Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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der Spott der ver­folg­ten po­li­ti­schen An­sich­ten ver­ste­cken konn­te. Ge­stützt auf die Pres­se, hat­te Gau­diss­art schon in den ers­ten Städ­ten, wo er sein Mund­werk losließ, einen glän­zen­den Er­folg. Alle La­den­händ­ler woll­ten ein­ge­rahm­te An­kün­di­gun­gen mit dem Bil­de von Hero und Le­an­der ha­ben. Fi­not hat­te über das Ma­cassar­öl eine rei­zen­de Par­odie ver­faßt, die in den Fu­n­am­bu­les große Hei­ter­keit er­reg­te, wenn Pier­rot einen al­ten Haar­be­sen nimmt, der nur noch Lö­cher hat, Ma­cassar­öl dar­auf gießt und ihn dann dicht be­laubt wie einen Wald vor­zeigt. Die­se Iro­nie er­reg­te all­ge­mei­nes Ge­läch­ter. Fi­not er­zähl­te spä­ter mit Ver­gnü­gen, daß er da­mals ohne die tau­send Ta­ler vor Elend und Kum­mer ge­stor­ben wäre. Die tau­send Ta­ler be­deu­te­ten für ihn ein Ver­mö­gen. Bei die­sem Feld­zug ahn­te er als ers­ter die Macht der An­zei­ge, von der er einen so großen und so ge­schick­ten Ge­brauch mach­te. Drei Mo­na­te spä­ter war er Che­fre­dak­teur ei­ner klei­nen Zei­tung, die er schließ­lich an­kauf­te und die der Grund­stein sei­nes Ver­mö­gens wur­de. Eben­so wie die vol­le La­dung, die der be­rühm­te Gau­diss­art, der Mu­rat der Rei­sen­den, auf die De­par­te­ments und die Grenz­ge­bie­te ab­ge­schos­sen hat­te, dem Hau­se A. Po­pi­not kauf­män­nisch zum Sie­ge ver­half, so sieg­te es auch in der öf­fent­li­chen Mei­nung durch die star­ke Be­tei­li­gung der Zei­tun­gen, die das all­ge­mei­ne Be­kannt­wer­den der Bra­si­lia­ni­schen Mix­tur und der Pas­te Re­gnauld ver­an­laßt hat­te. Beim ers­ten Auf­tre­ten ließ die­se im Sturm er­folg­te Erobe­rung der öf­fent­li­chen Mei­nung drei­fa­chen Er­folg und drei­fa­ches Ver­mö­gen er­zie­len und mach­te den Weg frei für den Zustrom von tau­send­fa­chen nach Er­folg rin­gen­den An­sprü­chen, die seit­dem in ge­schlos­se­nen Ba­tail­lo­nen in die Are­na des Zei­tungs­we­sens hin­ab­ge­stie­gen sind, wo sie mit der be­zahl­ten An­zei­ge eine un­ge­heu­re Re­vo­lu­ti­on her­vor­ge­ru­fen ha­ben! In die­sem Au­gen­blick mach­te sich die Fir­ma A. Po­pi­not & Co. an al­len Mau­ern und in al­len Schau­fens­tern breit. Au­ßer­stan­de, die Wich­tig­keit ei­ner sol­chen Pub­li­zi­tät rich­tig ein­zu­schät­zen, be­gnüg­te sich Bi­rot­teau da­mit, zu Cäsa­ri­ne zu sa­gen: »Der klei­ne Po­pi­not tritt in mei­ne Fuß­tap­fen!«, ohne den Un­ter­schied der Zei­ten zu be­grei­fen und ohne die Be­deu­tung des neu­en Ver­fah­rens zu wür­di­gen, des­sen ra­pi­de Aus­brei­tung viel schnel­ler als in frü­he­ren Zei­ten die Han­dels­welt er­ober­te. Seit dem Bal­le hat­te Bi­rot­teau noch kei­nen Fuß in sei­ne Fa­brik ge­setzt: er hat­te da­her kei­ne Ah­nung, wel­chen Ei­fer und wel­che Tä­tig­keit Po­pi­not hier ent­wi­ckel­te. An­selm hat­te sämt­li­che Ar­bei­ter Bi­rot­te­aus mit Be­schlag be­legt und brach­te selbst die Nacht hier zu; auf al­len Kis­ten, al­len Pa­ke­ten, al­len Rech­nun­gen sah er Cäsa­ri­nes Bild; »sie wird mein Weib wer­den!« sag­te er zu sich, wenn er ohne Rock, mit auf­ge­krem­pel­ten Hemds­är­meln, ent­schlos­sen die Kis­ten selbst zu­na­gel­te, weil sei­ne Kom­mis Be­sor­gun­gen ma­chen muß­ten.

      Nach­dem er die gan­ze Nacht al­les über­legt hat­te, was er ei­nem großen Man­ne der Hoch­fi­nanz sa­gen und nicht sa­gen sol­le, ging Cäsar am nächs­ten Tage nach der Rue du Houssaye und be­trat, nicht ohne schau­der­haf­tes Herz­klop­fen, das Haus des li­be­ra­len Ban­kiers, der zu der Par­tei ge­hör­te, die mit vol­lem Recht be­schul­digt wur­de, die Bour­bo­nen ver­trei­ben zu wol­len. Der Par­füm­händ­ler war, wie alle Pa­ri­ser Klein­händ­ler, mit den Ge­wohn­hei­ten und den Per­sön­lich­kei­ten der großen Bank­welt nicht ver­traut. Zwi­schen der Hoch­fi­nanz und dem Han­del ste­hen in Pa­ris Fir­men zwei­ten Ran­ges, die der Bank­welt als Ver­mitt­ler von Nut­zen sind und die ihr noch eine Ga­ran­tie mehr bie­ten. Kon­stan­ze und Bi­rot­teau, die sich nie­mals über ihre Mit­tel hin­aus en­ga­giert hat­ten, de­ren Kas­se nie­mals leer ge­we­sen war und die die Wech­sel im Por­te­feuil­le be­hal­ten hat­ten, wa­ren mit die­sen Häu­sern zwei­ten Ran­ges nie in Ver­bin­dung ge­tre­ten; um so we­ni­ger wa­ren ih­nen die Re­gio­nen der Hoch­fi­nanz be­kannt. Es ist viel­leicht falsch, sich kei­nen Kre­dit zu schaf­fen, auch wenn man ihn nicht nö­tig hat: die An­sich­ten über die­sen Punkt sind ge­teilt. Wie dem auch sein mag, Bi­rot­teau be­dau­er­te jetzt sehr, daß er sei­ne Un­ter­schrift nie­mals in Um­lauf ge­setzt hat­te. Da er aber als Bei­ge­ord­ne­ter und als Po­li­ti­ker kein un­be­kann­ter Mann war, so glaub­te er, sich nur nen­nen zu brau­chen, um emp­fan­gen zu wer­den; er hat­te kei­ne Ah­nung von dem wie im kö­nig­li­chen Vor­zim­mer er­fol­gen­den Zustrom zu den Au­di­en­zen des Ban­kiers. Als er in den Sa­lon vor dem Ar­beits­zim­mer des in so vie­len Be­zie­hun­gen be­rühm­ten Man­nes ge­führt wor­den war, sah sich Bi­rot­teau in­mit­ten ei­ner zahl­rei­chen Ge­sell­schaft von De­pu­tier­ten, Schrift­stel­lern, Jour­na­lis­ten, Bör­sen­mak­lern, großen Kauf­leu­ten, Ge­schäfts­leu­ten, In­ge­nieu­ren und vor al­lem von Ver­trau­ten, die durch die Grup­pen hin­durch­gin­gen und mit ei­nem be­son­de­ren Zei­chen an die Tür des Ar­beits­zim­mers an­klopf­ten, wo sie dann au­ßer der Rei­he ein­ge­las­sen wur­den. »Was be­deu­te ich in­mit­ten die­ser großen Ma­schi­ne­rie?« sag­te sich Bi­rot­teau, ganz ver­wirrt von dem Ge­trie­be die­ser geis­ti­gen Schmie­de­werk­statt, aus der sich die Op­po­si­ti­on mit ih­rem täg­li­chen Brot ver­sorg­te und wo die Thea­ter­pro­ben der großen Tra­gi­ko­mö­die ab­ge­hal­ten wur­den, die die Lin­ke spiel­te. Zu sei­ner Rech­ten hör­te er die Fra­ge der An­lei­he für die Fer­tig­stel­lung der wich­tigs­ten Kanä­le, die die We­ge­bau­ver­wal­tung pro­jek­tiert hat­te, dis­ku­tie­ren, und es han­del­te sich hier­bei um Mil­lio­nen! Zu sei­ner Lin­ken un­ter­hiel­ten sich Jour­na­lis­ten, die als Stel­lungs­jä­ger der Ei­gen­lie­be des Ban­kiers schmei­chel­ten, über die gest­ri­ge Sit­zung und die im­pro­vi­sier­te Rede ih­res Be­schüt­zers. Wäh­rend der zwei Stun­den, die er schon war­te­te, be­kam Bi­rot­teau den Ban­kier und Po­li­ti­ker drei­mal zu Ge­sicht, als er nam­haf­te Per­sön­lich­kei­ten bis drei Schrit­te vor sei­ne Tür be­glei­te­te. Mit dem letz­ten, dem Ge­ne­ral Foy, ging Franz Kel­ler bis ins Vor­zim­mer.

      »Ich bin ver­lo­ren!« sag­te Bi­rot­teau, dem sich das Herz zu­sam­men­krampf­te, zu sich.

      Als der Ban­kier nach sei­nem Ar­beits­zim­mer zu­rück­ging, stürz­te sich die Meu­te von Höf­lin­gen, Freun­den und In­ter­es­sen­ten auf ihn, wie Hun­de, die hin­ter ei­ner hüb­schen Hün­din her sind. Ei­ni­ge fre­che Kö­ter dräng­ten sich ge­gen sei­nen Wil­len in das Al­ler­hei­ligs­te. Die Kon­fe­ren­zen dau­er­ten fünf Mi­nu­ten, zehn Mi­nu­ten, eine Vier­tel­stun­de. Die einen gin­gen zer­knirscht weg, die an­dern tru­gen ein zu­frie­de­nes Aus­se­hen zur Schau oder nah­men eine wich­ti­ge Mie­ne an. Die Zeit ver­floß, und Bi­rot­teau sah angst­voll auf die Uhr. Kein Mensch be­ach­te­te die­sen Schmerz, der auf dem ver­gol­de­ten Ses­sel am Ka­min­win­kel seufz­te, an der Tür die­ses Zim­mers, in dem das All­heil­mit­tel sich be­fand, der Kre­dit! Mit Kum­mer dach­te Cäsar dar­an, wie auch er zu Hau­se einen Au­gen­blick ein Kö­nig ge­we­sen war, so wie die­ser Mann alle Mor­gen ein Kö­nig war, und er er­maß die Tie­fe des Ab­grunds, in den er ge­stürzt war. Ein bit­te­rer Ge­dan­ke! Wie­viel Trä­nen wa­ren in die­ser Stun­de hier ver­schluckt wor­den! … Wie­viel­mal hat­te Bi­rot­teau Gott an­ge­fleht, ihm die­sen Mann güns­tig zu stim­men, bei dem er un­ter der star­ken Hül­le po­pu­lär sein wol­len­der Lie­bens­wür­dig­keit eine Rück­sichts­lo­sig­keit, eine ty­ran­ni­sche Schär­fe und eine bru­ta­le