Lin Rina

Vom Wind geküsst


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bist du schon merkwürdig, Cate«, sprach mich Hanna unvermittelt an und schreckte mich damit auf.

      »Wie bitte?« Irritiert blinzelte ich und brauchte einen Moment, um aus meinen Gedanken ins Hier und Jetzt zurückzufinden.

      »Wenn du so in die Luft starrst, als wäre da etwas, und dann noch mit den Händen tanzt. Du siehst dann einfach ein bisschen verrückt aus«, meinte sie mit einem Lächeln im Mundwinkel und winzige Lachfältchen bildeten sich um ihre warmen braunen Augen. Sie sah inzwischen sehr viel wacher aus und die sanft gewellten blonden Haare umrahmten ihr schmales Gesicht, als sie mir einen kurzen Blick zuwarf.

      Der Wagen ratterte durch ein Schlagloch und von hinten ertönte kollektives Aufstöhnen.

      »Der Wind ist doch dort«, erklärte ich und er freute sich über meine Erwähnung.

      »Ja, aber manchmal sieht es so aus, als würdest du mit ihm reden.« Sie sagte es, als hätte sie einen Witz gemacht. Meine Wangen färbten sich augenblicklich rot. Zum Glück sah sie nicht hin, sodass sie keine Rückschlüsse ziehen konnte.

      Denn Hanna wusste es nicht. Keiner wusste es, da ich es niemandem gesagt hatte. Nicht einmal Justus.

      Schon mehr als einmal hatte ich mir vorgenommen, es ihm zu verraten, und jedes Mal doch wieder aufgeschoben. Zu schwerwiegend war diese Information. Denn ich sprach ja nicht nur mit dem Wind; er antwortete.

      Wir rasteten, als die Sonne gerade ihren Zenit überschritten hatte.

      Tanja packte die Kochutensilien aus und ihr Mann Kai entfachte ein Kochfeuer. Hanna war, wie so typisch für sie, gleich hinüber­geeilt und hackte mit Garan zusammen Gemüse. In letzter Zeit schien sie etwas übereifrig. Und Garans Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dachte er das auch. Ich verstand Hanna jedoch zu wenig, um den Grund zu erraten.

      Ayo, Mei und Bree holten in unserem Wagen ein wenig Schlaf nach. Das würde ihnen guttun. Bree schlief meist mit Ayo in einem Bett, da sie ihres noch im Wagen ihrer Eltern hatte.

      Obwohl sie bereits fast siebzehn war und ihre Kräfte sich entfaltet hatten, war ihr nicht das Privileg zuteilgeworden, bei den Frauen zu wohnen.

      Das war keine böse Absicht, vielmehr waren sämtliche Betten bereits besetzt. Die gesellschaftliche Zurückstufung zu einem Kind, die sie dadurch empfand, machte ihr ziemlich zu schaffen.

      Manchmal glaubte ich, sie gäbe mir die Schuld daran. Weil ich nicht zu ihnen gehörte und trotzdem ein Bett beanspruchte, in dem ich so gut wie nie schlief.

      Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie mich nicht leiden konnte.

      Um ihrer Schmach zu entgehen, legte sie sich so oft es ging zu Ayo, die sich ihrerseits über die Anwesenheit ihrer besten Freundin freute.

      Im Gegensatz zu ihnen wäre es mir recht gewesen, ihr das Bett zu überlassen und die Hängematte zu meinem festen Schlafplatz zu bestimmen.

      Ich war nun mal anders. Warum es leugnen?

      Justus, der bei Marc und Dante stand, sah zu mir herüber und versuchte meinen Blick aufzufangen. Ich wandte mich jedoch wie zufällig ab. Noch war mir mein Wutausbruch von heute Morgen viel zu peinlich und mein Herz schmerzte bei dem Gedanken an Justus.

      Neben mir im Gras saßen die Kinder, die mit Würfeln spielten. Ich beugte mich zu ihnen, um einen guten Grund zu haben, meinen Blick gesenkt zu halten, und wurde von ihnen direkt ins Spiel miteinbezogen.

      Benji schob mir einen roten Würfel zu und Vivien zeichnete gleich eine Spalte für meine Punkte mit einem Stock in den Boden. Juju, die noch gar nicht richtig zählen konnte, kletterte mir wie selbstverständlich auf den Schoß.

      Das Spiel war einfach, aber ich musste den Wind mehrmals davon abhalten, den Würfel nicht zu meinen Gunsten zu beeinflussen.

      Ich war gerade haushoch am Verlieren, als er nah an mein Ohr kam und über meine Wange strich, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

      Da kommen vier Männer zu euch, flüsterte er mit Nachdruck und ich wandte mich ihm sofort zu. Sie sind bewaffnet. Sie suchen ein Mädchen. Es hat sich in Marcs Wagen versteckt.

      Ich blinzelte ein paar Mal und war wie erstarrt. Was sollte ich mit dieser Information anfangen? Ich konnte ja schlecht zu Justus rennen und ihm sagen, dass ein Trupp zu uns unterwegs war. Wie sollte ich denn bitte erklären, woher ich das wusste?

      »Da kommen Reiter auf uns zu!«, schlug in diesem Augenblick Bree Alarm und lehnte ihren leicht schwankenden Körper an den Türrahmen. Ihre sonst so fein säuberlich geflochtenen Haare sahen vom Schlafen sehr zerzaust aus. Ihre Feuergabe hatte sie wohl direkt aus dem Schlaf gerissen.

      Alle erstarrten in ihren Bewegungen. Selbst die kleine Juju wurde mucksmäuschenstill.

      Ich seufzte, von meiner Bürde befreit, erleichtert auf.

      »Sind sie nur in der Nähe oder kommen sie tatsächlich auf uns zu?«, fragte Kai und Bree strich sich mit säuerlicher Miene den Zopf nach hinten.

      »Glaubst du, ich würde aufstehen, wenn sie nur in der Nähe wären? Sie reiten in gerader Linie über die Felder genau auf uns zu. Es sind vier. Und sie haben ein zusätzliches Pferd dabei.«

      »Aus welcher Richtung kommen sie?«, verlangte Kai zu wissen und sah zu Justus.

      Bree hob den Arm nach Westen.

      »Danke, Bree«, hielt Justus sich knapp und straffte die Schultern. Er tauschte Blicke mit Marc und Van. Die beiden stellten sich zu ihm, an die Seite ihres Vaters.

      Angu, Janko und Fin kamen hinzu und alles geschah, ohne dass jemand ein Wort sagte. Jedem war klar, was getan werden musste, wenn es die Familie zu verteidigen galt.

      Dante wollte ebenfalls aufstehen, doch sein Vater hielt ihn davon ab. Seine Geschicklichkeit im Kampf war noch dürftig und keiner von uns wollte, dass Dante sich unnötigerweise in Gefahr brachte.

      Seine Feuerkräfte waren zwar gewaltig, aber nicht hilfreich, wenn man sie um jeden Preis geheim halten musste.

      Juju klammerte sich mit ihren kleinen Fingern an mein Kleid und ich legte ihr beruhigend die Hände auf den Rücken. Sie spürte wohl die Spannung, die unter uns herrschte.

      Vorsichtig zog sie sich an mir hoch, den kleinen Mund nahe an mein Ohr.

      »Was ist los?«, wisperte sie.

      »Nichts Schlimmes«, versicherte ich ihr, obwohl ich das eigentlich nicht wusste.

      Moment, nein. Ich wusste sehr wohl, was los war. Ich hatte mich so daran gewöhnt, alle unerwünschten Informationen, die der Wind mir aufdrückte, gleich zu verdrängen, dass ich es gar nicht realisiert hatte.

      Wieso war da ein Mädchen im Wagen der Männer?

      Zögerlich stand ich auf, gab mir Mühe, nicht aufzufallen, und hob Juju auf den Arm, da sie sich weiterhin an mir festklammerte.

      Justus’ Kopf schnellte sofort zu mir herum, als er meine Bewegung bemerkte. Auch wenn ich mir nicht erklären konnte, wie ihm das hatte auffallen können.

      Sein Blick war eine offene Frage. Und ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, welche es war: Sind sie wegen dir hier?

      Ich schüttelte leicht den Kopf, gerade so, dass er es verstehen würde, und versuchte mich an einem zuversichtlichen Gesichtsausdruck.

      Er runzelte die Stirn und sah nicht überzeugt aus. Bist du sicher?, sollte das wohl heißen.

      Ich schenkte ihm einen strengen Blick und gab Juju an ihre Mutter ab, die ihr sanft den Kopf streichelte und sich mit ihr und Sally in ihren Wagen zurückzog.

      Justus schien noch immer nicht sonderlich überzeugt, aber er sah nicht weiter zu mir, sondern wandte sich in die von Bree angegebene Richtung.

      Bree hatte inzwischen Gesellschaft von Ayo und Mei bekommen. Wenn etwas Spannendes passierte, konnten sogar Kopfschmerzen zur Nebensache werden.

      Als die Reiter hinter einer