nach 50 Jahren die Filmtitel parat!), war es für mich eine aufregende, neue Welt. Der Wiederaufbau, die Menschen mit ihrem Humor, die großen Berliner Kollegen, die Theater waren voll. Es wurde richtig Hochdeutsch gesprochen, in der Josefstadt klang ja doch alles wie eine Privatunterhaltung. Als ich das erste Mal Don Carlos am Schillertheater, modern expressiv inszeniert von Gustav Rudolf Sellner mit Anneliese Römer als Eboli und Erich Schellow als Posa und anderen damaligen Größen gesehen habe, klang es in meinen Ohren wie eine unglaublich schöne Fremdsprache.«
Hotel Adlon, 1955 (Erzherzog Karl)
Erich Schellow wird, wenn Lohner 1990 seinen ersten Salzburger Jedermann spielt, hinter ihm als Tod die Szene beherrsehen, und Lohner wird den Regisseur Gernot Friedel bitten, auf Schellow einzuwirken, dass dieser ihn nicht mit seiner gewaltigen Stimme zudeckt. Den direkten Weg, Schellow diese Bitte persönlich vorzutragen, umgeht er lieber.
Anneliese Römer hat später unter Claus Peymann in Wien gespielt: ab 4. November 1988 in der Uraufführung von Thomas Bernhards Heldenplatz den 1.-Akt-Monolog der Haushälterin Frau Zittel. 1966 hat sie privat spektakuläre Schlagzeilen gemacht. Um ihren Ehemann Harry Meyen Romy Schneider zu überlassen, verlangte sie für die Freigabe 200 000 Mark (100 000 Euro) »Lösegeld«. Romy Schneider bezahlte die Summe für ihr kurzes privates Glück. Böse Zungen behaupteten damals, der als »krankhaft geizig« verschriene Regisseur Meyen hätte so viel Geld niemals für seine Scheidung bezahlt.
Neben Anneliese Römer trat in den Nachkriegsjahren die gesamte Elite deutschsprachiger Schauspieler während der jahrzehntelangen Intendanz des legendären Theatermannes Boleslaw Barlog am Berliner Schiller- und Schlossparktheater auf: Albert Bassermann, Horst Caspar, Ernst Deutsch, Käthe Dorsch, Martin Held, Marianne Hoppe, Hildegard Knef, Hilde Krahl, Werner Krauß, Carl Raddatz – und die namhaftesten Regisseure inszenierten. Das Berliner Feuilleton war allerdings Oscar Fritz Schuh in der Freien Volksbühne im Theater am Kurfürstendamm weitaus gewogener als Boleslaw Barlog am »Staatstheater« Schillertheater.
Oscar Fritz Schuh schreibt in seinen Lebenserinnerungen: »Die bedeutenden Regisseure der letzten 70 Jahre sind ausschließlich in Berlin durchgesetzt worden. Und was ist das Unverwechselbare des Berliner Urteils? Keiner wird dort gemessen an den Leistungen anderer. Kein Berliner würde die Vergangenheit beschwören, wenn er die Gegenwart zu beurteilen hat. Ich habe noch nie in einer Berliner Kritik gelesen: ›Ganz gut, sehr interessant, aber gegen den Schatten von Reinhardt oder Fehling kommt er nicht an.‹ In Berlin gilt nur die Gegenwart. Damals, in den Goldenen 1950er-Jahren, griff Berlin, das Dritte Reich gewissermaßen überspringend, auf seinen eigenen Mythos aus den 1920er-Jahren zurück. Bertolt Brecht, Jürgen Fehling, Gustaf Gründgens, Lothar Müthel, Berthold Viertel, Erwin Piscator – alles prominente Namen aus den 1920er-Jahren. Und alle waren sie wieder da. In Berlin, der Theaterhauptstadt der Welt … Das Theater war ein Sprachrohr des Publikums, gemeinsam mit ihm entdeckte es Neuland. So konnte großes Theater entstehen … Die Lebendigkeit der Theater in Berlin war nicht zuletzt der Kritik zu danken. In anderen Städten können Verrisse einem Theater oder einer Aufführung schaden, andererseits haben positive Kritiken nicht den geringsten Einfluss. Das trifft auf München wie Hamburg und auf andere Städte zu. In Berlin sicherte eine positive Kritik auch den Kassenerfolg … Das Feuilleton war für das Ansehen einer Zeitung wichtig, wichtiger als ihr politischer Teil. Ich glaube, das Ereignis der 1950er-Jahre war nicht nur das Wirtschaftswunder, es war auch die Tatsache, dass im Gegensatz zu 1918 das besiegte Deutschland ohne Hass auf die Alliierten reagierte. Die Deutschen waren froh, das Naziregime los zu sein. Sie blickten optimistisch in die Zukunft. … Den oft zitierten Kalten Krieg habe ich eigentlich nicht empfunden. Er begann – für unsere Theaterwelt – damit, dass beispielsweise wichtige Schauspieler des Brecht-Ensembles wie Therese Giehse oder Leonard Steckel dem Osten den Rücken kehrten und in den Westen übersiedelten.«
Lohners persönliche Eindrücke bestätigen das aufregende Berliner Theaterleben der 1950er-Jahre: »Es stand noch keine Mauer, ich konnte in die Komische Oper und ins Brecht-Theater am Schiffbauer Damm gehen, Schwierigkeiten beim Sektorenübergang nach Ost-Berlin gab es kaum, man wurde nur ordnungsgemäß von einem Volkspolizisten kontrolliert. Brecht lebte gerade noch, ich war von der ganz anderen Spielweise fasziniert und konnte immer weniger verstehen, warum Torberg und Weigel in Wien auf einem Brecht-Boykott bestanden.« Dem lag in erster Linie der politische Vorwurf gegen den freiwillig in der DDR lebenden Bürger zu Grunde. Brechts unschönes Tricksen um die österreichische Staatsbürgerschaft hat 1951 die antikommunistische Kampagne gegen ihn weiter angeheizt.
Verständlich, dass Lohner »eigentlich in Berlin bleiben wollte, aber dann kamen Angebote vom Münchner Residenztheater, und in Wien hatte ich auch noch den Vertrag zu erfüllen.«
So wird er die nächsten 40 Jahre ein rastlos getriebener, vazierender Schauspieler, der kein einziges festes Engagement annimmt. »Ich hatte immer Angst, dass einen die Leute nach zwei oder drei großen Rollen in einer Stadt kennen. Ich wollte kein Einrichtungsgegenstand werden.« (Die Zeit, 3. August 1990) Selbst aus Zürich, wo er später wohnt, flüchtet er immer wieder, übernimmt im Jahr durchschnittlich nur zwei Rollen am Zürcher Schauspielhaus, und den Rest der Zeit verbringt er auf Tourneen, Filmsets und in anderen Theaterstädten. Kein Wunder, dass an dieser Lebensform drei Ehen zerbrechen.
Gleich nach dem ersten Berliner Engagement spielt er in München 1955 am Residenztheater seine erste Nestroy-Rolle, den Zwirn in Lumpazivagabundus mit Bruno Hübner als Knieriem, der überdies Regie führt. Eine ähnliche Erfahrung wird er genau 40 Jahre später wieder machen. Dann ist Otto Schenk Knieriem und versteht sich auch als Regisseur, obwohl Helmuth Lohner mit diesem Nestroy seine erste Josefstadt-Regie abliefern sollte.
»Der Otti hat immer von der Bühne aus alles dirigiert«, erinnert sich Erwin Steinhauer, der in dieser Schenk/Lohner-Inszenierung der Zwirn war. »Der Helmuth hat geduldig zugehört und im Regiebuch mitgeschrieben. Wir haben vermutet, er schreibt auf, was der Otti ansagt, damit alles für die nächsten Proben festgelegt ist. Nach etwa einer Woche, es haben alle in der Rauch- und Kaffeepause den Zuschauerraum verlassen, hab ich mich zum Regietisch geschlichen und blätterte im Regiebuch. Ich hab keine einzige Anmerkung gefunden. Nur wunderschön gezeichnete Blumentöpfe und Blumen.« Lohner wusste damals, wenn sein Freund Schenk eine Rolle spielt, eine Hauptrolle versteht sich, dann inszeniert er auch, weitgehend. Einer Konfrontation ist er in allen Lebenslagen gerne ausgewichen.
Lumpazivagabundus, Residenztheater München, 1955 (Zwirn)
Während Lohner also in München ab 31. Dezember 1955 den Zwirn spielt, Fritz Kortner sitzt übrigens, für Lohner unvergesslich, in der Silvester-Premiere in der ersten Reihe, wohnt das frischverheiratete Ehepaar Schenk zufällig gleich neben Lohners Appartement. Schenk erinnert sich schmunzelnd: »Die Wohnung vom Helmuth hat eher der Jane Tilden gehört, mit der ihn damals ein Rosenkavalier-Verhältnis, eine Art Octavian-Marschallin-Beziehung verband. Wir haben alle die Tilden sehr gemocht. Sie war meine liebste Trafikantin in den Geschichten aus dem Wiener Wald mit dem Helmuth. Sie hat einen guten Einfluss auf ihn gehabt, und er hat sie unerhört verehrt. Es war eine schöne Liebe. Und wie die Tilden 90 wurde (im Jahr 2000) hab ich zum Helmuth gesagt: Wenn einmal die Katzen 90 werden, dann ist man selbst auch nicht mehr der Jüngste! In München hat die Renee, meine Frau, eigentlich den Helmuth erst richtig kennen- und auch gleich lieben gelernt, er hat uns als erster Gratulant zur Eheschließung ein Babyhauberl geschenkt und uns mit dem größten Vergnügen eingeredet, dass wir sofort ein Kind kriegen müssen, was wir aber überhaupt noch nicht vorgehabt haben. Wir haben einfach wie immer furchtbar viel geblödelt.«
Helmuth Lohner kann in Wien, Berlin, Basel, Zürich und München kaum seine Koffer auspacken. Er soll nur ein einziges Mal übersehen haben, dass er in München und Zürich gleichzeitig Vorstellung hatte … Neben all seinen Theaterverpflichtungen dreht er auch noch jedes Jahr mindestens drei Filme im Genre der Wirtschaftswunderzeit. Später wird er in einem Interview mit der Zeit (3. August 1990) reuig bekennen: »Ich habe damals meinen Beruf geschwänzt und viel wichtiges Theater versäumt. Keinen einzigen dieser Filme hätte ich machen dürfen.« Immerhin ist Die