Lin Rina

Vom Wind geküsst


Скачать книгу

mit dem blauen Hut keine Spur. Die drei Mädchen kicherten, tauschten Blicke mit einer Schar Burschen aus, die bei den Platten voller Gebäck standen, und bedienten sich ungesehen am Weinfass.

      Sie würden morgen mit Kopfschmerzen erwachen, das wusste ich bereits jetzt. Und dann bekämen sie gewaltigen Ärger mit ihren Müttern, die ihnen vergorene Getränke schon mehr als einmal verboten hatten.

      Gerade wollte ich hinübergehen, als hinter einer Ansammlung von Dörflern Justus auftauchte. Wie von einem Magneten wurde mein Blick von ihm angezogen.

      Auch er hatte einen Krug in der Hand und nahm einen tiefen Schluck daraus. Ich bezweifelte stark, dass er sich für Limonensaft entschieden hatte. Doch diese Überlegung wurde sofort nebensächlich, als ich die wunderschöne junge Frau sah, die neben ihm stand und mit ihrer eindeutigen Haltung all ihre Vorzüge zur Geltung brachte.

      Mit einem Mal zog sich mein Herz so schmerzhaft zusammen, dass ich aufkeuchte.

      Die Frau fuhr sich mit ihren langen, schlanken Fingern durch die goldenen Haare und lachte über etwas, das er gerade gesagt haben musste.

      Auch er lachte und wandte sich ihr ein wenig mehr zu.

      Seine Augen funkelten geheimnisvoll und sein Lächeln war eine einzige Einladung.

      Mein Magen verkrampfte sich, ich glaubte, ich müsse mich übergeben, so schlecht war mir auf einmal. Trotzdem war es mir unmöglich, den Blick zu senken oder einfach woanders hinzusehen. Meine Beine zitterten und ich konnte mich kaum noch halten, als Justus den Kopf neigte und den Abstand zwischen sich und der jungen Frau noch verringerte.

      Sie grinste lockend und wand sich in gespielter Geziertheit.

      Er wird sie küssen. Bei allen Winden, das war zu viel für mich. Ich konnte es nicht länger ertragen.

      Es brannte wie Feuer in meinem Inneren und ehe ich wusste, was ich tat, rannte ich zurück zum Wagen. Wie von Sinnen stürmte ich hinein, griff in das Fach am Ende des Bettes und zog mein Schlaf­bündel hervor.

      Keinen Augenblick später war ich schon wieder draußen und lief in den Wald. Das Blut rauschte mir in den Ohren, das Herz schlug heftig gegen meine Rippen.

      Erst als ich die Fackeln nicht mehr sah, blieb ich stehen. Mein Schlafbündel fiel zu Boden, löste sich und rollte auf dem Waldboden auseinander.

      Angestrengt atmete ich ein und wieder aus, versuchte Luft zu bekommen, doch es fühlte sich an, als säße jemand auf meiner Brust. Meine Augen starrten auf meine Hängematte aus Kappafell, die Schafwolldecken und das kleine Kissen, ohne sie wirklich zu sehen.

      Die Musik vom Platz konnte ich mehr erahnen als hören und das war gut so.

      Ich konzentrierte mich weiter auf meine Atmung, den Wind und das Rauschen der Blätter in den Bäumen. Langsam schloss ich die Lider und ließ die Welt für einen Moment verschwinden.

      Mein Herz entkrampfte sich ein wenig, nur um sich im gleichen Augenblick erneut schmerzhaft zusammenzuziehen. Vor meinem inneren Auge sah ich Justus. Meinen Justus, wie er sie anlächelte. Mit diesem geheimnisvollen, alles versprechendem Blick, der nur mir gelten sollte.

      Die ersten Tränen rannen mir über die Wange und ich schluchzte auf.

      Ich spürte den Wind kaum noch, der um mich herumwirbelte wie ein kleiner Sturm. Bei allen Winden! Warum tat es so weh?

      Nur mühsam befreite ich mich aus der Starre meines Körpers und befestigte die Hängematte zitternd und schluchzend zwischen zwei Buchen. Wie immer legte ich die Decke und das Kissen hinein, schnürte meine ledernen Schuhe auf und hängte sie an den Schnürsenkeln an einen Ast.

      Vorsichtig hob ich vom Boden ab und es war mir gerade völlig egal, ob mich jemand dabei sehen konnte. Die Matte schwankte leicht, als ich mich in ihr niederließ. Frustriert kroch ich unter die Decken, zog sie mir eng um die Schultern und weinte, bis der Schlaf mich in dunkle Gleichgültigkeit zog.

      4

      Gerade setzte die Morgendämmerung ein, da weckte der Wind mich sanft, als er mal wieder versuchte, meine Haare auf dem Kissen zu drapieren. Er stellte seltsame Dinge damit an, wenn ich schlief. Meist waren sie einfach nur hoffnungslos verknotet, manchmal breitete er sie fein säuberlich aus. Einmal war ich auch mit einem gedrehten Zopf aufgewacht.

      Guten Morgen, säuselte er, als ich blinzelte, und schmiegte sich an mich.

      Ich lächelte. Deutlich spürte ich, wie sehr er mich mochte. Er liebte mich. Mich, die Letzte meines Volkes. Und ich liebte ihn.

      Ich streckte die Finger unter der Decke hervor und fuhr damit durch den Wind, der warm meine Haut berührte.

      Das Lächeln verging mir jedoch gleich wieder, als ich an Justus denken musste, und wich einem lautlosen Seufzen. Ihn liebte ich auch.

      Innerlich fluchte ich alle Flüche, die ich je von Marc gehört hatte. Wie hatte mir so was nur passieren können?

      Natürlich war mir schon länger klar gewesen, dass ich verliebt war. Und spätestens seit gestern Abend konnte ich es nicht mehr leugnen.

      Hoffentlich hatte mich keiner gesehen und es wusste niemand außer mir. Wenn die anderen es erfuhren, würden sie sich die Mäuler darüber zerreißen. Oder mich beiseitenehmen und mir erklären, dass, egal was ich da empfand, niemand aus dem Feuervolk jemals mit jemandem zusammen sein konnte, der nicht wie sie war.

      Bei allen Winden! Welch ein Schlamassel.

      Ich zog die Hand unter die Decke zurück und vergrub das Gesicht hinter meinen Haaren.

      Wie dumm ich doch war, mich zu verlieben. Ich musste damit aufhören und doch brauchte ich nur an gestern Abend zu denken und mein Magen verkrampfte sich.

      Was war nur mit mir los? Es war doch nicht das erste Mal, dass Justus mit einem Mädchen geflirtet hatte. Das passierte eigentlich andauernd.

      Trotzdem machte es mich diesmal so wütend!

      Wie war ich denn damit in der Vergangenheit umgegangen? War es mir egal gewesen? Hatte ich nicht so genau hingeschaut? Ach, verflucht.

      Es tröstete mich nur wenig, sicher zu sein, dass er nie eine von ihnen mit in seinen Wagen genommen hatte, wie Marc das gern tat.

      Um vor Wut nicht laut aufzuschreien, drückte ich mein Gesicht fester ins Kissen und biss hinein.

      Der Wind passte sich meiner Stimmung an und frischte auf, drehte sich um die Hängematte und wirbelte trotzig Laub durch die Gegend.

      »Cate?«, fragte eine raue Stimme verschlafen.

      Ich hielt die Luft an.

      Justus! Er war hier. Mein Herzschlag setzte zur doppelten Geschwindigkeit an.

      Natürlich! Dieser verdammte Mistkerl lag direkt unter mir.

      Marc hatte den Wagen für sich besetzt und das hieß für Dante und Justus, dass sie woanders übernachten mussten.

      Dante kam dann meist bei seinem kleinen Bruder Garan unter. Na ja, und Justus schlief draußen. Unter meiner Hängematte auf dem Boden.

      Ich hatte ihm schon tausendmal gesagt, ich würde ihm auch eine Matte weben, wenn er das wollte. Doch er hatte jedes Mal abgelehnt. Die Erde sei sicherer, als in der Luft zu schlafen, hatte er erwidert. Und unter mir sowieso, denn das Regenrisiko war dort minimal.

      »Ich weiß, dass du wach bist«, murmelte er und ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. Er hatte wirklich die Dreistigkeit, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Wie mich das ärgerte! Dieser blöde Haufen Kappadreck!

      »Der Wind pustet wie ein kleiner Orkan. Du wälzt dich von einer Seite zur anderen und schnaubst wie ein Kappa.« Er lachte.

      Erneut biss ich ins Kissen und kniff die Augen fest zu, um vor Wut nicht zu weinen.