Eva Maria Klinger

Nie am Ziel. Helmuth Lohner


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hatte und nur noch ein paar Verträge in der ungeliebten platten Filmindustrie der jungen Bundesrepublik erfüllte.

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      Die schöne Lügnerin, 1959 (Martin Graf Waldau) mit Romy Schneider

      Im Frühjahr 1961 lernt Lohner bei den Dreharbeiten zu dem Film Blond muß man sein auf Capri, der kostensparend nicht in Süditalien, sondern an einem Berliner See gedreht wird, die hübsche, blonde Karin Baal kennen. Die erste Begegnung schildert sie in ihren 2012 erschienenen Memoiren Ungezähmt: »Ich muss mich, mit klebriger Schminke eingecremt, auf eine Decke legen und auf meinen Filmpartner warten, der meinen Verlobten Hannes spielt. Ich träume ein wenig vor mich hin, als der Kerl auf einmal ankommt, sich auf mich legt und sagt: ›Gestatten, Lohner.‹ ›Baal‹, antworte ich atemlos. Dann müssen wir uns küssen … Ich habe das Gefühl, dass wir verkleben, zusammengehalten von einem starken Leim, und nie wieder zu trennen sind.«

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      Mit Susanne Cramer, 1957

      Bevor sie verkleben, müssen noch Klebebänder an anderen Stellen gelöst werden. Karin Baal hat erst vor einem Jahr, im Januar 1960, nach zwei Abtreibungen zum dritten Mal schwanger, den Rock ’n’ Roll-Profitänzer Karlheinz »Kalle« Gaffkus geheiratet und ist jetzt Mutter eines Sohnes. Helmuth Lohner hat ein privates Höllen-Chaos noch nicht ganz überstanden. Er war mit der damals von der Boulevardpresse gehegten blonden Glamour-Schauspielerin Susanne Cramer zwei Mal verheiratet und innerhalb weniger Monate auch zwei Mal geschieden. Dazwischen wurde Tochter Konstanze Lohner geboren. Zehn Filme hat die 21-jährige Schöne während der kurzen Ehe inclusive Schwangerschaft gedreht, Filmtitel wie Schwarze Nylons, heiße Nächte sagen einiges über den künstlerischen Wert der Produkte aus. Anfang der 1960er-Jahre, nach der endgültigen Trennung von Lohner, bricht sie die Zelte ab und übersiedelt nach Hollywood.

      Das bewegte Berufsleben der Susanne Cramer wurde von ihrem bewegten Privatleben noch übertroffen. Eine Ehe vor Lohner, eine danach, öffentlich bekannte Affären mit Schauspielern, Suizidversuche. Was Helmuth Lohner in diesen hohen Seegang getrieben hat, verriet er nie. Mit »Ach, das war eine Jugendtorheit!«, erstickte er weitere Fragen. Susanne Cramer starb mit nur 32 Jahren in Kalifornien, Tochter Konstanze wurde von ihren Tanten aufgezogen, das Verhältnis zum Vater war vergiftet. Er bezahlte ihr später eine Ausbildung als Pädagogin und fand sie finanziell ab.

      Karin Baals junge Jahre waren auch nicht unflott verlaufen. Mit 15 wird die Berlinerin bei einem Casting für den nachmaligen Kultfilm Die Halbstarken mit Horst Buchholz entdeckt und über Nacht ein Filmstar. Die Gala-Premiere muss um ein paar Tage verschoben werden, damit die weibliche Hauptdarstellerin den 16. Geburtstag hinter sich hat, denn als Minderjährige hätte sie dem nicht jugendfreien Film fernbleiben müssen. Es folgen unbedeutende Rollen in unbedeutenden Filmen, sie hat viel Spaß mit der Crew und beteiligt sich gerne an Trinkgelagen. »Oft bechern wir so lange, bis ich auf mein Zimmer getragen werden muss, weil ich nicht mehr laufen kann«, bekennt sie freimütig in ihren Memoiren. Ähnliche Situationen schildert sie immer wieder.

      Die erste Begegnung mit Helmuth Lohner am Filmset von Blond muß man sein auf Capri schlägt ein. »Mich faszinierte seine ruhige, charmante Art und sein Wiener Schmäh. Er war so gebildet, so belesen, so vornehm in den Umgangsformen.« Gleich nach dem Capri-Film stehen sie wieder gemeinsam vor der Kamera. Das letzte Kapitel wird in Norwegen gedreht, diesmal authentisch, das Drehbuch beruht auf einem Roman des norwegischen Nobelpreisträgers Knut Hamsun. Der vorgesehene Regisseur stirbt vor Beginn der Dreharbeiten. Es wäre Gustav Ucicky gewesen, der nach seinem Tod mehrfach im Gespräch bleibt: als gut beschäftigter Filmregisseur im Dritten Reich, der den Propagandafilm Heimkehr mit Paula Wessely zu verantworten hat, und als Besitzer einer ansehnlichen Klimt-Sammlung verschleierter Provenienz. Seine wesentlich jüngere Witwe gibt 40 Jahre nach Ucickys Tod dem öffentlichen Druck nach und beginnt, die Raubkunst den Nachkommen der jüdischen Vorbesitzer zurückzuerstatten.

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      Blond muss man sein auf Capri, 1961 (Hannes Niklas) mit Karin Baal

      Die Regie für Das letzte Kapitel übernimmt der in der Nazi-Zeit ebenfalls gut beschäftigt gewesene Regisseur Wolfgang Liebeneiner, ab 1944 Ehemann der Schauspielerin Hilde Krahl. Diese Biografien zeigen das Dilemma dieser Generation, vor der Wahl gestanden zu haben, entweder in einem Verbrecher-Regime mitzulaufen oder durch Gegnerschaft die Existenz zu verlieren. Aber sie hatten immerhin eine Wahl, der jüdische Teil der Bevölkerung hatte keine.

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      Das letzte Kapitel, 1961 (Oliver Fleming) mit Karin Baal

      Während der mehrwöchigen Dreharbeiten zu Das letzte Kapitel beginnt ein neues privates Kapitel: Karin Baal und Helmuth Lohner werden ein Paar. Karin Baals grundvernünftiger Vergleich zwischen ihrem Ehemann und dem neuen Liebhaber fällt eindeutig für den blonden Wiener mit den blauen Augen aus: »Helmuth las Bücher, Kalle hörte Rock ’n’ Roll. Helmuth wollte mich in feine Restaurants ausführen, Kalle hielt Koteletts schon für Haute Cuisine. Helmuth respektierte meine Arbeit, Kalle sagte immer: Was du da machst, dett kann ick ooch. Helmuth bedeutete Perspektive, Kalle Stillstand.«

      Sie flüchten vor der Presse heimlich nach Wien, »mit einem knallroten Auto« (Karin Baal in ihren Memoiren), einem VW, den er von der ersten Filmgage im Autohaus Eduard Winter am Kurfürstendamm erworben hatte, leben vorübergehend mit Karins Sohn Thomas in einer kleinen Pension.

      Lohner erhält ein Angebot von der Komödie Basel. Er erbittet Bedenkzeit, schließlich ist Basel zwar eine traditionsreiche Theaterstadt, aber nicht gerade der Theater-Hotspot. »Er ist kein Mann schneller Entscheidungen«, kommentiert Karin Baal. Er sagt schließlich zu und spielt dort seinen ersten »sehr modernen, verquälten, scharfkantigen Hamlet« (Die Zeit, 22. Dezember 1961).

      In der drittgrößten Schweizer Stadt, im Dreiländereck zu Deutschland und Frankreich gelegen, herrschen allerdings strenge Sitten. Um in Basel gemeinsam eine Wohnung mieten zu können, heiraten Karin Baal und Helmuth Lohner 1962, sie in einem schwarzen Hochzeitskleid. Der einzige Gast ist Helmuths Scheidungsanwalt. Ein makabrer Auftakt zum zweiten Eheversuch. Das Ehepaar zieht nach Riehen bei Basel, Karin Baal richtet die Wohnung ein, sie nimmt auf Betreiben ihres Mannes Gesangs- und Schauspielunterricht, lernt Englisch, Fechten und Reiten, liest Bücher, die er ihr empfiehlt, besucht mit ihm Museen, Theater und Oper.

      Seine Leidenschaft für Museumsbesuche mussten alle Begleiterinnen teilen. Sowohl seine Tochter Therese als auch seine dritte Ehefrau Ricarda Reinisch erzählen übereinstimmend, dass sie in ihrem Leben nie so viele Museen besucht haben, wie wenn sie Lohner auf einer Tournee begleiteten oder ihn in einer Stadt besuchten. Die Kinder Therese und Thomas bekamen später aus jeder Stadt eine Karte aus einem Museum, und mit 15 die Thomas Mann Gesamtausgabe.

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      Ein Traumspiel, Freie Volksbühne im Theater am Kurfürstendamm, 1963 (Der Dichter) mit Joana Maria Gorvin

      Auch Karin Baal berichtet, dass sie im ersten Jahr ihrer Liebe während gemeinsamer Dreharbeiten für Film an Bord bei einer Stippvisite in New York zuerst das neu errichtete Guggenheim-Museum besuchten, dann auch das UNO-Hauptquartier und einen Boxkampf. Da hat er mit Basel als Wohnsitz die goldrichtige Wahl getroffen, denn die malerisch am Rheinknie gelegene 2000 Jahre alte Stadt besitzt 30 Museen! Von jedem Museumsbesuch auf der ganzen Welt nimmt er ein Souvenir mit, Tassen, kleine Skulpturen, Kunstkarten, Kataloge, fein säuberlich aufgestellt in seinen Wohnungen und zuletzt in seiner Bibliothek im Haus von Elisabeth Gürtler.

      Baal und Lohner sind ein glückliches, prominentes Ehepaar. Sie bekommt einen Bambi, den Preis der deutschen Filmkritik und 1967 die Goldene Kamera.

      Lohner ist rast- und ruhelos unterwegs. Nach seinem aufsehenerregenden Hamlet in Basel folgt ein letzter Abstecher zu Léocadia nach Wien an die Josefstadt, und in Hamburg spielt er den Dichter in Strindbergs »Traumspiel«