Lin Rina

Vom Wind geküsst


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nicht er, bitte nicht Justus!, flehte ich still und schloss für einen Moment die Augen. Denn da war noch mehr in Elyssabeds Blick, der sich stetig veränderte und andere Facetten zum Vorschein brachte, die ich nicht mehr so einfach erraten konnte. Und die mir Angst machten.

      Es war, als zöge ein kalter Nordwind durch meinen Kopf.

      »Das ist Justus«, beantworte ich ihre Frage widerwillig und fühlte mich gar nicht gut dabei. »Er ist mein bester Freund«, fügte ich eilig hinzu und schalt mich im selben Augenblick für diesen Leichtsinn. Ich versuchte, ihn für mich zu haben, Ansprüche an ihm geltend zu machen. Dabei konnte ich ihn gar nicht haben.

      Doch sie kann es auch nicht!, spottete meine innere Stimme und ich erhob mich ohne Vorwarnung vom Kutschbock.

      Elyssabed blinzelte überrascht.

      »Entschuldige mich«, sagte ich knapp, sprang hinunter ins Gras und hielt auf Tanja zu, die mit Hanna und Garan vor ihrem lila­farbenen Wagen saß und Brotteig knetete. Tai entfachte gerade mühsam ein kleines Feuer aus Holzspänen und Rinde. Die großen Steine, die wir zum Backen verwendeten, lagen bereit.

      Als ich mich auf die Holzbank zu ihnen setzte, hob Tanja erstaunt den Kopf und spähte an mir vorbei in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich sah nicht hin, denn ich wusste auch so, dass ihr Elyssabed auffallen musste.

      Sie seufzte wie zur Bestätigung, nickte mit wissender Miene und kippte mir wortlos einen Löffel voll Mehl über die Hände. Dann legte sie einen großen Klumpen Teig vor mir auf den niedrigen Tisch.

      »Kräftig durchkneten«, wies sie mich an.

      Ich begann zu kneten. Und wie ich knetete! All meine Wut, Eifersucht und enttäuschten Hoffnungen schlug ich mit den Fäusten in den Teig.

      »Und wo werde ich schlafen?«, fragte Elyssabed beim Essen, als Bree ihr sagte, dass am heutigen Abend sonst nichts weiter mehr passieren würde. Wir wollten alle früh zu Bett gehen, um uns von dem Reisetag zu erholen und für morgen bereit zu sein.

      »Ähm. Ich weiß es nicht«, gab sie zu und sah sich Hilfe suchend um. Ayo, die neben ihr saß, wusste es ebenso wenig und Dante zuckte nur mit den Schultern, da sein Mund voller Kartoffelpüree war. Justus und Marc schwiegen.

      Justus hatte sich offensichtlich immer noch nicht mit dem Gedanken angefreundet, Elyssabed bis zur Hauptstadt mitzunehmen.

      Marc dagegen versuchte krampfhaft wegzusehen, was ihm bisher weniger gut gelungen war. Sein Blick huschte ständig zu Elyssabed und er verschlang sie mit Haut und Haaren. In seinem Kopf lockte er sie sicher schon in seinen Wagen.

      Doch ich hatte gehört, wie sein Vater ihm in dieser Sache gleich einen Riegel vorgeschoben hatte. »Denk nicht mal dran«, hatte er ihn gewarnt und Marc hatte sich beleidigt auf die Lippe gebissen.

      »Du kannst mein Bett haben«, bot ich an, als niemand antworten konnte, und versuchte unverfänglich zu lächeln. Warum auch nicht, ich schlief ja eh im Freien.

      Sichtlich erleichtert atmete Elyssabed auf. »Welcher Wagen ist denn deiner?«, wollte sie wissen und drehte sich nach hinten um.

      »Der grüne«, ereiferte sich Ayo aufgeregt und grinste breit. Wahrscheinlich hoffte sie auf nächtliche Unterhaltungen.

      »Aber ist das nicht der Wagen, in dem du schläfst?«, erkundigte sich Elyssabed verwirrt und sah sich nach Ayo um.

      »Ja, mit Hanna und Mei«, bestätigte diese und Brees Gesicht wurde immer verkniffener. Es ärgerte sie jetzt wohl mehr denn je, dass sie kein Teil davon war.

      Elyssabed biss vorsichtig in den Brotfladen, den ich vorhin auf einem Stein ausgebacken hatte. Er war an einer Ecke ein wenig verbrannt, da ich nicht besonders geschickt im Kochen war.

      Es von Tanja oder Garan zu lernen konnte jedoch sehr mühsam sein, da ihnen ihre Feuerfähigkeiten zugutekamen.

      »Und wo werdet ihr solange schlafen?«, fragte Elyssabed ganz unbedarft in die Runde.

      »Auch in dem Wagen. Es gibt vier Betten darin«, sagte Ayo etwas unsicher.

      Diese lachte jedoch glockenhell, als erlaubte man sich einen Scherz mit ihr. »Das ist unmöglich!«, rief sie aus und schüttelte königlich den Kopf. »Niemand kann von mir verlangen, in einem Raum mit anderen Menschen zu schlafen. Was wären denn das für Zustände?«

      Es war nicht zu glauben. Ich starrte sie entgeistert an. Alle taten das. Diesmal sogar Justus.

      Elyssabeds Lächeln wurde schwächer, als sie die Blicke bemerkte, die man ihr zuwarf. Sie räusperte sich verhalten. »Ihr meint wirklich, dass ich …« Sie stockte kurz und holte tief Luft. »… dass ich mit euch zusammen in einem Wagen schlafen muss?« Das Lächeln verschwand und Panik stieg in ihre Augen. So hatte sie sich ihren Plan, sich von uns durchs Land kutschieren zu lassen, wohl nicht vorgestellt.

      Keiner sagte ein Wort, obwohl Justus nur zu gern etwas geäußert hätte. Ich konnte es spüren und legte ihm sofort eine Hand auf den Arm, damit er ruhig blieb. Denn er stand kurz vor dem Platzen. Die Arme angespannt, eine tiefe Furche zwischen den Augenbrauen und ein gefährliches Glühen in den Augen. Er wollte am liebsten lautstark in die Luft gehen und ihr, wenn sie auch nur noch einen Piep von sich geben sollte, den Hals umdrehen.

      Fest grub ich meine Nägel in seinen Unterarm und war entschlossen, den Griff auch nicht zu lockern.

      Es kam mir vor, als würde sogar seine Haut vor Anspannung heißer werden.

      Dann machte Marc den Mund auf und ich sah ihm an der Nasenspitze an, was er sich dabei dachte. »Du könntest unseren Wagen haben«, meinte er leichthin und lächelte ein strahlendes Wolfslächeln. Entweder er spürte die Spannungen seines Bruders nicht oder er ignorierte sie. Ich tippte aber auf Ersteres.

      »Wirklich?«, kam Elyssabed ihm sofort entgegen und strahlte erleichtert.

      Ich ärgerte mich über Marc. Auch wenn es gehässig war, hätte ich mir gewünscht, die Fürstentochter hätte sich mit der Situation arrangieren müssen. Das wäre nur gerecht gewesen.

      Marc sonnte sich geradezu in ihrem Lächeln und straffte die Schultern. »Natürlich«, bestätigte er und machte eine gönnerhafte Geste mit der Hand. »Dante übernachtet einfach bei seinem Bruder und Justus schläft sowieso ständig draußen.«

      Ständig war natürlich übertrieben, aber der Wahrheitsgehalt von Marcs Aussagen sank meist antiproportional zur Schönheit, mit der er es zu tun hatte.

      »Das ist wunderbar«, seufzte die Fürstentochter und legte mit einem zufriedenen Ausdruck die Handflächen aneinander. »Dann ist es abgemacht«, stellte sie sichtlich zufrieden fest, erhob sich und schwebte davon, um sich aus dem Wasserfass zu bedienen.

      Justus’ Anspannung wich langsam und ich lockerte den Griff. Auf seinem Arm sah ich die tiefen halbmondförmigen Einkerbungen meiner Fingernägel. Es musste ziemlich wehgetan haben, doch er sah nicht einmal hin. Er drehte sich nur zu Marc, der sich mit stolzgeschwellter Brust und siegessicherem Lächeln Kartoffelbrei in den Mund schaufelte.

      Justus seufzte laut und schüttelte den Kopf.

      »Was?«, fragte Marc ihn und schaffte es nicht, sein Grinsen zu verbergen.

      »Und wo schläfst du?«, wollte Justus von ihm wissen und wandte sich seinem Essen zu, das er so ruhig aß, als wäre alles bestens.

      Marc verharrte kurz. Es war beinahe hörbar, wie es in seinem Kopf ratterte. Dann sackten seine Schultern nach unten und er starrte seinen Bruder an.

      Darüber hatte er sich wohl bisher keine Gedanken gemacht.

      Der Abend ging zu Ende und Marc verbrachte die Nacht, vor sich hin fluchend, auf einer harten Kappamatte neben Justus im Wald unter meiner Hängematte.

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