Ich setzte mich zwischen ihn und Dante ins Gras. Dante nickte mir nur mit vollem Mund zu und wandte sich dann wieder an die anderen.
Marc redete und aß gleichzeitig. Er sah Justus kaum ähnlich, obwohl sie Brüder waren. Sie hatten nur das gleiche dunkle Haar, doch die Gesichtszüge waren völlig unterschiedlich. Marc hatte einen breiten Kiefer, einen vorwitzigen Zug um den Mund und eine laute Stimme, die er möglichst oft benutzte.
Er hatte wohl gerade irgendeinen anzüglichen Witz erzählt, denn in Dantes Ohren pulsierte das Blut und er verschluckte sich vor Lachen so sehr, dass ich ihm auf den Rücken klopfen musste.
Ich mochte die Jungs. Sie waren einfacher als die Mädchen. Sie sagten wenigstens, was sie meinten.
Natürlich war ich auch mit den Mädchen befreundet. Am besten verstand ich mich wohl mit Justus’ jüngster Schwester Mei. Hanna war herzlich, aber wir konnten meist nicht so viel miteinander anfangen. Ayo war sehr nett, jedoch auch schnell eingeschnappt. Und von Bree wollte ich erst gar nicht anfangen. Allem Anschein nach hasste sie mich.
Wir hatten gestern unweit eines Dorfes auf einer Lichtung im Wald haltgemacht. Ab dem späten Vormittag kamen die Bürger herbei, um sich unsere Ware anzusehen, nach unserer Reiseroute zu fragen, um uns Briefe und dergleichen mitzugeben und sich nach dem Feuerspektakel heute Abend zu erkundigen.
Ich saß an einem der Stände und sah einem untersetzten Mann mit einem raffinierten Schnurrbart zu, wie er einige Perlenbroschen beäugte, die Hanna mit ihren geschickten Händen und endloser Geduld fertigte. Lachend redete er mit Ayo, die gerade dort verkaufte, und sie kicherte über seine Witze.
Er trug farbenfrohe Kleider aus teurem Tuch und eine weiße Schärpe spannte sich über den Wohlstandsbauch.
Der Wind war nah bei mir und spielte sanft mit einigen losen Haarsträhnen, die er aus meinem Zopf gezupft hatte. Leise wisperte er mir zu und erzählte von einem fliederfarbenen Haus in der Mitte des nahen Dorfes; groß, mit einem Stall voller Pferde.
Der Mann entschied sich für eine hellblaue Brosche und hielt sie zufrieden ins Licht. »Die ist für meine Frau«, teilte er uns begeistert mit.
Ich lächelte, weil ich nicht anders konnte.
Er betrügt sie, flüsterte der Wind neben mir. Er schläft mit dem Dienstmädchen und verprasst sein Geld mit Kartenspielen und leichten Mädchen.
Schockiert schüttelte ich den Kopf und scheuchte ihn mit einer unauffälligen Geste fort.
Auch wenn ich solche Dinge über die Menschen nicht wissen wollte, flüsterte der Wind sie mir trotzdem viel zu oft zu. Sobald ich jemandem zu lange meine Aufmerksamkeit schenkte, tat er es, weil er es konnte. Er wusste alles, war in jedem Land, in jeder Stadt und jedem Dorf, auf jedem Feld und in jedem Wald. Er war in jedem Zimmer mit offenem Fenster und erhaschte jeden Moment im Haus, wenn er durch den Kamin blies.
Und er gab sein Wissen an mich weiter.
Ich hatte schon vor Jahren aufgehört, es wissen zu wollen. Schnell hatte ich erkannt, dass die Menschen allesamt verdorben waren. Da machte ich mir keine Illusionen.
Aber manchmal wollte ich einfach glauben, dass ein Mann seiner Frau eine Brosche kaufte, weil es ihm Freude bereitete. Und nicht aus einem schlechten Gewissen heraus, weil er ein Spieler war und sie mit anderen Frauen betrog.
Als Ayo dem teuer gekleideten Herrn das kleine Broschentäschchen aus gefärbtem Leinen reichte und sich lächelnd bedankte, musste ich meinen Blick abwenden. Plötzlich fand ich das Lachen des Mannes gar nicht mehr so ansteckend und sympathisch.
Unauffällig stand ich auf und ging. Niemand hielt mich auf. Ich hatte sowieso keine Arbeit zu erledigen. Manchmal half ich beim Verkaufen. Doch ich war nicht gut darin, mit Fremden zu sprechen.
Jeder hatte seinen Platz. Auch ich. Allerdings anders als die anderen.
Ich gehörte nicht zu ihrer Familie, ihrem Volk. Ich war kein Kind des Feuers.
Ich war eine vom Windvolk. Das Mädchen, das der Wind geküsst hatte.
1
Es war mir, als würde sich das Licht der Sonne verändern, je weiter wir nach Süden zogen. Es war strahlender, heller und es schmeckte nach Wärme und Heimat.
Erst gestern hatten wir mit den Wagen den Nordfluss an der Südlichen Übergehung überquert und das Fürstentum Albahr hinter uns gelassen.
Nun lag Mari vor uns und ich fieberte dem Moment entgegen, in dem wir das Meer erreichen würden. Nirgendwo war die Luft schöner als in der Nähe des endlosen Wassers.
»Kommst du mit in die Stadt, Catie?«, rief Marc quer über die Lichtung, an der wir das Lager für den nächsten Tag aufgeschlagen hatten.
Angu und Tai bauten gerade die Stände auf und Hanna trug einen Korb mit Kleinigkeiten herbei.
»Ja, Cate, komm mit«, ereiferte sich Mei mit fröhlicher Stimme, legte ihrem Bruder lässig den Arm um die Schultern und zwickte ihn in die Seite.
Marc wich vor ihr zurück, sie setzte nach. »Schnell, Catie, bevor sie mich zu Tode kitzelt!«, keuchte er, und auch wenn es sich dabei wohl um einen Scherz handeln sollte, klang Marc doch ein klein wenig zu panisch.
»Vom Kitzeln stirbt man nicht«, behauptete seine Schwester und zwickte ihn wieder.
Ich gab nach. Das sah viel zu lustig aus, um nicht dabei zu sein, und hier war ich sowieso nicht hilfreich. Also legte ich das Kleid beiseite, an dem ich gerade den Saum hochnähte, und erhob mich.
Mei brach in Jubel aus und erwürgte dabei beinahe ihren Bruder, der sich von ihr zu befreien versuchte.
»Was brauchen wir denn?«, fragte ich und musste ebenfalls lachen, weil die beiden zu komisch aussahen.
Der Wind hatte beschlossen mit ihnen zu spielen und brachte Meis Haare zum Tanzen, in denen sich die blauen eingeflochtenen Bänder ihres Feuerclans langsam auflösten, weil sie sich weigerte, sie zu erneuern.
»Wir geben Briefe ab«, sagte Justus, der hinter mir auftauchte, und ein warmer Schauder lief mir über den Rücken.
Mein Herz machte einen kleinen Sprung, und ich war doppelt froh, mich entschlossen zu haben mitzukommen.
Ich ging wirklich selten mit in die Stadt oder auch nur in die Dörfer, an denen wir vorbeikamen.
Zum einen war es mir unangenehm, zu viele fremde Menschen um mich zu haben, da der Wind einfach zu viel über sie wusste.
Bei der Familie, die mich umgab, hatte ich ihn davon überzeugt, mir die Dinge nicht mitzuteilen. Keine Ahnung, wie ich das geschafft hatte, denn er plauderte zu gern auch über die Menschen, die mir nahestanden. Aber deren Geheimnisse wollte ich nun wirklich nicht wissen.
Zum anderen war es gefährlich. So viele Menschen auf einem Fleck machten mir Angst, auch wenn ich das ungern zugab. Ich war ein Mädchen vom Windvolk. Die Menschen hatten uns gehasst, weil sie auf unsere Kräfte neidisch gewesen waren, genauso wie sie sie gefürchtet hatten. Dabei waren wir keine Bedrohung. Ich konnte nicht verstehen, wieso man eine Gefahr in jemandem wie mir sah.
Erpicht war ich also nicht darauf, dass jemand erfuhr, wer ich war.
Das Feuervolk hielt es da anders. Es hatte sich von Anbeginn der Zeiten vor den Menschen verborgen und seine Fähigkeiten geheim gehalten.
Wenn schon das friedfertige Windvolk so gefürchtet wurde, wie würde man erst auf ein Volk reagieren, das das Feuer leiten konnte.
Es hatte eine eigene Stadt inmitten des Egralin-Gebirges, die über dicke Mauern verfügte und in die niemand hineinkam, der nicht zu ihm gehörte.
Ich war bisher die einzige Ausnahme seit Errichtung der Stadt. Man gewährte mir Asyl, aus dem einfachen und traurigen Grund, dass es das