Lin Rina

Vom Wind geküsst


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      Doch würde es mir wirklich helfen, mich immer zu verstecken und mich meinen Ängsten nicht zu stellen?

      »Bringt mir ein kleines Fass Butter mit!«, rief Tanja uns hinterher.

      »Ja, Mama«, antworteten Justus, Marc und Mei beinahe gleichzeitig.

      »Und fragt nach Koriander.« Sie kam auf uns zu und drückte mir einen kleinen gelben Seidenbeutel mit Münzen in die Hand. »Und Cate. Achte ja darauf, dass sich die drei gut benehmen. Man kann nie wissen, was sie anstellen, wenn du nicht ein Auge auf sie hast.« Um ihre warmen dunkelbraunen Augen bildeten sich Lachfältchen, als sie mir zuzwinkerte.

      Justus’ Iris hatten genau die gleiche Farbe.

      »Als ob wir so schlimm wären«, beschwerte sich Marc mürrisch und verpasste Mei einen letzten rächenden Knuff in die Seite.

      »Gerade du solltest lieber den Mund halten. Wegen dir haben wir immer den meisten Ärger«, erwiderte Tanja mit ernster Miene und stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die breite Brust. »Wehe, du lachst dir wieder ein Mädchen an, das so dumm ist und sich von deinem Charme einwickeln lässt.«

      »Mama«, empörte er sich und zog eine Fleppe. »Du tust grad so, als wäre ich ein Lüstling.«

      Energisch stemmte Tanja die Hände in die Hüften und hob herausfordernd die Augenbrauen. »Was du nicht sagst.«

      »Müssen wir nicht los?«, warf ich ein, bevor die Scherze zwischen den beiden zu ernst wurden und sie sich wieder heftig in die Haare kriegen konnten.

      »Dann los«, bestätigte Justus, der sich bei den Streitereien zwischen Marc und seiner Mutter meistens raushielt, sich dafür aber immer darüber amüsierte. Auch Mei grinste etwas zu gemein und Marc zog ihr dafür an einem ihrer unzähligen langen Zöpfen. Sie streckte ihm die Zunge raus.

      Der Weg zu Stadtmauer war nicht weit. Wir gingen durch eine kleine Tannenschonung zu einer gepflasterten Straße, die an einem kleinen Brunnen vorbei und dann direkt in den Ort führte.

      Es war uns wichtig, nicht in Sichtweite der Siedlungen haltzumachen. Man konnte nie wissen, was bei uns spontan in Flammen aufging und dann hatte man lieber keine unerwünschten Zuschauer.

      Nur ein paar wenige Menschen waren bereits auf dem Weg zu uns, um die Stände anzuschauen, die die anderen aufgebaut hatten.

      Wir näherten uns der Mauer, begegneten mehr Leuten und der Lärm der Stadt war bereits zu hören.

      Es war keine große Stadt, doch größer als die Dörfer, an denen wir in der letzten Zeit vorbeigekommen waren. Es gab bunte Tore und viele Straßen. Als wir auf den Marktplatz zukamen, wuselte es nur so von geschäftigen Menschen. Vor mehreren Ständen mit Obst und Gemüse drängten sich die Leute. Frauen tratschten am Brunnen und füllten ihre Krüge und Eimer. Kinder eilten mit ihren Schreibtafeln und Büchern zur Schule. Männer saßen vor ihren Geschäften oder gingen in der Morgensonne ihren Handwerken nach.

      Justus und Marc waren die Ruhe selbst und bahnten sich zielstrebig ihren Weg durch die Menge. Ganz dicht blieb ich bei ihnen und versuchte mich zusammenzureißen und dem Unwohlsein keinen Raum zu geben, auch wenn es sich anfühlte, als könnte ich nicht atmen.

      Überall waren Menschen. Sie gingen dicht an mir vorbei, rempelten mich an, traten mir auf die Füße.

      Ich achtete darauf, keinen lang genug anzusehen, damit der Wind mich nicht mit Wissen überschüttete.

      Doch sie alle sahen mich an! Oder bildete ich mir das nur ein? Ich konnte ihre Blicke spüren, auf meinem Rücken, meinen Händen, meinem Gesicht. Ich konnte sehen, wie sie meine helle Haut und meine im Wind tanzenden Haare betrachteten.

      Nein! Ich schüttelte den Kopf, drängte die Gefühle zurück, die nicht echt waren und bloß meiner eigenen Panik entsprangen. Man konnte mir nicht ansehen, dass ich ein Windkind war. Oder doch?

      Was, wenn sie zu genau hinsahen? Wenn sie den Windhauch, der mich immer begleitete, richtig deuteten? Wenn sie wussten, wer ich wirklich war?

      Meine Heimat war nicht weit weg von hier. Es war eine Reise von höchstens vier Tagen in Richtung Süden, zum Meer. Dort war das Stück Küstenland, das einmal dem Windvolk gehört hatte.

      Die Menschen hier in den Dörfern waren Teil der Aufstände gewesen. Hatten uns gefürchtet, uns gehasst und alle auf einmal in einem Akt sinnloser Gewalt abgeschlachtet.

      Ich bekam keine Luft mehr, als sich die Menge um mich herum enger schloss, mich erdrückte. Panik schlug wild um sich, flutete meinen Kopf.

      Wieso war ich nicht einfach im Lager geblieben? Wieso hatte ich mich meinen Ängsten stellen wollen?

      Eine Hand legte sich auf meine Schulter und schickte Todesangst durch meinen Körper, wie ein harter Schlag gegen die Brust. Mir setzte das Herz aus, meiner Kehle entfuhr ein halb erstickter Schrei. Die Beine versagten mir den Dienst und der Schweiß brach mir aus.

      Justus schlang mir in diesem Moment die Arme um die Mitte und hielt mich aufrecht. »Cate«, stieß er hervor und mein Schreck spiegelte sich in seinen Augen.

       Bei allen Winden!

      Zittrig holte ich Luft und klammerte mich an ihn. Denn es war kein Meuchelmörder, der mich angreifen wollte. Es war nur Justus.

      Er zog mich an sich, so nah, dass ich die Hitze seines Oberkörpers durch den Stoff seines grob gewebten Leinenhemdes spüren konnte. Mein Herzschlag stolperte und mir wurde noch schwindliger.

      Es war, als ob jemand die Welt hinter einem Vorhang verborgen hätte, trüb und unscharf verschwand sie und alles um uns herum wurde bedeutungslos.

      Nur Justus existierte. Seine Hände an meiner Taille, die mich zurück auf die Füße hoben. Seine Wange war so nahe, dass sie meine leicht streifte. Eine dunkle Haarsträhne kitzelte mich am Ohr.

      »Was ist passiert?«, fragte er bestürzt und der Augenblick fiel in sich zusammen. Ich blinzelte.

      Justus steuerte uns auf eine Seitengasse zu, raus aus der Menge, und das Gewicht, das auf meinem Brustkorb lastete, hob sich.

      Doch kaum hatte er mich losgelassen, knickten mir die Knie ein und ich landete auf dem staubigen Boden. Justus beugte sich sofort zu mir herunter, musterte sichtlich besorgt mein Gesicht.

      Auch Marc und Mei tauchten von der Seite auf und wirkten nicht weniger betroffen.

      Ich musste noch einmal blinzeln, um ganz zu mir zu kommen und die beißende Panik aus meine Lunge wegzuatmen.

      Der Wind drehte sorgenvolle Runden um meinen Kopf.

      »Äm, ja … ich denke, ich …«, stammelte ich und versuchte mich zu konzentrieren. »Es waren nur die vielen Leute. Ich wäre doch besser nicht mitgekommen«, flüsterte ich und meine Stimme klang immer noch zitterig. Mühsam probierte ich mich an einem Lächeln, das in einer schüchternen Grimasse endete.

      Der Wind versteckte sich in meinen Haaren und zerzauste sie noch mehr.

      Justus seufzte lautlos, eindeutig erleichtert, doch sein Lächeln sah genauso gequält aus wie meins.

      »Sag vorher was, damit du uns nicht so einen Schreck einjagst, verdammt, wenn du einfach so umkippst«, warf Marc mir leise vor und es überraschte mich, dass er so sanft fluchen konnte.

      Moment, was hatte er gesagt?

      »Ich bin umgekippt?«, fragte ich verblüfft. Wann war das denn gewesen?

      Auf dem Platz. Ich bin auch erschrocken, flüsterte der Wind und pustete mir eine Haarsträhne aus der Stirn.

      »Justus hatte dich ja sofort«, versuchte Mei mich zu beruhigen, drehte aber nervös ihre Zöpfe auf dem Finger auf.

      Sah ich so furchtbar aus, dass alle sich solche Sorgen um mich machen mussten?

      Ich blickte zu Justus, der mich noch immer beunruhigt ansah.

      Ich bin in Ordnung, sagte ich ihm mit den Augen und er nickte. »Lasst