um meine Unsicherheit zu überspielen.
Er lachte kurz auf und löschte die Flamme. »Nein. Aber ich habe so was schon mal gesehen. Das Feuer verhält sich manchmal auch seltsam; und es summt dabei.«
Das Lied. »Ja, der Wind fängt an zu singen!«
»Dann wird es so sein«, murmelte Justus und lehnte sich wieder in die Hängematte. Langsam, damit sie nicht anfing zu schaukeln. »Hast du mal von den Artefakten des Feuers gehört?«, erkundigte er sich und ich verneinte.
Justus räusperte sich und fuhr sich mit den Händen durchs kurze Haar. »Die Artefakte des Feuers sind eine Reihe an Edelsteinen. Oft werden sie in Schmuckstücke eingearbeitet und von den Würdenträgern getragen. In den Steinen werden überschüssige Feuerkräfte gespeichert.«
»Wie können Feuerkräfte überschüssig sein?«, unterbrach ich ihn und machte große Augen.
»Leg dich hin. Ich erkläre es dir. Du darfst aber nicht einschlafen«, mahnte er mich und ich lehnte mich an ihn.
»Keine Sorge«, flüsterte ich und spürte trotz all der Sorgen, die mich belasteten, die Schmetterlinge in meinem Bauch.
»Die Feuermagie ist eine Kraft, die sich gleichmäßig auf uns alle im Volk verteilt. Doch jeder von uns entwickelt diese Macht für sich weiter, lebt mit ihr und bereichert sie.
Würde ich beispielsweise sterben, würde die Kraft, die ich als Sechzehnjähriger erhalten habe, zurück an alle anderen gehen. Aber alles, was ich selbst dazu beigetragen habe, bleibt zwar für ein paar Generationen in der Feuermagie erhalten, kann von den anderen aber nicht genutzt werden. Es sind überschüssige Feuerkräfte.
Damit sie aber nicht verloren gehen, werden sie alle fünfundzwanzig Jahre bei einem großen Fest vom Oberhaupt des Feuervolkes in einen Edelstein gebannt. Und nebenbei ein neues Oberhaupt erwählt.« Er sah mich an, versicherte sich, dass ich verstand.
Ich nickte zögerlich und versuchte mir nicht vorzustellen, dass Justus sterben könnte.
»Gut, dann kommt jetzt die relevante Information«, kündigte er an und ich lachte leise.
»War das bisher nicht relevant?«, fragte ich und er drehte sich zu mir.
»Nicht so sehr. Mir ist nur aufgefallen, dass ich dir wirklich selten von uns erzähle. Ich glaube immer, du müsstest das alles schon wissen.«
Sein Gesicht war meinem ganz nah und ich musste mich daran erinnern, ihm zuzuhören.
»Also. Legt man eines der Artefakte ins Feuer oder kommt ihm damit nahe, beginnen die Flammen in Schleifen um die Edelsteine zu ziehen und die Steine summen dazu ein geheimes Lied der Macht.«
Ein geheimes Lied der Macht, echote es in meinen Gedanken. Ich war seit zwölf Jahren mit ihnen unterwegs, hatte bereits elf Winter in ihrer Stadt verbracht und keiner hatte je auch nur eine Silbe davon erwähnt.
Na ja, warum hätte ich, als Außenseiterin, es auch wissen sollen? Es war eines der Geheimnisse des Feuervolkes, und allein schon, dass sie mich in die Feuerstadt ließen, war eine sehr großmütige Geste.
Aber was bedeutete das alles jetzt für mich?
Ich hatte bisher nur selten nach Parallelen zwischen den Völkern gesucht. Die Art, wie ich mit dem Wind umging und sie mit dem Feuer, war so grundverschieden, dass ich immer geglaubt hatte, es müsse in allen anderen Bereichen ebenso sein.
Sie hatten keinen persönlichen Bezug zu ihrem Element, wie ich ihn zu meinem hatte, und behandelten ihre Kräfte wie Werkzeuge, die sie zu Hilfe nahmen und dann wieder löschten. Bei mir war der Wind ein Teil meiner Seele, bestimmte meine Wünsche und Sehnsüchte. Ich beherrschte ihn nicht einfach, sondern arbeitete mit ihm zusammen wie mit einem Freund.
Doch das Kreisen des Windes um das Windspiel war wirklich eigenartig und auch das Singen gab mir einen guten Grund, es mit den Artefakten des Feuers zu vergleichen.
War es ein Artefakt des Windes?
Der Wind war so still gewesen, dass ich für einen Augenblick befürchtete, er wäre schon wieder verschwunden. Doch als ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte, tanzte er sofort um die Hängematte herum.
Ist das wahr?, fragte ich ihn. Ist das Windspiel ein Artefakt?
Zum Schutz und zur Ermutigung, gab er zurück. Die Windartefakte, so besonders, so geachtet und trotzdem hat es alles nichts genützt.
Es war kein klares Ja, aber es reichte als Bestätigung.
Der Wind stob davon und rauschte kraftvoll durch die Baumkronen über uns. Junge Bäume und lange Äste ächzten, jammerten. Es klang, als würde der Wind weinen und sein verlorenes Volk betrauern.
Ich konnte ihn gut verstehen, denn auch ich vermisste es, zu einer Familie zu gehören, Teil eines Volkes zu sein.
»Ein Windartefakt, was?«, sagte ich müde zu Justus. Meine Augenlider waren mittlerweile schwer und mein Geist wirr. Es musste sehr spät sein.
Er rieb sich die Augen und nickte. »Wenn es so ist, Cate, und es tatsächlich ein Artefakt ist, so wie es das bei uns gibt, dann sollten sich dir zwei Fragen stellen«, sagte er und schob sich vorsichtig aus der Hängematte. »Erstens, ob es noch mehr von ihnen gibt und wie du sie so schnell wie möglich in deinen Besitz bringst. Und zweitens …« Er stockte und zündete mit der einen Hand eine winzige tanzende Feuerkugel an, um mir in die Augen sehen zu können. Müde, aber todernst kamen die nächsten Worte über seine Lippen. »… musst du dir bewusstwerden, dass du im Moment allein die gesamte Kraft deines Volkes besitzt. Nur weil alle weg sind, ist sie ja nicht verloren. Sie sammelt sich. Und zwar in dir. Wie mächtig bist du also wirklich?«
Ich schluckte gegen meinen trockenen Hals an. So viele Gedanken, so viel, über das ich nachdenken musste.
In dieser Nacht blieb mir der Schlaf trotz Müdigkeit fern.
7
Der Morgen graute und mein Kopf fühlte sich an wie Grütze. Ich hatte die ganze Nacht gegrübelt und jetzt, wo feiner Dunst vom Boden aufstieg, hatte ich das Gefühl, noch weniger zu wissen als zuvor.
Was sollte ich mit diesen neuen Informationen anfangen?
Ich hatte versucht, mit dem Wind darüber zu sprechen, er gab mir auf meine Fragen jedoch keine sinnvollen Antworten. Und sobald ich konkret nachhakte, verstummte er.
War er wirklich krank? Oder war ich es vielleicht?
Mir war sogar schon der Gedanke gekommen, dass es an meiner Verliebtheit liegen könnte. Allerdings hielt ich das doch für abwegig.
Am wahrscheinlichsten erschien mir, dass das Windspiel die Ursache war oder auch meine Unfähigkeit, es zu verwenden.
Ich wälzte mich auf die andere Seite. Meine Hängematte schwankte dabei leicht. Meine Gefühle spiegelnd zog der Wind träge durch die Baumkronen über mir.
Justus hatte die ganze Nacht selig geschlafen. Anfangs hatte er leise geschnarcht, sich dann auf den Bauch gedreht und seitdem nicht mehr viel bewegt.
»Weil es gebraten besser schmeckt«, hatte er vor ungefähr zwei Stunden im Schlaf gemurmelt und sich an der Stirn gekratzt.
Vorsichtig linste ich über den Rand meiner Hängematte und betrachtete sein schlafendes Profil. Mit den strubbligen Haaren und dem entspannten Gesicht wirkte er viel jünger. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während ich ihn musterte. Seine weich geschwungenen Lippen waren leicht geöffnet und er atmete gleichmäßig.
Mein Kopf war so furchtbar übermüdet, dass ich mich nicht vor meinen eigenen Gedanken retten konnte. Wie sich seine Lippen wohl anfühlten? Wie es war, ihn zu küssen?
Unbewusst fuhr ich mir mit der Zunge über den Mund. Ob er wohl aufwachte, wenn ich es versuchte?