und Breitensee haben vor ihm gezittert«, zitierte Lohner gerne mit schelmischem Grinsen seine Mutter. Sie wollte wohl dem Sohn die Bedeutung des Stiefvaters klarmachen und gleichzeitig erklären, warum sie ein zweites Mal geheiratet hat, eben eher aus Gründen der Versorgung.
Die Mutter war vom überragenden Talent ihres Sohnes von Anfang an überzeugt: »Der Helmuth gehört ans Burgtheater!«, verkündete sie schon damals. Und als es ihr nicht schnell genug ging, stand sie eines Tages am Wiener Rudolfsplatz, wo die Schenks bis heute wohnen, und hat Renee Schenk gegenüber noch einmal eindringlich dieses Statement wiederholt: »Der Helmuth g’hört ans Burgtheater!«
1967 erfüllt ihr Otto Schenk den Wunsch. Der mittlerweile sehr gefragte Regisseur überredet seinen mittlerweile sehr gefragten Freund, unter seiner Regie in Georg Büchners Dantons Tod am Burgtheater den St. Just zu spielen. Lohner lebt zu der Zeit längst in der Schweiz, ist zum zweiten Mal verheiratet, jettet zwischen Zürich, München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin. Er wird die Rolle annehmen, aber aus Wien wieder lieber abreisen als ankommen. »Ich glaube, er wollte sein Leben lang Ottakring entfliehen«, mutmaßt der Otti.
Zurück zu Lohners erster Josefstädter Zeit. 1956 schreibt Torberg eine Hymne über eine offenbar insgesamt geglückte Aufführung von Anton Wildgans’ Familiendrama Armut: »Helmuth Lohner sprach die Verse, die Gottfried am Sterbebett seines Vaters zu sprechen hat, mit so blutvoll durchpulster Intensität und zugleich mit so klar aufgegliedertem Verstand, dass man wahrhaftig den Atem anhielt, um nur ja nichts zu versäumen.«
Armut, Theater in der Josefstadt, 1956 (Gottfried)
Ein halbes Jahr später folgt eine Vernichtung. Lohner gibt in der Regie des späteren Burgtheater-Direktors Paul Hoffmann Armand Duval, den jungen Liebhaber der fast zu erfahrenen Kameliendame Hilde Krahl. Es regnet für alle veritable Verrisse. »Mit zwei ihrer wichtigsten Gegenspieler, Sohn und Vater Duval, hatte sie noch größeres Pech als Dumas es vorschreibt. Doch mag dem jungen Helmuth Lohner die Art, wie er mit seinem Armand nicht fertigwurde, sehr wohl zu fruchtbarer Gebarung gedeihen. Er gab die Nöte einer Pubertätsliebe zwischen zwei Gleichaltrigen, nicht die leidenschaftliche Eifersucht eines jungen Herrn der Gesellschaft, der an eine große Kokotte geraten ist. Er gab Wedekind, nicht Dumas. Und das spricht zwar nicht gegen ihn, sprach aber gegen die Rolle.« (Friedrich Torberg) Paul Blaha spricht im Kurier von einer eklatanten Fehlbesetzung: »Lohner warf sich mit viel Eifer, viel Pathos, viel jugendlicher Romantik und viel echter Gestaltungskraft einer Rolle entgegen, die ganz einfach nicht die seine war.«
Solche Einbrüche mögen ihn in seiner Entscheidung bestätigt haben, schmachtenden Liebhaberrollen aus dem Weg zu gehen und Wien hinter sich zu lassen. Als 1958 seine endgültige Abwanderung aus Wien drohte, schrieb Hans Weigel am Schluss der Rezension über eine missglückte Dramatisierung des Romans Schau heimwärts, Engel von Thomas Wolfe: »Jedoch Gewinn, Glanz und erschütterndes Ereignis des Abends: Helmuth Lohner! Da blüht aus den Niederungen der Dramatisierung Thomas Wolfe empor, da ist Ahnung der leidvollen Größe eines Poeten von Gnaden darstellerischer Vollendung besonderer Art. Da möchte man über die beschwörende Magie Wolfes verfügen, um den gelegentlichen Gast heimzuholen und auf dem Theater sich selbst entdecken zu lassen – schau heimwärts Lohner.«
Er schaut noch drei Mal heimwärts, einmal für Die Spur der Leidenschaft in der Regie von Leonard Steckel, ein zweites Mal für Carlo Goldonis Der Lügner. Dabei hinterlässt er beim jungen Hans Hollmann einen unauslöschlichen Eindruck. Der österreichische Regisseur, später einer der führenden im deutschsprachigen Raum, hatte an der Josefstadt 1961 seine erste Regieassistentenstelle und erinnert sich heute noch genau: »Da stand, nein, da vibrierte ein junger Schauspieler auf einer Bühne, nahm den Text auseinander, aus Wörtern wurde Theater, der junge Mann stand keine Sekunde still, der wirbelte durch die Dekoration, kletterte glatt an ihr hoch, schwerelos schien er zu sein, jede Bewegung erzählte etwas, jeder Blick teilte mit. Der wusste, was er wollte, zeigte, was er konnte, und mit Charme und in seiner unwiderlegbaren wienerischen Rhetorik diskutierte er mit Arno Assmann, dem deutschen Regisseur, der ihm bald verfallen war. Ich war erstaunt. So konnte Theater also auch aussehen? Nein, so etwas hatten wir im Reinhardt Seminar nicht gehabt. Mir war eine Tür aufgestoßen worden. Für diese Türe bin ich Helmuth Lohner immer dankbar geblieben.«
Schau heimwärts, Engel, Theater in der Josefstadt, 1958 (Eugene Gant) mit Maria Emo (links); Die Spur der Leidenschaft, Theater in der Josefstadt, 1961 (Tony Burgess) mit Hans Unterkircher, Ernst Stankovski, Kurt Heintel (Mitte); Die Spur der Leidenschaft, Theater in der Josefstadt, 1961 (Tony Burgess) (rechts)
Leocadia, Theater in der Josefstadt, 1963 (der Prinz) mit Johanna von Koczian und Carl Bosse
Das allerletzte Mal zieht es Helmuth Lohner 1963 heimwärts an die Josefstadt, als Prinz in Jean Anouilhs Léocadia mit Reinhardts Witwe Helene Thimig und Johanna von Koczian, weil der Regie führende Otto Schenk es sich gewünscht hat: »Ich war so glücklich, dass ich ihn für die Rolle bekommen hab.«
So spielt Lohner erstmals in der Regie seines Lebensfreundes und verlässt endgültig die Heimat. Seine Adresse lautet bereits Riehen bei Basel, er wird 38 Jahre seinen Wohnsitz in der Schweiz haben.
Schon 1954 hat Oscar Fritz Schuh den hochtalentierten Newcomer zeitweise von der Josefstadt abgeworben und nach Berlin an die Freie Volksbühne ins Theater am Kurfürstendamm geholt, das unter Schuhs fünfjähriger Intendanz vom Feuilleton als wichtigste Bühne im Westen der Stadt gefeiert wurde.
Der 1904 in München geborene Regisseur war einer der bedeutendsten Theatermänner des 20. Jahrhunderts, der unter anderem in den 1940er-Jahren an der Wiener Staatsoper und nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Salzburger Festspielen gemeinsam mit dem Dirigenten Karl Böhm und dem Ausstatter Caspar Neher den sogenannten Mozart-Stil geprägt hat, er schaffte den seltenen Sprung vom Opern- zum Schauspielregisseur, war nach der Berliner Zeit Intendant in Köln und leitete ab 1963 in der Nachfolge Gründgens’ das Hamburger Schauspielhaus. Er hat den Dramatiker Eugene O’Neill für den deutschen Sprachraum entdeckt und Attila Hörbigers Durchbruch vom guten zum großen Schauspieler in der Deutschen Erstaufführung von O’Neills Fast ein Poet am 15. April 1958 an der Berliner Freien Volksbühne ermöglicht, »wo für jede Vorstellung die Leute ab vier Uhr morgens an der Kasse Schlange standen«, schreibt Oscar Fritz Schuh in seinen Erinnerungen So war es – war es so?.
Von diesem Mann geschätzt zu werden, spricht für Lohners Rang im Alter von nur 21 Jahren.
Auch der Berliner Kritikerpapst Friedrich Luft erkennt in einer allgemein und rundum gelobten Aufführung von Thornton Wilders Die Heiratsvermittlerin, einer Adaption von Johann Nestroys Einen Jux will er sich machen, einem mit »ungezählten Vorhängen bedankten poetischen Feuerwerk« neben der gefeierten, aus der Emigration heimgekehrten Grete Mosheim, den wertvollen Neuzugang: den »besonders begabten Helmuth Lohner«. Die Welt attestiert dem in Berlin Unbekannten »umwerfende Komik«. Er weckt vom ersten Augenblick an Interesse. In der Heiratsvermittlerin begegnet er zum ersten Mal Jane Tilden. Er wird sie wiedertreffen.
Die Heiratsvermittlerin, Freie Volksbühne im Theater am Kurfürstendamm, 1955 (Barnaby Tucker) mit Jane Tilden (hinten rechts) und Grete Mosheim (vorne rechts)
Helmuth Lohner ist hingerissen, wie in Berlin Theater gespielt wird, ganz anders als in Wien am Burgtheater und in der Josefstadt. Der für seine ätzenden Bonmots bekannte Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner erklärte diesen Unterschied pointiert: »Es wird heute überall miserabel Theater gespielt. Nur in Wien an der berühmten Purpurschmiere Burgtheater ist man auch noch stolz darauf.«
Lohner, der später auch mit Kortner zusammenarbeiten wird, erzählte mir einmal begeistert von seinen frühen