Lina Loos

Das Buch ohne Titel


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seufzten! Der Mann nahm die gehorsame Hingabe seiner jungen Frau mit einer Selbstverständlichkeit hin, die aufreizend wirkte.

      Bemerkungen der Stammgäste, die darauf hinzielten, die junge Frau auf kleine Unvollkommenheiten ihres Mannes aufmerksam zu machen, blieben wirkungslos.

      Sie blickte immer nur voll Stolz auf das Doppelkinn des Onkels, das vor Manneswürde zitterte. Niemand und nichts konnte ihren Glauben an das berechtigte Herrentum ihres Ehegemahls erschüttern.

      Die leiseste Willensäußerung ihrerseits: »Du, ich hätte gern …«, wurde allerdings sofort durch ein drohendes »Wetti!« im Keim erstickt.

      Ehemänner führten ihre Frauen in das Wirtshaus wegen des guten Beispiels. – Frauen verbaten ihren Männern den Besuch des Lokals wegen des schlechten Beispiels. Der ganze Bezirk wurde unruhig, etwas Fremdes und Ungewohntes war vom Lande her eingeschleppt worden.

      Das ging so einige Jahre – die Tante näherte sich schon ein wenig dem Wirtinnenaussehen, und der Onkel wurde schon etwas »schwammig«, aber er fühlte sich immer als Herrenpilz –, da ereignete sich etwas Sonderbares.

      Es war an einem Donnerstag (es gab Blut- und Leberwürste), als die Tante sich neben ihrem Gatten, die blendendweiße Schürze glattstreichend, artig wie gewöhnlich am Stammtisch niederließ.

      An diesem denkwürdigen Abend hatte sich ein Telepath eingefunden, der eben stürmisch aufgefordert wurde, ein Experiment seiner unheimlichen Kunst vorzuführen.

      Die blauen Augen der Wirtin blickten etwas verständnislos drein, aber sie wagte nicht ihren Mann zu fragen.

      Als der Telepath nach längerem Zögern sich bereit erklärte und die Hand des Onkels ergriff, wurde die Tante ängstlich; unruhig blickte sie auf ihren Gatten, der ihr aber mit einer männlich überlegenen Gebärde weibliche Schwäche verwies.

      Also der Telepath nahm die Hand des Onkels und legte sie so langsam und behutsam auf den Tisch (wie man Würste in die Pfanne legt), darauf legte er die kleine zierliche Hand der Tante – blickte den Onkel scharf an und sagte: »Sie können die Hand nicht unter der Hand Ihrer Frau hervorziehen.«

      Der Onkel lachte zuerst überlegen, dann wurde er rot und bleich, aber er konnte trotz aller Anstrengung die Hand nicht bewegen; er lachte verlegen.

      Die blauen Augen der Tante wurden immer größer und größer, alles war begeistert von dem gelungenen Experiment.

      Der Telepath, selbst trunken von dem Erfolg, erklärte sich jetzt freiwillig bereit, das Experiment zu wiederholen – das hätte er nicht machen sollen!

      Er legte jetzt die Hand der Tante unten und die Hand des Onkels darauf, blickte meine Tante scharf an und sagte: »Jetzt können S i e die Hand unter der Hand Ihres Mannes nicht mehr hervorziehen.«

      Alles lachte und protestierte gegen das zu leichte Experiment – aber die Tante zog ruhig und überlegen ihre Hand hervor.

      Das Experiment war zwar mißlungen, aber jetzt folgte Sensation auf Sensation.

      Bei der Tante hatte sich eine sichtbare Änderung vollzogen, die Augen funkelten, die Haltung war straff und gebietend geworden.

      So einfach geht das? dachte sie, und in einer Minute war alles vorbei.

      Ihr schlafender Wille war plötzlich erwacht und stürzte sich heißhungrig auf den erstbesten Willen und fraß ihn mit Putz und Stingel.

      Der Onkel ließ noch einmal sein drohendes »Wetti!« ertönen, aber vergeblich; die Tante sah ihn scharf an und sagte: »Sei still«, und der Onkel war still, und dabei blieb es.

      Die Ehe ist aber trotzdem weiter eine gute und glückliche Ehe geblieben, es war nur alles umgekehrt.

      Der ganze Bezirk atmete auf – der Ausgang erweckte allenthalben große Befriedigung.

      Mit solchen Dingen soll man immer vorsichtig sein.

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      Mir ist auch einmal eine schreckliche Geschichte passiert.

      Es war in einer Gesellschaft, in der die Kunst des Handlesens geübt wurde. Nun muß ich offen sagen, daß ich bis dahin keine sehr gläubige Anhängerin dieser Tätigkeit gewesen bin und nur mittat, um nicht als Spielverderberin angesehen zu werden.

      Ich reichte also dem nervösen, bleichen jungen Mann meine Hand; aber kaum hatte er einen Blick hineingetan, als er erschreckt zurückfuhr und sich entschieden weigerte, etwas wahrzusagen.

      Er war so bestürzt, daß ich neugierig wurde; ich versicherte ihm immer wieder lachend, daß ich an diese Dinge nicht glaube und mich nicht aufregen würde, auch wenn er die schrecklichsten Prophezeiungen von sich geben würde.

      Endlich, nach langem Bitten, ließ er sich überzeugen und sagte mit leisen, zögernden Worten: »Sie leben nicht lange, Sie sterben früh. Sie sterben bald, sehr bald.«

      »Wann?«

      »Schon mit vierzig Jahren!«

      Das hat mich mächtig ergriffen, ich zitterte und mußte gelabt werden. Der bleiche Herr war außer sich und machte sich selbst die heftigsten Vorwürfe.

      »Ich hätte es nicht tun dürfen. Es kann sich doch niemand einem solchen Eindruck entziehen. Verzeihen, verzeihen Sie!«

      Ich sagte mit leiser, bebender Stimme: »Das habe ich nicht erwartet! Was, seit zwei Jahren bin ich schon tot? Und niemand hat mir ein Wort davon gesagt!«

      Da kann einen doch wirklich der Schlag treffen!

       Ländliche Verwandte

      Wir hatten eine uralte Großtante, die ihrerseits wieder einen Neffen hatte. Dieser Neffe war sehr arm und lebte eigentlich nur von den harten Nüssen, die ihm das Leben zu knacken gab.

      Nun besaß diese alte Großtante eine immer verschlossene Truhe. Und der sinnende Blick des Neffen ruhte oft auf dieser Truhe und er führte listige Reden: »Frau Tant’, Sie sind gar zu sparsam, Sie vergönnen sich rein gar nichts! Sie haben am Land ein schweres Leben gehabt, bei uns in der Stadt können Sie sich’s schon ein wenig gut gehen lassen –, mitnehmen können Sie einmal doch nichts von dem, was da in der Truhe ist!«

      »Fei recht hast, lang leb i nimmer! Di hab i gholfen auf die Welt z’bringen und deine Sechse. Bald bin i neunzig –, dein siebenten Buam erleb i nimmer! Sieben Manner hab i gholfen, daß s’ a die Sonn sehgn auf unserer schönen Welt, das is mei Stolz, i brauch nix mehr!«

      Das waren so ihre Reden.

      Und es kam, was einmal kommen mußte.

      Der Tag, an dem er als Erbe die Truhe aufschloß, feierlich und behutsam.

      Da lagen seidene Schürzen, alte Spenzer, vergilbtes Leinen.

      Er suchte unruhig und unruhiger.

      Es war nichts Erwartetes zu finden.

      Doch – da ganz unten lagen sieben kleine, sorgsam verschnürte Päckchen. Auf jedem Name und Datum sauber verzeichnet.

      Sein und seiner sechs Buben Geburtstag.

      Er öffnete eines – alle enthielten dasselbe.

      Liebevoll aufgehobene, abgeschnittene, eingetrocknete Nabelschnüre!

      Eine alte Bauernsitte, längst nicht mehr gehandhabt. Sie bewog den Städter, die Truhe wieder, diesmal aber rasch zu schließen.

       Ein Familienstreit

      Bei uns zu Hause wurde immer gestritten: sind wir mit Andreas Hofer verwandt oder nicht?

      Mein Vater sagte »ja«, die Mutter »nein«. Mein Bruder sagte »ja«, meine Schwester einmal »ja«, einmal »nein«.

      Da wurde