Lin Rina

Vom Wind geküsst


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Wenn ich es tat, würde ich nur schwach werden.

      »Du glaubst doch nicht wirklich, dass du mir so davonkommst.« Justus war mit wenigen Schritten bei mir, packte mich an den Schultern und drehte mich zu sich.

      Ich bemühte mich, im Dunkeln meine Zehen zu erkennen.

      »Ich verspreche, ich sage nichts zu deinem Verhalten der letzten Tage. Aber wenn es dir nicht gut geht oder etwas ist, bei dem ich dir helfen kann, dann lass mich dir helfen.« Seine Stimme war dunkel und weich wie die Nacht selbst.

      Wenn du nur wüsstest, dachte ich bei mir, und wie ich es mir selbst prophezeit hatte, brannte meine Gegenwehr nieder wie ein Haus aus Stroh.

      Ich gab dem übermächtigen Drang nach, lehnte mich vor und drückte meine Stirn gegen Justus’ breite Brust. Er strahlte in der kühlen Nachtluft eine unglaubliche Wärme aus. Wärme, die ich jetzt wirklich gut gebrauchen konnte.

      Justus seufzte tief und strich mir übers Haar, genau wie ich es mir kurz zuvor ausgemalt hatte.

      Doch es fühlte sich anders an. Ich hatte geglaubt, es müsse wunder­schön sein. Aber zu wissen, dass er in mir eine kleine Schwester sah, die es zu beschützen galt, vergiftete den Moment mit einer Bitterkeit. Außerdem würde ich ihn, egal wie, niemals für mich gewinnen können.

      Tränen quollen aus meinen Augen und liefen über. Ich konnte nicht mehr. Die Gefühle für Justus raubten mir Appetit, Kraft und Verstand. Der Blick dieses blonden Fremden jagte mir plötzlich noch mehr Angst ein. Und der Wind war, aus mir unerfindlichen Gründen, krank geworden.

      »Es ist alles zu viel«, schluchzte ich und begann zu zittern. Wie armselig ich aussehen musste. Das war der Tiefpunkt.

      Ich schalt mich selbst für mein feiges Selbstmitleid und versuchte, mich schnell wieder zusammenzureißen. Der Wind, dem es besser zu gehen schien, strich mir an den Händen entlang und flüsterte Ermutigungen.

      Justus legte die Arme um mich, zog mich ganz nah an sich und ich wurde von einer Geborgenheit überwältigt, die mir den Atem raubte. Es kam mir vor, als wurde Justus immer wärmer.

      Angestrengt versuchte ich das Schluchzen zu unterdrücken. Denn der nun erreichte Tiefstand gab mir neuen Mut. Oder war es Verzweiflung?

      »Ich möchte nicht allein im Wald schlafen«, brachte ich atemlos heraus und spürte, wie Justus nickte.

      Vorsichtig ließ er mich los und gebot mir mit einer Geste, kurz auf ihn zu warten. Er ging zu seinem Wagen und zog aus dem Fach unter dem Kutschbock sein Schlafbündel hervor.

      Keine Fragen, kein Zögern. Justus kam meiner Bitte nach.

      Schweigend machten wir uns auf, meine Hand in seiner, um ein geeignetes Baumpaar zu suchen. Er half mir, die Hängematte zwischen die beiden Stämme zu spannen, und blickte mich dabei immer wieder an.

      »Danke«, sagte ich leise und schaffte es sogar, ein wenig zu lächeln.

      »Willst du mir nicht sagen, was los ist?«, fragte er unvermittelt und nahm wieder meine Hand.

      Ich mochte es, wenn wir uns berührten. Es war eine so gewohnte Geste und doch begann ich ihr mehr Wert beizumessen, als ich es früher getan hatte.

      Langsam schüttelte ich den Kopf. Dass ich in ihn verliebt war, konnte ich ihm nicht sagen. Es würde alles zwischen uns kaputt­machen. Denn ich war mir ziemlich sicher, dass er meine Gefühle nicht erwiderte. Die Gesetze des Feuervolkes waren sehr eindeutig.

      Irgendwas würde ich aber sagen müssen, um Justus’ Sorge zu zerstreuen. Also konnte ich ihm wenigstens die anderen Dinge berichten.

      Ich seufzte zum bestimmt hundertsten Mal.

      »Erinnerst du dich an den Mann im Haus des Ratssekretärs. Der, der uns die Tür aufgehalten hat?«, fragte ich vorsichtig.

      Justus nickte.

      Ich hob leicht vom Boden ab, setzte mich in die Hängematte und zupfte Justus am Ärmel, damit er sich neben mir niederließ.

      »Der, von dem Mei behauptet hat, er habe ein Auge auf dich geworfen?«, brummte er und setzte sich umständlich zu mir.

      Wir lehnten uns nach hinten und ich konnte zwischen den Blättern der Bäume sogar ein paar Sterne ausmachen. Justus war ganz nah bei mir, schenkte mir Sicherheit.

      »Er hat mich so seltsam angesehen«, murmelte ich und erinnerte mich an das Lächeln, das er mir vorhin zugeworfen hatte. Mir wurde übel, wenn ich daran dachte.

      »Sag mir bitte nicht, dass du dich in ihn verguckt hast«, sagte Justus plötzlich streng und ich schrak bei seinem harten Tonfall zusammen. Was war denn das?

      »Nein!« Ich boxte ihm gegen das Knie. »Er war an dem Abend beim Fest und hat mich beobachtet.« Mir fuhr ein unangenehmer Schauder über den Rücken. »Und heute war er wieder da.«

      »Was? Kann das Zufall sein?« Justus schien kurz zu überlegen. »Hast du ihn die letzten Abende auch gesehen?«

      Ich schüttelte den Kopf, zuckte aber gleichzeitig ratlos mit den Schultern. »Ich bin nach dem Feuerspektakel gleich schlafen gegangen.« Es gefiel mir nicht, das zuzugeben, denn es könnte zu weiteren Fragen führen.

      Doch Justus blieb einfach still und starrte in die Dunkelheit.

      »Er macht mir Angst«, gab ich zu und drückte mich enger an ihn. »Sein Blick und dieses seltsame Lächeln. Es fühlt sich komisch an. Als ob er irgendwas über mich wüsste.« Erst nachdem ich es ausge­sprochen hatte, wurde mir bewusst, was ich da eigentlich gesagt hatte.

      Justus war sofort alarmiert. »Du glaubst, er weiß, wer du bist?«, fragte er scharf. Ich spürte seinen bohrenden Blick, auch wenn ich im Schatten der Bäume sein Gesicht kaum erkennen konnte, und atmete tief durch.

      »Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß und rieb mir die Augen. »Es gibt aber noch mehr.«

      »Mehr was?«

      »Probleme«, erklärte ich und spürte den Windhauch, der uns umschwebte. Jetzt, wo ich einmal angefangen hatte zu erzählen, fiel es mir auch viel leichter. »Es geht um den Wind.«

      Justus sagte nichts, wartete darauf, dass ich weitersprach. Der Wind kam zu mir, wie als Bestätigung, dass er nicht schon wieder verschwunden war.

      »Es ist, als ob er in letzter Zeit ab und zu krank wäre. Er …« Ich stockte wieder und bedachte meine Worte noch einmal. »Er verschwindet für eine Weile, und jedes Mal, wenn ich ihn dann suche, finde ich ihn bei dem Windspiel, das du mir gekauft hast.« Kurz hatte ich überlegen müssen, wie ich es ihm beschreiben sollte, ohne ihm zu sagen, dass der Wind mir nicht antwortete, wenn ich ihn rief.

      »Und das passiert, seit du das Windspiel hast?« Justus bewegte sich und die Hängematte geriet ins Schaukeln. Verhalten zischend hielt er sich am Rand fest. Er mochte es nicht, wenn die Seile schwangen. Dabei waren wir vielleicht gerade mal einen Meter vom Boden entfernt.

      »Ja, schon dreimal, zuletzt vorhin beim Fest. Er dreht sich dann immer in den gleichen Schleifen um diese silbernen Stäbe.« Ich machte die Bewegung mit den Fingern nach, um zu zeigen, was ich meinte.

      Er schwieg.

      »Justus?«, fragte ich, nur um sicherzugehen, dass er nicht eingeschlafen war.

      »Mach das bitte noch mal«, bat er mich plötzlich und klang, als wäre ihm etwas eingefallen. Vorsichtig setzte er sich auf und zog mich ebenfalls hoch.

      Ich beeilte mich, die Geste zu wiederholen. Drei in sich geschwungene Kreise.

      Justus erzeugte eine kleine Feuerkugel auf seiner Handfläche und hielt sie zwischen uns. Erst folgte sein Blick meinem Finger, dann sah er mich an.

      »Du bist nicht mehr so blass«, sagte er und lächelte.

      Ich spürte die Röte in mein Gesicht steigen, wusste aber nicht recht, warum es mir peinlich war. Mir ging es viel besser, nachdem wir etwas geredet hatten. Und seine Wärme tat das ihre dazu.

      »Und