ergreifenden Seelentöne und durchleuchtete das Wort oft ganz neu mit faszinierender Eindringlichkeit.«
Hamlet, Komödie Basel, 1961 (Hamlet)
Hamlet, Düsseldorfer Schauspielhaus, 1970 (Hamlet)
Peter Simonischek, der wie Lohner später vom Tod im Jedermann zur Titelrolle aufsteigen wird, besuchte als 16-Jähriger die Vorstellung. Helmuth Lohners Hamlet gab die Initialzündung für den endgültigen Entschluss, Schauspieler zu werden. »Ich habe Helmuth Lohner um jeden Schritt auf der Bühne beneidet. Er war so zerbrechlich, so durchlässig, und er hatte eine wunderschöne Bühnenpräsenz. Ich war vollkommen gebannt.« (Peter Simonischek, Ich stehe zur Verfügung) Gegen den väterlichen Wunsch und neben dem offiziellen Architektur-Studium besuchte er daraufhin heimlich die Schauspielschule in Graz.
Neben dem Grazer Hamlet hatte Lohner den Alfred in Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald, die Titelrolle in der Uraufführung von Max Frischs Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie, den Dauphin in George Bernard Shaws Die heilige Johanna, den frühreifen Knaben in Roger Vitracs absurder Farce Victor oder Die Kinder an der Macht und einiges mehr im Kopf. Auf solch unvorstellbare Kollisionen angesprochen, sagt Lohner knapp: »Ach, das war doch immer so. Entweder hab ich tagsüber gedreht und bin am Abend zur Vorstellung gefahren oder ich hab tagsüber Probe gehabt und habe am Abend in einem anderen Theater gespielt.«
Diese jahrzehntelange Rastlosigkeit mag seinen drahtigen Körper gestählt, aber seine inneren Energien wohl auch zeitweise erschöpft haben. Angesichts dieser enormen Anforderungen und der Tatsache, dass er »alles gespielt« hat, wie er immer wieder als Begründung fürs Aufhören anführte, musste man Verständnis dafür aufbringen, dass er sich mit 73 Jahren nach Ende seiner Direktionszeit von der Bühne verabschieden wollte, um nur noch Regie zu führen, zu lesen, Berge zu besteigen oder wochenlang endlose Strecken zu wandern. Allein. Eventuell in Begleitung eines schweigsamen Bergführers.
Und er hat ja tatsächlich »alles gespielt«. Ich kenne in seiner Generation keinen anderen Schauspieler, der Schnitzler und Shakespeare, der Nestroy und Molière, der Hofmannsthal und Schiller, der Horváth und Kleist und Ibsen gleichermaßen überzeugend verkörpern kann, wie Helmuth Lohner es konnte. Zu all diesen diametral auseinanderliegenden Welten konnte er überdies in tragischen Rollen tief erschüttern wie er in komischen herzerfrischend erheitern konnte, ohne jemals dem Affen Zucker zu geben, ohne die dünne Grenzlinie zum Klamauk zu überschreiten.
»Ich habe Nestroy nie als lustig empfunden!«, war seine lakonische Erklärung.
Otto Schenk, der Lebensfreund, der ihn besser kannte als jeder andere, der mit ihm gemeinsam auf der Bühne stand, der ihn in seinen Inszenierungen besetzt hat, weil Lohner die Idealbesetzung war, gibt eine »schenk«-haft formulierte Analyse: »Der direkte Weg zu einer Rolle war ihm, wie mir, immer dubios und fad. Deshalb hat er die Sachen sehr ungeschickt begonnen, absichtlich, um ja nicht in eine selbstverständliche Gasse hineinzuschlittern. Wir nannten es, den Wahnsinn der Szene finden. Der Hofreiter oder der Titus Feuerfuchs denkt eigentlich an etwas anderes, als er spricht, er hat die Sorge, sich nicht zu verraten, und dadurch hat jede Szene bei ihm einen Zauber gehabt. Er hat nie direkt gespielt. Es war immer eine Spur von seltsamer Distanz darüber.«
Helmuth Lohner war der einzige Jedermann auf dem Salzburger Domplatz, dem man sowohl den beklemmenden Auftritt des Todes als auch die komödiantische Zote als Teufel und die Titelrolle zumuten konnte.
Sobald man ansetzte, seine vielseitige Kunst zu preisen, wehrte er ab, relativierte schnell mit einer bagatellisierenden Handbewegung: »Geh, a Schauspieler ist doch kein Künstler. Große Maler, Dichter, Komponisten – das sind Künstler.«
Sein Publikum und seine Kollegenschaft, seine Direktoren und seine Regisseure hielten zeitlebens mehr von ihm als er von sich. Er kämpfte als immerwährender Zweifler an sich selbst um höchste Qualität und meinte, sie nie ganz zu erreichen. Wie es seiner Meinung nach auch wenige Kunstwerke gebe, die wirklich fertig seien. »Figaros Hochzeit und Tristan und Isolde und Vermeers Das Mädchen mit dem Perlenohrring, das sind fertige Kunstwerke«, sinnierte er öfter stockend und nachdenklich.
Drei Monate vor unserem Gespräch im Café Tirolerhof hatte er also in Graz mit der Glut einen Sensationserfolg, und nun übernimmt sein »Haupthaus«, das Theater in der Josefstadt, die Produktion. Ein zweistündiger Fast-Monolog eines ehemaligen Generals, der ein schicksalhaftes Ereignis zerpflückt, das vor 41 Jahren seine Ehe und seine Freundschaft mit seinem Jugendfreund zerstört hat. Schicht für Schicht wird in diesem Psychokrimi die Vergangenheit aufgedeckt, 41 Jahre hat der Mann in völliger Einsamkeit über den Ehebruch, den Freundschaftsverrat, einen Mordversuch und die Flucht des Freundes nachgedacht.
Mit Peter Simonischek, Anna Badora und Elisabeth Gürtler, Graz 2009
»Das gibt es, dass ein Mensch mit entscheidenden Dingen in seinem Leben nicht fertig wird. Viele Menschen reden sich ihr Leben schön, aber ob sie glücklich sind, weiß niemand. Es hat doch jeder Mensch etwas erlebt, das er nie verwindet oder nie vergisst. Das kann Glück oder Tragik sein.«
Vor dem Auftritt: Die Glut, Schauspielhaus Graz, 2009 (Henrik)
Helmuth spricht stockend, er ringt sich jede Silbe ab, als wäre das Wort nicht gut genug oder zu banal, als könnte es seinem Anspruch nach Klarheit und Wahrheit nicht genügen.
»Der Mann ist ein eisiger Typ. Er entschied, seine Frau nach diesen Vorfällen nie mehr zu sehen, obwohl sie im selben Gutshaus wohnten. Sie tut mir leid, ich kann ihren Ausbruch aus dieser konventionellen Ehe verstehen und ihr nicht bös sein, dass sie sich in einen Romantiker verliebt hat. Sándor Márai sagt in diesem Text viel Wahres. ›Wenn unsere Liebe den anderen nicht glücklich macht, was in der Welt gibt uns das Recht, Treue zu erwarten?‹ zum Beispiel oder ›Wer sich weigert, einen Teil anzunehmen, will das Ganze‹ oder ›Die wichtigsten Fragen beantwortet man immer mit seinem ganzen Leben.‹ – Beim Lesen des Stücks erklangen in mir sofort die Schalmeien, trotz der größten Bedenken, die ich bei jeder Rolle habe. Einen Schauspieler, der bei Richard III. keine Bedenken hat, den gibt es nicht.« Er lacht sein leicht krächzendes Lachen.
Anna Badora musste ihm gleich neben der Bühne ein Kabäuschen bauen, weil er vor dem Auftritt so zitterte, dass er den Weg von der Garderobe zur Bühne scheute. Auch bei der bevorstehenden Übernahme an die Josefstadt wird man seinen Schminktisch hinter der Bühne einrichten.
»Bei dieser Rolle hab ich bezweifelt, ob ich die Möglichkeit finden werde, Dramatik in diesem langen Monolog aufzubauen. Ich habe eben einen fast schon übertriebenen Respekt vor der Schauspielerei. Für mich war es nie leicht. Deshalb hab ich mich auch nie um eine Rolle gerissen. Ich musste immer überredet werden.«
Das kann einer leicht sagen, den die Intendanten in Berlin, Zürich, München, Hamburg, Düsseldorf und Wien mit Angeboten umworben, ja überschüttet haben. Und selbst in den neun Jahren als Direktor des Theaters in der Josefstadt wählte er keine Stücke mit Rollen »für sich«, obwohl er jede Freiheit dazu gehabt hätte.
»Es war eigentlich immer an jedem Theater, an dem ich war, eine schöne Zeit. Es gibt keines, wo ich nicht gern war«, erinnert sich mein jugendlicher, gut trainierter Gesprächspartner, der in einem Monat seinen 77. Geburtstag feiern wird. Er hat immer noch ein bubenhaftes, glucksendes Lachen und eine kindliche Freude an einer skurrilen Situation, wie sie soeben im Lokal passiert: Ein mit zwei riesigen weißen Stoff-Servietten fuchtelnder Kellner versucht in heroischem Abwehrkampf eine resolut auf unseren Nebentisch zustrebende, auffallend herausgeputzte Dame von ihrem Vorhaben abzubringen und in einer etwas entfernteren Fensternische unterzubringen, Trost spendende Worte findend: »Gnädige Frau, von dort können S’ alles gut überblicken.« Er wirft uns nach geglückter