Lin Rina

Vom Wind geküsst


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es war so teuer«, brachte ich meinen letzten leisen Widerspruch hervor und versuchte, keine Regung in Justus’ Gesicht zu verpassen.

      Doch er lachte nur. »Sehr wahr. Erzähl das ja nicht den anderen.«

      3

      Ich lag auf meinem Bett im Wagen und bestaunte meinen neuen Schatz.

      Obwohl ich so gut wie nie in diesem Bett schlief, bestanden die anderen darauf, dass es mir gehörte. Wahrscheinlich, weil sie mich nicht ausschließen wollten.

      Der Wind tanzte mit den Muscheln, erzeugte leise Klänge. Das Licht verfing sich in den silbernen Röhren und das Glas zauberte bunte Muster an die Wände.

      »Verflucht noch mal!«, keifte Marc lautstark von draußen und ich hob den Blick. Mit verzerrtem Gesicht schüttelte er seine schmerzende Hand. Alarmiert ließ ich mich auf den Boden gleiten und rannte hinaus.

      »Verdammt!«, fluchte Marc weiter und kam auf mich zu. Den zur Hälfte abgebauten Verkaufsstand und Dante, der die Überreste aufrecht hielt, ließ er einfach stehen.

      »Kannst du mir den verfluchten Splitter rausziehen?«, fragte er und streckte mir die Hand entgegen.

      »Natürlich.« Ich setzte mich auf die Stufen vor der Tür und Marc ließ sich daneben ins Gras fallen.

      Eingehend begutachtete ich seine Handfläche und fand schnell die gerötete Stelle. Der Splitter saß ganz schön tief, war aber nicht allzu groß.

      »Willst du damit nicht lieber zu Fin gehen?«, wollte ich wissen und drückte knapp neben das Holzstück, um es ein wenig aus der Haut zu schieben.

      Marc zuckte zusammen, verzog schmerzerfüllt den Mund und gab einen zischenden Laut von sich. »Bist du verrückt? Die Quacksalberin hackt mir womöglich gleich die ganze Hand ab«, schnaubte er und sah beunruhigt zu seiner Tante Fin hinüber, die mit Tanja zusammen­saß, quatschte und Bree ein grünes Band in die Haare einflocht. Bree war mächtig stolz darauf, wie schön die Farbe ihres Feuerclans zu ihrem feuerroten Haar passte. So sehr, dass sie mir damit immer wieder auf die Nase binden musste, dass ich nicht zum Feuervolk gehörte und daher keine bunten Bänder tragen durfte.

      Stumm schüttelte ich den Kopf, drängte die beißenden Gefühle weg und konzentrierte mich wieder auf Marc.

      »Oder sie schmiert mir eine ihrer stinkenden Salben drauf und ich rieche dann tagelang nach totem Tier oder Moorschlacke. Nein danke«, wetterte er weiter und verhalf mir zu besseren Gedanken.

      Ich griff hinter mir in den Wagen und zog den Nähkorb hervor, in dem noch mein Kleid mit dem halb hochgenähten Saum lag. Ich zog eine Nadel aus dem Heft und sah mich nach Mei um.

      Sie saß auf Justus’ Wagendach, hielt ihr Gesicht in die Sonne und baumelte mit den Beinen.

      »Mei«, rief ich und winkte sie heran.

      Geschickt kletterte sie an der Seitenwand herunter und kam mit schnellem Schritt auf uns zu. Mit Schwung ließ sie sich neben mir auf die Stufen plumpsen, sodass unsere Hüften zusammenstießen, und grinste mich an. »Was gibt’s?«, fragte sie und legte mir spielerisch den Kopf auf die Schulter. Sie musste sich dafür nach unten beugen, was sehr verkrampft aussah, mich aber zum Lachen brachte.

      »Was hast du da oben gemacht?«, erkundigte ich mich und hielt ihr die Nadel hin. »Einmal mit Feuer säubern bitte.«

      Rasch zog sie einen feurigen Faden mit Daumen und Zeigefinger um die schmale Metallspitze, die kurz aufglühte. Es zischte leise, als Mei die Flamme allein durch ihren Willen wieder verlöschen ließ.

      »Ich habe das Dach repariert«, sagte sie beiläufig und Marc schnaubte.

      »Das war aber auch nötig«, schimpfte er und unterbrach sich selbst mit einem Fluch, als ich mir mit der Nadel vorsichtig Zugang zum Splitter verschaffte.

      »Heul nicht rum, du Memmenbruder«, blaffte Mei ihn an und steckte eines ihrer vielen Zöpfchen wieder zurück in den Knoten auf ihrem Hinterkopf. »Vor einer Woche hat Tante Fin mir einen Splitter aus dem Fuß gezogen. Der war locker doppelt so dick und ich habe nicht mal mit der Wimper gezuckt«, behauptete sie, schlug die langen Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. Ich bezweifelte ihre Geschichte sehr, sagte dazu aber nichts.

      »Pah, das Märchen glaubt dir nicht mal Juju«, erwiderte Marc großkotzig und straffte die breiten Schultern.

      Ich lächelte und sah zu Juju, die nicht weit von uns mit ihren kurzen Beinchen über die Wiese stakste. Sie war gerade mal drei.

      »Au! Kannst du nicht ein bisschen sanfter sein?« Marc giftete mich mit zusammengekniffenen Augen an. Und ich hätte schwören können, dass eine Träne darin glitzerte.

      »Kannst du ein bisschen weniger fluchen und netter zu deiner Schwester sein?«, fragte ich ihn meinerseits und wies ihn an, nicht hinzusehen, wenn ich den Splitter herausholte.

      »Warum hattet ihr eigentlich ein Brandloch in der Decke?«, wollte Mei von ihrem Bruder wissen und zeigte auf den Wagen, von dem sie gerade heruntergeklettert war.

      »Sagen wir, Dante träumt manchmal sehr lebhaft«, gab er zurück und verdrehte die Augen.

      »Ich mache das doch nicht mit Absicht!«, verteidigte sich Dante, der sich zu uns gesellte. Er hatte es wohl aufgegeben, den Stand allein abzubauen.

      Der junge Mann hatte die Fähigkeit, Feuer mit seinem Körper zu erzeugen. Eine Kraft, die im Feuervolk hoch geehrt wurde. Wenn man es kontrollieren konnte.

      Denn so fantastisch das auch klang, haperte es noch etwas an der Umsetzung. Mit viel Konzentration schaffte Dante es, nur eine Hand oder seinen Kopf in Brand zu setzen. Aber es kam oft genug vor, dass sich der Rest von ihm ebenfalls entzündete und er am Schluss ohne Kleider dastand.

      Die Tatsache, dass wir ihn alle schon einmal nackt gesehen hatten, trug auch nicht gerade zur Steigerung seines Selbstbewusstseins bei.

      Dabei bräuchte er genau das dringend.

      »Du bist doch nur neidisch, dass ich Feuer selbst erzeuge, während du dir immer erst eine Fackel vors Gesicht halten musst«, würgte er Marc rein und schob trotzig das Kinn nach vorn.

      Das war sein einziger Trumpf, denn Marc brauchte zumindest einen Funken, mit dem er seinen hitzigen Atem entzünden konnte, im Gegensatz zu Dante, der selbst Feuer hervorbrachte.

      Doch Marc ließ sich dieses Mal nicht beirren. »Ha! Dafür weiß ich, was ich tue, wenn ich es tue«, erwiderte er mit einem anzüglichen Ton in der Stimme. »In jeglicher Hinsicht.«

      Gezielt spießte ich das Holzstückchen mit der Nadel auf.

      »AU! Bei allen sengenden Feuerstürmen!«, fluchte Marc, als ich ihm den Splitter aus der Wunde zog.

      Ich hielt ihm das winzige Stück Holz vors Gesicht und wusste schon, was er über das kleine Splitterchen denken würde.

      Marc begutachtete erst die gerötete Stelle an seiner Hand und nahm mir dann das winzige Stück Holz ab. »Das ist alles?«, fragte er und hielt ihn gegen das Licht. »Der ist ja winzig«, meinte er sichtlich enttäuscht. Er hatte wohl etwas Dramatischeres erwartet.

      »Sag ich doch: Memmenbruder.« Mei zuckte selbstgefällig mit den Schultern und lehnte sich zurück, um sich wieder die letzten Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen zu lassen.

      Ich hatte dafür gesorgt, dass der Himmel wolkenlos war, und der Sonnenuntergang an diesem Abend würde sicher wunderschön werden. Allerdings konnte ich ihn mir nicht ansehen, da die Bäume um uns herum die Sicht auf den Horizont versperrten. Und fliegen war nicht drin, obwohl alles in mir mich hinauf in den Himmel zog.

      Ich seufzte sehnsüchtig, steckte die Nadel zurück ins Heft und schob den Korb auf seinen Platz neben der Tür.

      Dante und Marc erhoben sich, nicht ohne sich weiterhin gegenseitig aufzuziehen.