Ich agierte sozusagen als letzte Sicherung, auch wenn ich nur selten gebraucht wurde.
Angu und Dante setzten ihre Hände in Brand und zogen flammende Schlieren durch die Luft, malten Blumen und Schleifen. Letzterer brach seine Vorführung allerdings ab, als sich das Feuer über die Arme ausbreitete. Er trat zur Seite und zwang es unter großer Anstrengung zurück zu den Händen. Sein großer Auftritt würde noch kommen.
Die Instrumente spielten ein wildes Lied, das an Kampf und Abenteuer denken ließ, mit schnellem Rhythmus und schreienden Violinsaiten, die den Puls nach oben trieben.
Selbst mir raste der Puls und ich musste mich konzentrieren, da gleich das große Finale anstand. Ich konnte es an der Musik erkennen. Der Wind wurde unruhig, als ich mich aufrichtete und bereithielt.
Dante trat in die Mitte des wirren Feuerspiels und vergewisserte sich, dass Marc hinter ihm war. Für einen winzigen Moment entzündete er seinen ganzen Körper, sodass er eine lebendige Fackel abgab. Doch ehe es jemand im Publikum genauer sehen konnte, holte Marc tief Luft und spuckte durch Dantes Feuer eine gigantische Feuerwolke, die über das Gras leckte und das Publikum vor Freude aufschreien ließ.
Bevor die Flammen jedoch ausbrechen und Schaden anrichten konnten, stieß ich den Wind hinunter auf den Platz. Er raste los, kostete jede Flamme und löschte sie mit einem Mal bis auf den letzten Funken.
Im gleichen Augenblick, als die Feuer erloschen und die Lichtung stockfinster zurückließen, endete auch die Musik und das Spektakel war vorbei.
Das Publikum applaudierte mit Verzögerung, dafür so tosend, dass der Wagen unter mir vibrierte.
Ein Gefühl von Glück und Stolz breitete sich in meinem Bauch aus und ich grinste so breit, dass mir die Wangen schmerzten. Es fühlte sich gut an, Applaus zu bekommen, selbst wenn die Menschen aus den Dörfern nicht wussten, dass ich zu dem pompösen Schluss genauso beigetragen hatte wie die Feuerleute. Aber das war mir auch nicht wichtig.
Justus entzündete eine einzelne Fackel und lief den Halbkreis ab, um die Lichter erneut zu entfachen.
Einige offiziell aussehende Männer traten aus der euphorischen Menge, scheuchten die aufgeregt schwatzenden Leute beiseite und trugen lange Tische heran.
Es dauerte nicht lange, bis sie aus den mitgebrachten Körben allerlei Gebäck darauf verteilt hatten. Auch Fässer voll Wein und gezuckertem Limonensaft wurden aufgestellt und dörfliche Musikanten lösten die unseren ab.
Die Bewohner der Dörfer zelebrierten unser Erscheinen gern in einer Art Volksfest, das jeder Landstrich auf seine eigene Weise beging. Hier im südlichen Mari feierte man mit Beerenwein und süßem, traditionellen Gebäck.
Ich liebte das Hefegebäck dieser Gegend. Es erinnerte mich an Heimat und eine Geborgenheit, die mir ab und zu in meinen Träumen begegnete.
Gerade biss ich von einem ab, das aussah wie eine Schnecke und zusätzlich mit kandierten Nüssen bestreut war, als mir Mei auffiel. Sie wurde gerade von einem jungen Mann angesprochen, der seinen blauen Hut nervös zwischen den Händen zerdrückte. Da traute sich einer also wirklich.
Lachend ging ich näher heran, um zu lauschen, war gespannt, was er ihr wohl sagen würde. Sie lächelte, als er ihr anbot, ihr einen Becher Wein zu bringen, und strich sich verlegen von seinen Komplimenten die Zöpfe aus dem Gesicht. Sie wurde nicht mal rot dabei und zwinkerte ihm kokett zu. Sie war in solchen Dingen so viel gelassener als ich.
Meine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als ich den Blick eines Fremden bemerkte. Hinter den beiden lehnte ein Mann an einem Tisch und trank aus einer Holzschale, ohne die Augen von mir zu nehmen. Sein Starren war so intensiv, dass ich es fast körperlich spüren konnte. Wie ein Prickeln, das mich runterzog und zu Boden drückte.
Wie versteinert stand ich da. Es war derselbe Mann, der uns im Haus des Stadtrates die Tür geöffnet hatte. Der, von dem Mei behauptete, er hätte mir nachgesehen.
Ein Unwohlsein beschlich mich, als er mir zulächelte. Dieses besondere Lächeln, das er bereits bei unserer ersten Begegnung gezeigt hatte. Schnell senkte ich mit flammend rotem Gesicht den Kopf und drehte dem Mann eilig den Rücken zu.
Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte, und war zu feige, um mich noch einmal umzudrehen.
Wind, mein Freund. Was tut er? Und wer ist er?, fragte ich im Stillen. Doch die Antwort blieb aus. Wind, rief ich energischer, aber nichts geschah. Irritiert schüttelte ich den Kopf und legte die Hände an meine heißen Wangen.
Das war schon das zweite Mal an diesem Tag, dass er mir nicht antwortete. Was war nur los mit ihm?
Sonst war er immer so versessen darauf, bei mir zu sein, mir die Haare zu zerzausen und mich damit zu locken, meine Möglichkeiten und Freiheiten auszuleben. Was war heute nur anders als sonst?
Ein Klimpern drang an mein Ohr. Klar und deutlich, obwohl die Menschen in meiner Nähe laut redeten und Musik die Lichtung erfüllte. Doch ich wusste gleich, dass es das Windspiel war, konnte es bis in mein Innerstes hinein spüren. Dieses Windspiel trug etwas Besonderes in sich. Lag es an ihm, dass der Wind sich so seltsam verhielt?
Mit hochgezogenen Schultern schlängelte ich mich zwischen lachenden und schwatzenden Dörflern hindurch und lief zügig zu meinem Wagen. Fetzen des Liedes, das mich am Vormittag in den kleinen Laden gezogen hatte, kamen mir entgegen und übertönten die Tanzmelodien der dörflichen Musikanten in meinen Ohren.
Hastig eilte ich die Stufen hinauf und da war er. Mein Wind.
Ich war so erleichtert, dass ich mich gleich viel leichter fühlte. Der Wind kreiste völlig erschöpft um die silbernen Röhren und sang mit den Tönen des Windspiels vor sich hin.
Ich streckte die Hand nach ihm aus und hatte keine Erklärung für das, was gerade geschehen war. Als sanfter Hauch zog er meinen Arm hinauf, streichelte mir den Hals und kroch in meine Haare.
Was ist mit dir?, fragte ich ihn, doch er antwortete wieder nicht. Da war nur noch mehr Erschöpfung. Genau wie am Vormittag.
Argwöhnisch musterte ich das schimmernde Gebilde. Schwächte das Windspiel ihn in irgendeiner Form? War es schlecht für ihn? Aber wie konnten eine Ansammlung von Röhren und blauer Muscheln dem Wind schaden? Es war doch der Wind! Eines der vier Elemente, der Urheber von Meereswellen, vom Rauschen der Bäume und von Stürmen.
Wie sollte so ein kleines Ding ihm etwas anhaben?
Ein Geräusch von draußen ließ mich aufschrecken und ich spähte vorsichtig zur Tür hinaus.
Im schwachen Licht der Fackeln konnte ich zwei Gestalten ausmachen. Die eine war klein, schmal gebaut und kicherte, während die andere sich groß und stämmig gegen das Licht der Fackeln abzeichnete.
Als sich beide an Justus’ Wagenwand drängten und sich küssten, wurde mir schlagartig klar, dass es Marc war.
Natürlich war er es. Als er sich ein wenig zur Seite lehnte, sah ich sein Wolfsgrinsen. Und auch das Mädchen wurde vom Lichtschimmer gestreift. Ich erkannte die weizenblonde Schönheit aus dem Hinterhof des Stadtrats. Die Stickereien auf ihrem Kleid schimmerten im fahlen Lichtschein.
»Das ist dein Wagen?«, hörte ich sie flüstern. Sie kicherte, als Marc zustimmend brummte und sie am Hals küsste.
Ich wandte den Blick ab und versteckte mich im Schatten, bis die Tür hinter ihnen zuschlug.
Das war ja mal wieder typisch. Hatte ihn seine Mutter nicht am Morgen noch genau davor gewarnt? Dieser triebgesteuerte Hornochse.
Vorsichtig trat ich nach draußen, um nachzusehen, ob sie wirklich verschwunden waren. An der Türklinke hing ein in Metall gefasstes Trinkhorn, das an einer Lederschnur baumelnd den Feuerschein der Fackeln zurückwarf.
Das war ihr Zeichen. Justus und Dante würden ihn heute Nacht nicht stören und sich einen anderen Ort zum Schlafen suchen.
Ich lief zu den anderen zurück. Sie hatten in der Mitte des Platzes einen Kreis geöffnet, in dem sich Paare zum Tanz aufstellten.
Um