Ludwig van Beethoven
Ich lebe nur in meinen Noten
Lebenslaute Briefe
Herausgegeben von Andreas Udo Schmidt
INHALT
»Das Glück ist kugelrund und fällt daher natürlich nicht immer auf das Edelste, das Beste.«
DIE ÄRA DER FREUND- UND LIEBSCHAFTEN
»… schreiben Sie mir, was es geben soll mit mir, seit mein Herz solch ein Rebeller geworden ist.«
BEETHOVENS VORMUNDSCHAFT ÜBER SEINEN NEFFEN CARL VAN BEETHOVEN
Wien, ab 1815
Baden, ab 1823
LUDWIG VAN BEETHOVENS LEBENSENDE
»Ich gedulde mich und denke: alles Üble führt manchmal etwas Gutes herbei«
Wien, ab 1826
VORWORT
Ludwig van Beethoven erfreut mit seiner Musik, seit man zum ersten Mal eine seiner Kompositionen hörte. Vor 200 Jahren wurde er in Bonn geboren (getauft am 17. Dezember 1770) und den meisten sind die folgenden Dinge über ihn bekannt: Beethoven wurde taub, er wirkte von Wien aus, und sobald man von klassischer Musik spricht, kommt vielen der Beginn seiner fünften Sinfonie in den Sinn. Darüber hinaus ist kaum etwas über das Wesen Beethovens im Allgemeinwissen verankert. Von den berühmtesten deutschsprachigen Komponisten war Mozart ein Rockstar, Bach ein Genie, Liszt charismatisch, Wagner ein Antisemit, aber wie war Beethoven als Person? Lassen wir den Mann selbst schreiben!
Beethoven pflegte zeitlebens intensive Briefkorrespondenzen. Darin erleben wir seine Gefühle, Gedanken, Gebrechen und können sein erwachsenes Leben aus seiner eigenen Sicht nachvollziehen. Die Auswahl seiner Briefe beginnt nach dem Tode seiner Mutter, im Jahr 1787. Ebenso einschneidend für sein Leben sind besonders sein frühes Testament 1802 in welchem er erstmals seine Suizidsehnsüchte niederschreibt, sein Brief an die unbekannte »Unsterbliche Geliebte« 1812, die Beziehung zu seinem Neffen Karl, dessen Selbstmordversuch im Jahr 1826 einen spürbaren Eindruck in den Briefen hinterlässt, sowie Beethovens ständige Bemühungen um Gesundheit und finanzielle Absicherung.
Dies sind die bedrückenderen Seiten seines Lebens, und die berühmtesten. Doch Beethoven spaßt auch, er scherzt, er wird sogar zotig!
In diesem Band werden seine Briefe unkommentiert kontextchronologisch präsentiert, ausgewählt, um Beethoven menschlicher in der Allgemeinheit zu verankern. Besonders gern hat er sich um seine Schüler Carl Czerny, Ferdinand Ries und Rudolf von Österreich-Toskana gekümmert, Späße getrieben mit seinen Freunden Nikolaus Zmeskall und Franz Gerhard Wegeler sowie seine Mäzene Lobkowitz, Kinsky und Lichnowsky geehrt. Gegen Lebensende musste er sich mehr und mehr auf Andere verlassen, u. a. auf seine Sekretäre Anton Schindler und Karl Holz.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser leichten Lektüre,
Andreas Udo Schmidt
DIE FRÜHEN JAHRE
»DAS GLÜCK IST KUGELRUND UND FÄLLT DAHER NATÜRLICH NICHT IMMER AUF DAS EDELSTE, DAS BESTE.«
Von Bonn nach Wien – ab 1787
An Dr. Schade in Augsburg.
Den 15ten Herbstmonat, Bonn 1787.
Hochedelgeborner
insonders werther Freund!
Was Sie von mir denken, kann ich leicht schließen; daß Sie gegründete Ursachen haben nicht vortheilhaft von mir zu denken, kann ich Ihnen nicht widersprechen; doch will ich mich nicht eher entschuldigen, bis ich die Ursachen angezeigt habe, wodurch ich hoffen darf, daß meine Entschuldigungen angenommen werden. Ich muß Ihnen bekennen: daß, seitdem ich von Augsburg hin weg bin, meine Freude, und mit ihr meine Gesundheit begann aufzuhören; je näher ich meiner Vaterstadt kam, je mehr Briefe erhielt ich von meinem Vater geschwinder zu reisen als gewöhnlich, da meine Mutter nicht in günstigen Gesundheitsumständen wäre; ich eilte also so sehr ich vermochte, da ich doch selbst unpäßlich wurde: das Verlangen, meine kranke Mutter noch einmal sehen zu können, setzte alle Hindernisse bei mir hinweg und half mir die größten Beschwernisse überwinden. Ich traf meine Mutter noch an, aber in den elendesten Gesundheitsumständen; sie hatte die Schwindsucht, und starb endlich, ungefähr vor sieben Wochen, nach vielen überstandenen Schmerzen und Leiden. Sie war mir eine so gute, liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin; o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen? Den stummen ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt? So lange ich hier bin, habe ich noch wenige vergnügte Stunden genossen; die ganze Zeit hindurch bin ich mit der Engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich muß fürchten, daß gar eine Schwindsucht daraus entstehet; dazu kommt noch Melancholie, welche für mich ein fast ebenso großes Übel als meine Krankheit selbst ist. – Denken Sie sich jetzt in meine Lage, und ich hoffe Vergebung für mein langes Stillschweigen von Ihnen zu erhalten. Die außerordentliche Güte und Freundschaft, die Sie hatten, mir in Augsburg drei Carolin zu leihen, muß ich Sie bitten, noch einige Zeit Nachsicht mit mir zu haben; meine Reise hat mich viel gekostet, und ich habe hier keinen Ersatz, auch den geringsten zu hoffen; das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig. Sie werden verzeihen, daß ich Sie so lange mit meinem Geplauder aufgehalten; alles war nöthig zu meiner Entschuldigung.
Ich bitte Sie, mir Ihre verehrungswürdige Freundschaft weiter nicht zu versagen, da ich nichts so sehr wünsche, als mich Ihrer Freundschaft nur in etwas würdig zu machen.