Georg Markus

Tausend Jahre Kaiserschmarrn


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Nervös klopften die beiden Staatsmänner auf ihre Telefonhörer.

      »Hey, what’s going on there?« fragte Eisenhower einen zufällig neben ihm stehenden CIA-Experten.

      »Briderchen, seid ihr verrückt geworden?« brüllte Chruschtschow, zog seinen rechten Schuh aus und ließ ihn lautstark auf den Schreibtisch knallen. Ein ebenfalls zufällig anwesender Ingenieur des KGB wurde im selben Augenblick von einem Polizeiorgan abgeführt und zu einem Kuraufenthalt von unbestimmter Dauer in Sibiriens idyllische Winterlandschaft transferiert.

      »Somebody muß in der Leitung sein«, konstatierte Präsident Eisenhower, als er sich ein wenig beruhigt hatte. »Who is there, melden Sie sich freiwillig!«

      »Dobrej djen, Towarisch, dawai, dawai«, brüllte der Kremlchef.

      »Hier Dr. Peterlunger, österreichische Staatspolizei«, war nach einer kurzen Pause endlich die gemütliche Stimme eines Herrn mit leicht wienerischem Akzent zu vernehmen, »bin i richtig verbunden mit Herrn Eisenhower, Dwight, amerikanischer Staatsbürger, geboren am 14. 10. 1890 in Denison/Texas, wohnhaft Washington D. C., Weißes Haus, Familienstand: verheiratet? Sowie mit Herrn Chruschtschow, Nikita, sowjetischer Staatsbürger, geboren am 17. 4. 1894 in Kalinowka/Rußland, wohnhaft Moskau, Roter Platz, Kreml, Familienstand: verheiratet …?«

      »Yes« – »Da, da«, bestätigten die Befragten im telefonischen Verhör.

      »Gott sei Dank bin i durch’kommen«, zeigte sich der Herr aus Wien erleichtert, »i hab’ mir erlaubt, mich namens der österreichischen Bundesregierung in Ihr Gespräch einzuschalten, um Ihnen eine kleine Melodie aus Wien vorzuspielen.«

      »Eine Melodie aus Wien?« hörte man unisono aus Kreml und Weißem Haus.

      »Ja, bitte genau aufpassen, meine Herren!« Dr. Peterlunger legte eine Schallplatte auf den Plattenteller. Sie kratzte laut vernehmbar von Wien nach Moskau und Washington. Und nach kurzer Zeit erklang eine liebliche Weise im Telefonnetz.

      Atemlos lauschten US-Präsident und KPdSU-Chef, während rund um den Erdball postierte Geheimdienstleute die folgenden Worte verzweifelt zu entschlüsseln versuchten:

      I weiß net, was das is, i trink so gern a Flascherl Wein, ’s muß grad ka b’sonderer Anlaß oder Sonntag sein

      »What’s that?« fragte General Eisenhower erstaunt, »it’s a beautiful song!«

      »Schto eto, was ist das?« wollte auch Chruschtschow wissen.

      »Warten S’ a bißl, meine Herren, es geht no weiter«, und immer noch tönte es im völkerverbindenden Heurigentakt:

      … drum hab’ den Gumpoldskirchner ich so vom Herzen gern.

      Und wenn i stirb, möcht ich a Reblaus wieder wer’n.

      »What is a Reblaus?« fragte Eisenhower.

      »A Reblaus«, kramte Dr. Peterlunger sein bestes Mittelschulenglisch hervor, »is a little Viecherl, das den Wein kaputt macht.«

      »Warum will der Towarisch Sänger so etwas Furchtbares werden?« mischte sich Chruschtschow ein.

      »Das ist leider nicht überliefert«, antwortete der österreichische Beamte, während er die Platte vom Plattenteller hob und penibel abstaubte. »It’s a popular song, introduced by our great Viennaliedsinger Hans Moser.«

      Eisenhower und Chruschtschow hatten Tränen in den Augen.

      »Okay, ihr habt den Staatsvertrag«, sagte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und schluchzte haltlos in den Äther.

      »Wsjo choroscho, praweno, Towarisch, ich bin einverstanden«, plärrte jetzt auch Chruschtschow drauflos.

      Nur Dr. Peterlunger blieb gefaßt und konnte einem ihm gegenüber sitzenden Diplomaten des Auswärtigen Amtes Bericht erstatten: »Herr Legationsrat – jetzt sans wirklich waach!«

      Am 15. Mai 1955 wurde der österreichische Staatsvertrag im Wiener Belvedere unterzeichnet.

      Gar nix is’ hin!

       Der Liebe Augustin lebt

      Als ich neulich Appetit auf Rindsgulasch mit Nockerln hatte, betrat ich das am Fleischmarkt in Wien gelegene Griechenbeisel. Überfüllt, wie diese Touristenattraktion meist ist, mußte ich einen mir gänzlich unbekannten Herrn bitten, an seinem Tisch Platz nehmen zu dürfen. Sei es übers Wetter oder die verworrene politische Lage unserer Zeit – irgendwie kamen wir während des Gulaschverzehrs ins Gespräch. Der Fremde hatte bei zwanglosem Geplauder gerade zwei, drei Viertel Wein heruntergekippt, als ich mich noch für Kaffee und Torte entschied. Irgendwann überreichte mir der etwas wundersam wirkende Gasthausbesucher dann noch seine ziemlich abgegriffene Visitenkarte. Ich wollte gerade zahlen, als ich einen flüchtigen Blick darauf warf. Und glaubte meinen Augen nicht trauen zu können.

      DER LIEBE AUGUSTIN

      stand da.

      »Mein Herr«, kramte ich all mein historisches Wissen hervor, »wenn ich nicht irre, haben Sie die große Pestepidemie überlebt, die Wien im Jahre 1679 erschütterte. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß Sie neben mir an diesem Gasthaustisch sitzen.«

      »Wie Sie richtig sagen«, entgegnete der Fremde, »habe ich die Pest überlebt. Aber haben Sie je davon gehört, daß ich gestorben bin?«

      »Unterlassen Sie solche Scherze«, erwiderte ich verärgert, »man mag die Pest in Ausnahmefällen überleben – aber doch nicht um dreihundert Jahre.«

      »Ich offenbar doch! Kein Mensch ist je der Frage nachgegangen, was aus mir geworden ist, nachdem ich die Seuche überstanden hatte.«

      »Also gut, ich gehe der Frage nach: Was ist aus Ihnen geworden, Herr Augustin?« Da ich mich mittlerweile vom ersten Schock erholt hatte, fügte ich seriöserweise noch an: »Vielleicht werde ich Ihre Lebensgeschichte in mein nächstes Buch aufnehmen.«

      »Werde ich an den Tantiemen beteiligt?« wollte der geschäftstüchtige Bänkelsänger wissen.

      »Wir werden sehen! Jetzt erzählen Sie erst einmal!«

      »Ich wurde 1645 zu Wien geboren«, hob Augustin an, »hatte eine schwere Kindheit, aber wer hatte die nicht in meiner Zeit? Schon in frühester Jugend kannte ich nur die Musik. Von einem entfernten Onkel erbte ich diesen Dudelsack.«

      Ein wenig umständlich kramte mein Tischnachbar nach einem unterhalb seines Sessels lagernden Lederkasten. Er entnahm ihm ein recht unförmiges Instrument, blies und pumpte ein wenig, worauf dem Dudelsack ein paar eigenartige Töne entwichen. Als sich die umsitzenden Gäste beschwerten, legte der Liebe Augustin das antike Gerät beleidigt weg.

      »In meiner Zeit wären die Leute begeistert gewesen, wenn ich ihnen etwas vorgespielt hätte«, sagte er. »Ich war ein berühmter Musikus, und in den Wirtshäusern hat man mir immer gleich Münzen zugesteckt, wenn ich meine fröhlichen Melodien spielte. So auch an jenem 10. September 1679.«

      »An jenem 10. September 1679?« fragte ich.

      »Ja, hier am Fleischmarkt, vis-à-vis von uns, in der Schenke Zum roten Dachel. Seit sie sie zugesperrt haben, sitze ich jeden Abend hier im Griechenbeisel und schau’ voll Wehmut hinüber auf die andere Straßenseite.«

      »So schön kann doch die Zeit der Pest nicht gewesen sein?« wunderte ich mich.

      »Für mich schon.« Augustin nahm einen Schluck. »Ich war damals prominent. Was nützt mir Ihre ganze schöne neue Zeit, in der mich kein Mensch kennt.«

      »Also, was war an diesem 10. September, drüben im Roten Dachel

      »Ich hab’ ja immer schon ganz gern ins Glasl g’schaut«, vertraute mir die Legende jetzt an, »so auch in jener Nacht. Ich geh’ also vom Roten Dachel