihm eben­so­gut, wie die Hälf­te sei­nes Ver­mö­gens.«

      »Ja, ja! Glück­lich die Leu­te, de­ren Vä­ter ge­henkt wor­den sind«, rief der See­mann ver­gnügt.

      Drei oder vier Tage nach die­sem denk­wür­di­gen Tage war Fräu­lein von Fon­taine an ei­nem der schö­nen No­vem­ber­vor­mit­tage, da die Pa­ri­ser Bou­le­vards durch die schar­fe Käl­te des ers­ten Fros­tes tro­cken ge­wor­den sind, in ei­nem neu­en Pelz, den sie in Mode brin­gen woll­te, mit ih­ren bei­den Schwä­ge­rin­nen, die sie frü­her am meis­ten mit Bos­hei­ten über­schüt­tet hat­te, aus­ge­fah­ren. Die drei Da­men wa­ren zu die­ser Pro­me­na­de in Pa­ris weit we­ni­ger ver­an­laßt wor­den, weil sie einen neu­en, sehr ele­gan­ten Wa­gen pro­bie­ren oder Klei­der, die für die Win­ter­mo­de den Ton an­ge­ben soll­ten, zei­gen woll­ten, als um eine Pe­le­ri­ne an­zu­se­hen, die ei­ner ih­rer Freun­din­nen in ei­nem vor­neh­men Wä­sche­ge­schäft an der Ecke der Rue de la Paix auf­ge­fal­len war. Als die drei Da­men den La­den be­tre­ten hat­ten, zog die Baro­nin von Fon­taine Emi­lie am Är­mel und zeig­te ihr Ma­xi­mi­li­an Lon­gue­ville, der im Kon­tor saß und da­mit be­schäf­tigt war, mit kauf­män­ni­scher Ge­wandt­heit ei­ner Näh­te­rin, mit der er zu ver­han­deln schi­en, ein Gold­stück zu wech­seln. In der Hand hielt der »schö­ne Un­be­kann­te« meh­re­re Pro­ben, die kei­nen Zwei­fel über sei­nen eh­ren­wer­ten Be­ruf lie­ßen. Ohne daß je­mand es wahr­nahm, wur­de Emi­lie mit Eis­käl­te durch­rie­selt. Aber dank der Le­bens­art der gu­ten Ge­sell­schaft ver­barg sie voll­kom­men die Wut, die ihr ans Herz griff, und ant­wor­te­te ih­rer Schwä­ge­rin: »Ich wuß­te es!« mit so vol­ler Stim­me und so un­nach­ahm­li­cher Be­to­nung, daß die be­rühm­tes­te Schau­spie­le­rin die­ser Zeit sie dar­um be­nei­det ha­ben wür­de. Dann nä­her­te sie sich dem Kon­tor. Lon­gue­ville er­hob den Kopf, steck­te die Pro­ben mit ver­zwei­fel­ter Kalt­blü­tig­keit