Sie verheiratet?«
»Ja, Hochwürden, und damals vor vierzehn Jahren war ich beichten, das muß man so bei uns.« Ich dachte, er kommt von weit her, vielleicht weiß er das nicht. Er lächelte so ein bißchen und fragte weiter:
»Haben Sie Kinder?«
»Drei.«
»Sind die Kinder brav?«
»Gott sei Lob und Dank, Hochwürden; sehr brav sind sie und ganz gesund.«
Da lächelte er wieder, hob ganz langsam die Hand und sagte: »Eine Mutter, die drei brave, gesunde Kinder hat, kann nicht viele Sünden begangen haben«, und gab mir den Segen.
Mutter saß ruhig da, ganz erfüllt von ihrem schönen Erlebnis. Wir waren maßlos stolz. Auf einmal fiel ihr Blick auf uns, und sie schlug mit der Hand auf den Tisch und schrie laut und energisch: »Ihr braucht euch gar nichts darauf einzubilden, freche, ungezogene Fratzen seid ihr, damit ihr’s wißt, ich habe gelogen, jawohl, gelogen, so!«
Aber uns konnte sie nicht täuschen mit dieser pädagogischen Anwandlung; unter wildem Geschrei sprangen wir auf sie zu und wollten sie alle drei zugleich umarmen und küssen; sie wehrte sich vergeblich gegen den Überfall.
Da klopfte es wieder leise bittend an die Wand.
Drüben saß eine Mutter und weinte aus Angst, herüben saß eine Mutter und weinte aus Freude.
Von nun an spielten wir unentwegt »beichten gehen«. Mein Bruder war der Pfarrer, und meine Schwester kniete vor ihm und beichtete, daß sie zwölf ganz gesunde Kinder habe. Mein Bruder sagte: »Dann sind Sie gestraft genug!« und gab ihr seinen Segen.
Ich stand dabei und bellte. Ich konnte sonst noch nichts.
Allererste Kindheitserlebnisse
Es sind dies: ein blindes Pferd, eine Brennesselstaude und die erste Lüge, die ich zu begreifen suchte.
Meine Eltern hatten für ihr Geschäft ein blindes Pferd gekauft, weil es billig war.
Dieses Pferd liebte ich sehr, denn es erweckte die erste Empfindung in mir, über die kindliche, egoistische »Ich-Liebe« hinaus.
Das Tier war so fromm und gut, und es erkannte mich schon von weitem an der Stimme. Ich versuchte, an seinen Beinen hinaufzuklettern, um es streicheln zu können, da spitzte es die Ohren und rührte sich nicht, um mir nicht wehzutun. Jeden Abend wartete ich, bis es müde und erschöpft nach Hause kam, um ihm »Gute Nacht« zu sagen.
Ich wollte, ich hätte mein ganzes Leben so ergeben, treu und pflichterfüllt gelebt wie dieses Pferd. Ein so schönes Beispiel hatte mir da das Leben unvergeßlich ins Herz geprägt. Das Leben tut wirklich alles, um sich verständlich zu machen; es gibt Beispiel um Beispiel, aber wir verstehen es nicht oder verstehen es zu spät.
Dieses liebe, arme Pferd, so gütig wie eine Kreatur nur sein konnte, es liebte mich sicher auch, liebte mich so tief, wie eine Kreatur eben lieben kann.
Eines Abend wartete ich vergeblich. Es kam nicht. Es kam nie mehr, es war gestolpert und hatte sich ein Bein gebrochen wurde vom Roßfleischhändler gekauft und wiederverkauft.
Dies war der erste wilde Schmerz meines Kinderherzens. Und es war so schwer zu verstehen. Warum kam kein Doktor? Warum lag es nicht im Bett, bekam es keine Umschläge, nicht süße Chaudeau? Warum sagen die Großen, man mußte es erschießen; ich hätte es schon gesund gepflegt – wie schwer war dies alles zu verstehen?!
Die zweite unvergessene Erfahrung war körperlicher Art. Nur mit einem kurzen Kinderhemd bekleidet, fiel ich von einer Gartenbank in hohes Brennesselgestrüpp; vergeblich suchte ich mich zu befreien. Es war der erste wilde Körperschmerz.
Damals mußte ich annehmen, daß Tiere gut, Blumen oder Pflanzen aber böse sind und kleine Kinder nicht lieben – und für ein Kind ist doch alles so schwer zu verstehen.
Warum nur für ein Kind?
Ich verstehe es heute noch nicht, warum sich die Brennesseln so wehren; wer tut ihnen etwas?
Das gute, brave Pferd liebte, wurde geliebt und wurde erschossen.
Die bösen Brennesseln lieben niemanden, werden von niemandem geliebt und von allen in Ruhe gelassen!
Mein Bruder Karl
Mein Bruder (Karl Forest) wurde, wie es in alten Bauernfamilien Sitte ist, kaum geboren, schon zum Pfarrer bestimmt.
Der Leser ahnt bereits Böses – erraten –, er wurde Schauspieler.
Der Übergang vollzog sich nicht gewöhnlich.
Zunächst besuchte mein Bruder das Gymnasium, und die Familie lebte ruhig dahin, nichts ahnend von den umstürzlerischen Sehnsüchten eines mißratenen Sprößlings.
Nur einmal fragte der Professor meine Mutter: »Was soll denn Ihr Sohn werden?« – »Pfarrer«, sagte meine Mutter stolz. »Ich glaube eher, Schauspieler; als ich neulich etwas verfrüht in die Klasse kam, stand er auf dem Katheder und kopierte mich – na, wenn Sie da nur keine Überraschungen erleben.«
Diese Geschichte wurde vorläufig als »lustige Geschichte« von der Familie weitererzählt.
Die Überraschung kam bald.
Als meine Mutter sich wieder einmal nach den Fortschritten ihres Sohnes erkundigen wollte, erfuhr sie, daß er dem Gymnasium nicht mehr angehöre.
Die Überraschung überstieg alle Erwartungen.
Was war geschehen?
Mein Bruder hatte das Schulgeld zwar immer in Empfang genommen, aber es nicht im Gymnasium, sondern in der Theaterschule eingezahlt.
Er hatte seinen Beruf gewechselt und vergessen, der Familie davon Mitteilung zu machen.
Dieser Fall von Vergeßlichkeit war so schwer, daß die Großmutter zugezogen werden mußte.
Unsre Großmutter war sehr streng; als Hausfrau des »Schwarzen Adlers« in Fünfhaus war sie an und für sich schon eine Respektsperson, aber als Großmutter war sie unbeschränkte Herrscherin in der Familie.
Ihre Urteile als Richterin waren gefürchtet und unangreifbar. Um so mehr, als sie sie sofort und persönlich vollstreckte. Aber dieser außergewöhnliche, noch nie dagewesene Fall erforderte außergewöhnliche Maßnahmen, und die wurden von meiner Großmutter getroffen.
Mein Bruder wurde zu einem Schlosser in die Lehre gegeben.
Der renitente Geist sollte durch körperliche Leiden niedergekämpft werden.
Experimente mißglücken öfter. So auch hier.
Der biedere Schlossermeister, der sich dazu hergegeben hatte, die Sehnsucht durch Hämmern zu vertreiben, erschien eines Tages bei meiner Mutter.
»Sie, Frau«, sagte er, »das geht net, ich hab gestern Ihrem Sohn zwa schwere Traversen zum Tragen geben; wie er fort war, hab i mir denkt, der Gstudierte (wie er meinen Bruder verächtlich nannte) kann vielleicht zammbrechen, und bin ihm auf der Straßen nachgangen, wissen S’, was der gmacht hat? Gschlagene drei Viertelstunden – i lüg net – is er bei einer Säuln gstanden, die schweren Traversen am Rücken, und hat alle Theaterzetteln auswendig glernt, ich hab glaubt, das Kreuz bricht ihm ab. Sagen Sie, Frau, haben Sie kein Herz im Leib?«
So wurde mein Bruder Schauspieler!
Ob er die schweren Traversen dieses Berufes auch nicht gespürt hat und immer noch gläubig auf Theaterzettel starrt?
Wir wollen es hoffen!
Seinen Werdegang kann ich nicht schildern, aber leicht hat er es sicher nicht gehabt; der Schrecken, als Pfarrer unbeweibt durch das Leben gehen zu müssen, war so groß, daß er einigemal mehr, als nötig gewesen wäre, geheiratet hat – das sind Traversen,