gab und Mutti im Cocktailschürzchen Toast Hawaii zum Nachtmahl servierte. Erst kürzlich veröffentlichte das Marktforschungsinstitut Spectra eine Umfrage, deren Ergebnis in den Medien heftig debattiert wurde.6 Es besagte, dass eine gestiegene Zahl von Österreicherinnen und Österreichern tradierte Rollenbilder (samt entsprechender Arbeitsteilung) gut findet. Von einem möglichen Comeback der Fulltime-Hausfrau wurde daraufhin geschrieben und von einer allgemeinen Sehnsucht nach den idyllischen 1960er-Jahren.
Tatsächlich sind Träume von ultimativ heilen Verhältnissen nichts anderes als der Traum vom heißen Eislutscher. Wenn Sehnsuchtsvorstellungen von einer geordneten Welt, in der alle zufrieden sind, heute auf das Setting der 1960er projiziert werden, dann zeugt das nur von einer Unkenntnis dieser Zeit und einer verfälschten Überlieferung. Jüngere Menschen, die vom Styling Jackie Kennedys oder dem der Hausfrauen aus Mad Men auf ein elegantes, sorgloses Leben damals schließen, wissen nicht, wie es wirklich zuging. Es ging in Wahrheit nicht besonders elegant zu und höchst selten sorglos. Restriktion, wohin man schaute, besonders für (Haus-)Frauen und Mädchen. Moralinsaure Heuchelei. Selbstverständlicher Sexismus. Wenig durchlässige gesellschaftliche Hierarchien.
Was Frauen sich vermutlich vorstellen, wenn sie vom Hausfrauendasein träumen: Kein Stress. Kein Arbeitsleid. Morgens länger schlafen. Versorgt sein. Ausreichend Geld, das ein anderer verdient. Ein schönes Haus. Ein liebenswürdiger Ehemann, der gut gelaunt Karriere macht, damit es seiner Familie an nichts fehlt. Mit den Kindern lustige Sachen unternehmen. Erfüllte Tage bei kreativer Marmeladenherstellung und fröhlichem Kuchenbacken. Rote Rosen zum Hochzeitstag.
Was sich eine Frau höchstwahrscheinlich nicht vorstellt, wenn sie vom Hausfrauendasein träumt: Staubsaugen, Badewannen scheuern, Klos putzen und hinter jedem Familienmitglied herräumen sollen, weil die Mama ja eh nichts anderes zu tun hat. Knausern müssen. Diskussionen über jede Geldausgabe. Streitende Kinder. Den ganzen Tag mit keiner erwachsenen Person reden können und abends einen grantigen Ehemann in Ruhe lassen sollen. Harsche Kritik an der kreativen Marmelade.
Nun ist natürlich nicht gesagt, dass Berufstätigkeit vor Staubsaugen, Kochen, maulenden Familienmitgliedern und der Notwendigkeit des Sparens schützt. Und bestimmt träumt manche Hausfrau nicht vergeblich von Rosen zum Hochzeitstag. Aber trotzdem: Das Hausfrauenbild, das beschworen wird, wenn tradierte Rollenmuster gepriesen werden, ist kein realistisches. Bewusst werden Abhängigkeit, Mühsal und ein ungesicherter Lebensabend ausgespart.
Was die Idee vom Daheimbleiben wieder attraktiver macht, ist im Grunde leicht erklärt. Der Stress hat zugenommen, das Berufsleben wird immer härter, die Gehälter sinken, Kindergärten und Ganztagsschulen sind in bestimmten Regionen immer noch dünn gesät, und Hausarbeit ist vielfach nach wie vor alleinige Frauensache, Berufstätigkeit hin oder her. Klar macht das wenig Freude. Doppel- und Dreifachbelastung: Da träumt frau schon davon, wenigstens eine der Belastungen los zu sein. Und weil sie ja schließlich Kinder und Mann gern behalten möchte, kann sie sich am ehesten noch vorstellen, den Beruf aufzugeben. Wenigstens manchmal. Theoretisch. Zumal die Arbeitswelt mehr und mehr bewusst als Gegensatz zu Familie konstruiert und inszeniert wird. Wer reüssieren will, muss, so heißt es, immer im Einsatz und ständig abrufbar sein, soll ganz der Firma beziehungsweise dem (prekären) Job gehören, darf in Gedanken, Worten und Werken nur um die Berufsarbeit kreisen. Nicht sehr verlockend.
Praktisch allerdings wissen Frauen (und Männer) offenbar durchaus, dass Berufstätigkeit trotzdem nicht blöd ist. 81 Prozent der von Spectra Befragten fanden, sie sei das beste Mittel für Frauen, unabhängig zu sein.
Was also? Nochmals: Das Unbehagen an den heutigen Zuständen resultiert nicht aus der Tatsache, dass Mutti beim Autokauf mitreden und selbstständig entscheiden darf, ob sie neue Zahnbürsten für die Familie anschafft, sondern aus der zunehmenden Brutalisierung der Arbeitswelt. Weswegen eine Lösung in deren Umgestaltung liegen würde. Beruf müsste – für Frauen wie für Männer – vereinbar sein mit einem halbwegs erfüllenden Privat- und Familienleben.
78 Prozent der von Spectra Befragten meinten übrigens, dass es Männer im Berufsleben leichter hätten als Frauen. Seltsamerweise zog niemand daraus den Schluss, die Frauen sollten es künftig im Beruf wenigstens genauso leicht haben wie die Männer. Stattdessen: Verklärung der klassischen Rollenbilder. Na ja. Strengt nicht an und kostet nix, zumindest auf den ersten Blick.
6 www.spectra.at/fileadmin/user_upload/Spectra_Aktuell_Archiv/2012/Aktuell_10_12_Rollenbild.pdf
Oktober
8
2012
Was sein wird
Man muss rechtzeitig – aber was? Wie sollen wir auf Defizite reagieren, die wir noch nicht kennen?
Es ging ganz schnell. Umgeknöchelt auf Plateausohlen (bitte keine Kommentare zu Plateausohlen, ich kenne sie alle), fünfter Mittelfußknochen gebrochen. Den Juli verbrachte ich mit Gipshaxn. Von einem Moment auf den anderen: Humpeln und Hatschen statt Herumwieseln wie üblich. Autofahren nicht möglich.
Mein kleines Haus ist hundert Jahre alt. Seinen Charme machen unter anderem die vielen unterschiedlichen Ebenen darin aus. Plötzlich waren sie total uncharmant. Stiegen und Stufen zwischen den Räumen und sogar innerhalb mancher Räume. Mit Krücken (und ungeübt in deren Gebrauch) ein Horror. Als der Gips aushärten sollte und ich deswegen keinesfalls auftreten durfte, rutschte ich abwechselnd auf Knien und Hintern treppauf, um den Hals hing mir eine Tasche mit den zu befördernden Dingen wie Handy, Brillen, Terminkalender. Eine entwürdigende Aktion.
Meine Umgebung war rührend hilfsbereit. Man kaufte für mich ein und chauffierte mich, ich sollte anrufen, wenn ich was brauchte, abends kamen die Tochter oder Freundinnen und Freunde vorbei, packten mich ins Auto und fuhren mit mir zum nächsten Heurigen, um einem etwaigen Lagerkoller vorzubeugen. Eine erfreuliche Erfahrung. Indes kein Langzeitkonzept. Visionen von Hilflosigkeit im höheren Alter stellten sich ein. Einsames Dahinvegetieren, um niemandem zur Last zu fallen. Grauenvoll. Man sollte beizeiten – ja, was? Das Problem ist, dass ich keine Ahnung habe, was sein wird. Wie alle anderen auch. Woran wird es uns fehlen, auf welche Defizite sollen wir uns einrichten, was werden wir brauchen? Vielleicht bleiben wir ja halbwegs rüstig. Falls nicht, welche Einschränkungen kommen auf uns zu? Es macht nämlich einen Unterschied, ob man schlecht sieht oder nix hört oder nimmer gehen kann, ob das Hirn nicht mehr mitmacht oder die Muskulatur oder die Leber.
Was nützt mir die barrierefreie Wohnung, wenn meine Altersbeschwerden gar nichts mit meinem Bewegungsapparat zu tun haben? Wären Sie halt. Hätten Sie halt. Warum haben Sie nicht längst? Das kommt davon, weil die Eltern nicht rechtzeitig … Was ist die rechte Zeit wofür? D., meine Freundin seit Langem, einst sportlich und taff, hat ein heimtückisches neurologisches Leiden aufgerissen, das ihr die Kontrolle über ihre Muskeln entzieht. Sie braucht Hilfe beim Gehen, Stehen, Essen, Waschen, Anziehen. Seit einiger Zeit benützt sie einen Rollstuhl.
Vor vielen Jahren ist sie in den Süden gezogen. Dort will sie bleiben, in ihrem Haus, am Meer, unter der Glyzinienlaube und den Feigenbäumen. Ihr Mann ist gestorben, ihre Kinder wohnen und arbeiten in Österreich. Warum übersiedelt sie nicht hierher zurück?
Darum: Weil sie an ihrem Heim hängt. Weil sie an dem Land hängt, das ihr Heimat geworden ist. Weil sie an ihrer Autonomie hängt, auch wenn die nur noch mit äußerster Anstrengung und unter Aufzehrung aller finanziellen Reserven mehr schlecht als recht aufrechterhalten wird.
Ihre Betreuungspersonen wechseln. Die letzte Putzfrau hat sie hemmungslos bestohlen. Die Nachbarn, die immer eine Ersatzfamilie waren, haben gravierende eigene Sorgen. Und dennoch. Was wäre die Alternative? Ein Bett in einem Pflegeheim, mit Blick auf graue Häuserwände?
Cousine S. ist über achtzig, blitzgescheit nach wie vor, wach, interessiert, aber körperlich zunehmend schwach. In immer kürzeren Abständen liegt sie darnieder. „Bringt mich nur nicht ins Spital“,