beschriebenen Grazer Hamlet, spielt er fünf große Rollen, darunter die Titelrolle in Roger Vitracs Victor oder die Kinder an der Macht, in der Regie von Veit Relin – der kurz danach Maria Schell heiraten wird – und mit Judith Melles – der Mutter seiner späteren Buhlschaft. Er spielt auch den jungen Trotta in dem Film Radetzkymarsch nach Joseph Roth. Dass der Schwarz-Weiß-Film bis heute seine Faszination nicht verloren hat, verdankt man neben dem famosen Darstellerstab auch dem österreichischen Theater- und Filmregisseur Michael Kehlmann, dem Vater des Schriftstellers Daniel Kehlmann. Und Lohner verdankt ihm überdies die wichtige erste Verpflichtung an das Schauspielhaus Zürich. Denn Kehlmann senior verlangt für die Hauptrolle in Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald Helmuth Lohner als Alfred, eine schillernde Rolle, wie für ihn geschaffen. Er ist nicht nur ein charmanter, gewissenloser Filou, an dem die Frauen kleben, er hat auch, wie Michael Heltau es nennt: etwas Engelhaftes. Er blickt, von sich selbst überrascht, auf das Unglück, das er verursacht.
Zwei Jahre später wird er den Siegeszug mit seiner Leibrolle an den Münchner Kammerspielen in der Regie von Otto Schenk mit sensationellem Erfolg fortsetzen, »als Strizzi mit keinerlei Hemmungen, aber einer heillosen Anziehungskraft auf Frauen ausgestattet«. (Wolfgang Petzet, Theater – Die Münchner Kammerspiele 1911–1972).
Ein Triumph auch für Otto Schenk. »Nichts von den kleinen Spannungen, den versteckten Pointen ging verloren, es war dank Otto Schenks praller, wohlgewürzter Inszenierung bis zuletzt, trotz der gefährlichen Länge, ein ungemein lebendiger, spannender und bewegender Theaterabend.« (Süddeutsche Zeitung, 5. Dezember 1966) Schenk entschuldigt sich fast für den Erfolg: »Damals herrschte noch keine Interpretier- und Veränderungssucht. Wir haben Horváth vom Blatt gespielt, ganz direkt, wir haben das Bayerisch-Österreichische verteidigt. Horváth war damals kaum gespielt, heute würden uns die überbildeten und sich wissend fühlenden Kritiker diese Direktheit nicht abkaufen. Der Helmuth hatte den Zauber, er konnte ganz ekelhaft handeln, und man war ihm nicht böse. Der Alfred ist nur ein Schwächling, aber er war auch ein bissl dämonisch. Fleurs du Mal würde es Baudelaire nennen.« Die Süddeutsche Zeitung: »Helmuth Lohner, natürlich, spielt ganz mühelos, was den schmierigen Vorstadtgockel charakterisiert, der doch ›eigentlich‹ gar kein schlechter Mensch ist, nur eben bei aller Gerissenheit etwas zu dumm, um es je auf einen grünen Zweig zu bringen: Er spielt lässig penetranten Charme aus, nasalen Zynismus dazu, darin mitunter zu selbstsicher. Dann glaubt man nicht mehr, dass er es auch ernst meint, auch leidet, auch verzweifelt ist. Es scheint dann, er passe tatsächlich besser zu Valerie, der reifen Tabaktrafikantin, zu der er nach dem Marianne-Fiasko reumütig zurückfindet.«
Und Torberg lakonisch: »Man wird die Darstellung solcher zwielichtiger Horváth-Helden in Hinkunft an Helmuth Lohner messen.«
Gertrud Kückelmann ist die berührende Marianne, »mit einer Gefühlsskala von mädchenhaftem Übermut bis zur äußersten Empörung und Verzweiflung«. (Petzet) Es gelingt ihr, das Schwierigste, »glaubhaft zu machen, dass Mariannes Leidenschaft und Verzweiflung echt und groß sind, auch wenn sie das nur hilflos in Kitschroman-Sentimentalitäten zu äußern vermag … und in zehn Jahren wird man nicht vergessen haben: Adrienne Gessner, das liebe Großmutterl, wie sie im milden Abendlicht vor einem Donaupanorama sitzt und Zither spielt, versonnen, mit gespitztem Mündchen, selbstvergnügt, und dabei heiter herausplaudert, wie sie Mariannes Kind sanft und entschlossen ins Jenseits befördert hat. Das sind Theateraugenblicke, wo man vor Entzücken schmunzelt, obwohl’s einen graust.« (Süddeutsche Zeitung) Jane Tilden, die über Jahre konkurrenzlose Darstellerin der Trafikantin Valerie, hat bei aller lasziver Mannstollheit und fröhlicher Leichtlebigkeit so viel Herz, dass ihr die Sympathien sicher sind.
Geschichten aus dem Wiener Wald, Kammerspiele München, 1966 (Alfred) mit Jane Tilden
Zu wenig Zeit erübrigt Helmuth Lohner für seine Ehefrau, wie sie beklagt. Immerhin wird sie 1964 schwanger, am 30. Mai 1965 kommt Tochter Therese zur Welt, da spielt Lohner gerade an den Münchner Kammerspielen in der berühmten Kortner-Regie den Ferdinand in Schillers Kabale und Liebe mit Christiane Hörbiger als Luise.
Zum Glück gibt es ein unschätzbares Fernsehdokument von dieser genialen, fast quälend minutiösen Probenarbeit. Kortner eilt ständig auf die Bühne, spielt Körperhaltungen, Betonungen vor, verlangt von Christiane Hörbiger mit bestimmten Fingern die Gifttasse zu halten, er brüllt Lohner mehrmals »Mörrrrder« vor, weil er Empörung und Anklage gegen den Vater schärfer heraushören möchte. Dokumentiert ist auch eine Kuss-Szene, in der Lohner schüchtern seine Lippen auf Christiane Hörbigers Mund drückt und Kortners schnarrende Stimme aus dem Zuschauerraum ruft: »Lääänger küssen.« Worauf Lohner sich elegant mit einem Handkuss bei Christiane Hörbiger entschuldigt, entweder für seine geringe Ausdauer oder für kommende Heftigkeit oder für beides.
Kortner hat in der vierstündigen, wie manche fanden, zerdehnten Aufführung alle Figuren gegen den Strich gebürstet: »Ferdinand ist ein Wirrkopf, leidenschaftlich und eifersüchtig, ein Jüngling, ein Unfertiger auf dem Weg zum Mann« liest man in der Welt. »Er hat die schönste Mitte, das Stückchen Pathos der ersten Szene fällt wieder ab, er ist hinreißend in seinen Ausbrüchen, hinreißend – und glaubhaft in seiner Verzweiflung an der Leiche Luisens.«
Christiane Hörbiger erinnert sich an die anstrengenden Proben und an die letzte Szene im 5. Akt, in der Ferdinand seine getötete Luise auf den Armen trägt und seinem Vater, dem Präsidenten in Gestalt Paul Verhoevens, wortreich droht: »Eine Gestalt wie diese ziehe den Vorhang vor deinem Bette, wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand – Eine Gestalt wie diese stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein letztes Gebet weg – Eine Gestalt wie diese stehe auf deinem Grabe, wenn du auferstehst – und neben Gott, wenn er dich richtet.« »Kortner ließ sie diese Sätze gnadenlos mehrmals wiederholen, bis der Helmuth ihn wütend genug dem Verhoeven entgegen geschleudert hat und dazwischen hat er mich flüsternd angefleht: ›Plocher, bitte nimm ab, du bist zu schwer.‹ Er hat damals ›Plocher‹ zu mir gesagt, wahrscheinlich in Anspielung an die Erzherzog-Johann-Geliebte Anna Plochl.«
Lohners Ferdinand rennt mit kämpferischem Aufbegehren gegen das väterliche System an, »er brauchte kein tumber, nichts als liebender Jüngling mehr zu sein, konnte sich – wie er es ist – als Vorform des Don Carlos mit sozialen Sturm- und Dranggedanken befassen« (Petzet).
Den Don Carlos hat er leider nie gespielt. Vielleicht hat man ihm zwar den Kampfgeist gegen den Vater, die feurige Begeisterung für Posa, die brüske Zurückweisung der Eboli, aber nicht, was auch Teil der Rolle ist, die schwärmerische, zärtlich besinnungslose Liebe zur Königin zugetraut. 2012 wird er in einem Profil-Interview bekennen: »Ich konnte mit klassischen Liebesszenen nie etwas anfangen. Diese heißen Liebesgefühle waren mir immer peinlich. Deshalb hat mich auch der Romeo, dieser Inbegriff des Liebhabers, nie interessiert. Heute wüsste ich zwar, wie ich ihn spielen könnte, aber jetzt ist es ja einigermaßen zu spät.«
Kabale und Liebe, Kammerspiele München, 1965 (Ferdinand) mit Christiane Hörbiger (Seite 53, links oben); mit Fritz Kortner (Seite 53, rechts oben); mit Christiane Hörbiger und Paul Verhoeven (Seite 53, unten)
Kortners eherne, ätzend formulierte Schauspielerregeln bleiben für immer in Lohners Bewusstsein: »Erstens: ›Text lesen, Text genau lesen!‹ Zweitens: ›Denken Sie bei jedem Satz daran, was Sie sagen. Sie verlieren deshalb nicht die österreichische Staatsbürgerschaft!‹«
Auch Christiane Hörbiger war bemüht, alle Anweisungen zu befolgen: »Ich habe ja alles aufgeschrieben, was der Kortner von mir verlangte, damit ich es bei der nächsten Probe wieder richtig mache, ich war hündisch, voll Angst, wie unter einer Hypnose und habe Kortner viel zu sehr nachgemacht. Der Helmuth hat das Wichtigste, was der Kortner ihm vorgespielt hat, für sich genommen und auf seine eigene Art verarbeitet. Aber ein