Lin Rina

Vom Wind geküsst


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Justus zuckte zurück.

      »Willst du mir das Ohr abzuschneiden?«, rief er entrüstet und Mei zog die Schere schnell weg. Ihre Augenbrauen hatten sich zweifelnd zusammengezogen und nachdenkliche Falten bildeten sich auf ihrer Stirn.

      Das war zu viel für mich. Schnell legte ich die Näharbeit wieder in den Korb, obwohl ich nicht mehr als ein paar Stiche geschafft hatte, erhob mich von der leise knarrenden Treppe und lief auf die beiden zu.

      Ohne Vorwarnung nahm ich Mei die Schere aus der Hand. »Das ist ja nicht mit anzusehen!«, schimpfte ich empört.

      Mei sprang erschrocken zur Seite, als ich mich hinter Justus drängte und anfing, ihm systematisch die Haare zu schneiden. Ich würde meine liebe Mühe haben, aus diesem Geschnipsel noch eine ordentliche Frisur zu machen.

      »Na endlich.« Mei atmete sichtlich erleichtert auf.

      Justus lachte. Er bedankte sich und wollte den Kopf zu mir drehen.

      »Beweg dich nicht!«, befahl ich schroff und fuhr ihm mit einer Hand durch die seidig weichen Strähnen, um die Länge anzu­gleichen. Sein Haar fühlte sich wirklich wundervoll an.

      Ich hatte ihn die letzten Tage so vermisst, dass ich von meinen Gefühlen geradezu überrollt wurde. Vor allem seine Stimme und seine Nähe.

      Das war gar nicht gut. Ich musste damit aufhören.

      »Ich hatte wirklich Angst, dass ich ein Ohr verliere«, brummte er und warf Mei einen Seitenblick zu.

      Sie grinste und setzte sich neben uns ins Gras.

      »Wieso fragst du auch Mei? Du bist selbst schuld, wenn du ihr eine Schere in die Hand drückst«, fuhr ich ihn an und Mei lachte verhalten. Das verwirrte mich.

      Der Wind kehrte zu mir zurück und auch er kicherte wieder.

      Abrupt hörte ich auf zu schneiden, sah erst zu Mei und dann zu Justus, der sich lächelnd zu mir drehte. »Fertig?« Seine Augen strahlten noch mehr als sein Lächeln.

      Mein Herzschlag beschleunigte sich und mir wurde ganz flattrig im Bauch. Das fühlte sich so viel besser an als der harte Klumpen, der mir die letzten Tage Übelkeit bereitet hatte, und ich beschloss, dass alles besser war als Liebeskummer.

      »Was geht hier vor?«, schaffte ich trotzdem misstrauisch zu fragen und stemmte sogar eine Hand in die Seiten.

      »Was soll denn vorgehen?«, erwiderte Justus mit gespielter Unschuldsmiene und berührte seine Locken, die jetzt um einiges kürzer waren als zuvor. Obwohl er mir mit den Zotteln besser gefallen hatte, sah er auch jetzt verdammt gut aus.

      Mei lachte noch lauter, was meine Vermutung bestätigte, dass die beiden irgendetwas ausgeheckt hatten.

      Wahrscheinlich war es am Ende sogar, Meis Unvermögen mit der Schere zu nutzen, mich zu ärgern und von der Treppe zu ihnen zu locken. Zuzutrauen war ihnen alles.

      »Dreh dich wieder um«, ordnete ich an und schüttelte den Kopf über Mei, die vor Lachen auf dem Boden lag, bis sie von Ayo gerufen wurde, um ihr bei den Ständen zu helfen. Die beiden tuschelten und kicherten.

      Ich lächelte nur. Ob meine Vermutung nun stimmte oder nicht, war nicht wichtig. Justus und ich redeten wieder miteinander und das machte mich sehr glücklich. Leider.

      Zügig schnitt ich die restlichen Haare und kontrollierte noch einmal, ob ich auch wirklich nichts vergessen hatte. Dann ließ ich einen kurzen kräftigen Windstoß die abgeschnittenen Reste wegpusten.

      Um sie Mei nicht zurückzugeben, steckte ich die Schere in die Tasche meiner Rockschürze. Justus saß immer noch da und ich legte die Hände auf seine Schultern und senkte aus einem Impuls heraus die Stirn auf seinen Kopf.

      Eigentlich sollte ich so etwas nicht tun, aber ich wollte ihm einfach nah sein nach all den Tagen, die ich es nicht gewesen war. »Fertig«, flüsterte ich.

      »Danke«, sagte er und schob zu meiner Überraschung seine Hände über meine. Sie waren so warm. Mein Herz pochte wie verrückt. Ich hatte vergessen, dass Justus so warm war.

      Er lachte und hob den Kopf. Ich wich ein Stück zurück, damit er zu mir aufsehen konnte. Seine Augen wirkten dunkler als sonst und glühend wie gebrannte Maronen. »Was hältst du davon, Wachteln jagen zu gehen?«, wollte er wissen.

      »Hier im Wald gibt es Wachteln?«, entgegnete ich skeptisch und befreite unauffällig meine Hände. Justus bemerkte es nicht oder tat zumindest so.

      »Klar. Ich habe heute früh eine Menge gesehen.« Er stand auf und marschierte los, um seinen Bogen und Pfeile zu holen.

      »Ich habe noch keine gesehen«, rief ich verwundert und lief ihm nach.

      »Da, wo du geschlafen hast, sind ja auch keine gewesen.« Seine Stimme klang gedämpft, als er seinen Wagen betrat.

      Ich zog irritiert die Augenbrauen nach oben. »Woher weißt du denn, wo ich geschlafen habe?«, platzte es aus mir heraus, obwohl ich die Frage eigentlich nicht hatte stellen wollen.

      Justus schwang sich aus der Tür und grinste. Ein Grinsen, das ich bisher nur an Marc gesehen hatte: das Wolfsgrinsen.

      »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich nicht immer ein Auge darauf habe, wo du grade steckst?«, behauptete er und eine kleine Flamme sprang aus der Glut in meinem Herzen.

      Wachteln sahen wir nur wenige, obwohl Justus steif und fest behauptete, am Morgen mindestens zwei Dutzend beobachtet zu haben.

      Aber dafür lachten wir viel, alberten herum und zu meiner Erleichterung führte das Gespräch nie zu unserer Auseinandersetzung der letzten Woche.

      Selbst das Feuerspektakel an diesem Abend machte mir mehr Spaß als die vorigen und auch Justus wirkte viel gelöster.

      Seit meinem Ausraster hatte ich mich gehütet, zu genau auf ihn zu achten, doch bei den Feuerspielen war er mir trotzdem sehr zurückhaltend vorgekommen.

      Nach dem großen Finale, als der Applaus langsam abebbte, servierten einige Dorfbewohner ihr kleines bescheidenes Gebäck.

      Diesmal floh ich nicht in den angrenzenden Wald, um mich schlafen zu legen. Ich blieb und nahm mir ein einfach geformtes Zuckerbrötchen. Es war köstlich, noch viel besser als die Nussschnecke, die ich bei meinem letzten Fest gegessen hatte. Ich probierte gleich ein zweites, das mit rotem Kompott gefüllt war. Herrlich! Hefegebäck war einfach mein Lieblingsessen.

      Justus stand mit Marc und drei jungen Männern aus dem Dorf zusammen. Sie plauderten über die diesjährige Ernte und den Weg, den wir mit den Wagen noch zurücklegen würden, bevor der Winter uns nach Hause rief.

      »Achtet gut auf euch«, sagte der eine von ihnen. »Die Unruhen hier in den Grenzgebieten werden immer schlimmer.«

      »Sind die Fürsten immer noch im Zwist? Haben die nicht langsam genug, sich gegenseitig Spione auf den Hals zu hetzen?«, schnaubte Marc laut und nippte an einem Becher.

      »Weswegen streiten sie sich denn?«, erkundigte ich mich und die Männer sahen erstaunt auf. Sie hatten anscheinend gar nicht bemerkt, dass ich zu ihnen getreten war. Mir war es selbst kaum aufgefallen, doch plötzlich stand ich neben ihnen, um mich an dem Gespräch zu beteiligen.

      Justus warf mir einen erschrockenen Blick zu und sah dann warnend zu den anderen. Fast hatte ich das Gefühl, er wollte, dass sie mir nicht antworteten.

      »Sie streiten sich um Land«, sagte einer der Dörfler etwas verunsichert und sah von mir zu Justus und wieder zurück.

      »Um welches? Ich dachte, die Grenze der Meeresgebiete wäre durch den Nordfluss klar abgesteckt?«

      Justus seufzte tief.

      »Cate, wie ist das Gebäck?«, fragte er mich unvermittelt und ich sah ihn an, als hätte er nicht mehr alle beisammen. Was sollte das denn für eine plumpe Art sein, das Thema zu wechseln? Wieso wollte er nicht, dass ich Antworten auf meine Fragen bekam?

      »Sehr gut, besonders die Zuckerbrötchen sind die besten, die ich je gegessen habe.« Mit ausgestrecktem