Vogel und hob belehrend das Zeigefingerchen. »Du bist nur ärgerlich, weil du nichts von so alten Sachen verstehst! Dabei sind sie ganz teuer. Und Nick und Torsten, Pünktchen und Tanja sind jetzt reich! Vielleicht kaufen sie ein neues Pony-Gespann.«
»Kein Pony-Gespann, ein Motorboot kaufen wir«, erklärte Henrik. Beifallheischend sah er seinen großen Bruder an.
Nick war jedoch viel zu sehr mit den Fotokopien der Dokumente beschäftigt, um die Kleinen ernst zu nehmen. »Mal sehen«, meinte er gleichgültig. »Vielleicht machen wir auch alle einen schönen Ausflug.«
»Ja!«, schrien Heidi und Henrik wie aus einem Munde. Vor Freude fielen sie sich in die Arme. Angelika, die auch teilhaben wollte, klemmte sich johlend dazwischen.
Niemand, weder Denise von Schoenecker noch Frau Rennert, geboten dem Lärm Einhalt. Man ließ den Kindern ihre Freude, und das war das Schöne an Sophienlust.
*
»Ich lade dich zum Abendessen ein. Danach gehen wir tanzen in einer süßen kleinen Bar«, schlug Horst Grebe selbstgefällig vor.
»Tut mir leid, ich muss nach Hause. Vielleicht ein andermal.« Es war Claudia Ertel gar nicht recht, dass Horst sie abholte. Viel lieber wäre sie zu Fuß nach Hause gegangen. War ihr Horst Grebes Gesellschaft schon zuvor nicht angenehm gewesen, so wurde sie ihr jetzt geradezu unerträglich.
»Schon wieder einen Korb?« Horst lachte amüsiert. »Welchen Grund könnte es für dich geben, den ganzen Abend allein zu Hause zu sitzen?«
»Ich habe zu arbeiten. Außerdem habe ich Torsten versprochen, ihm etwas vorzulesen.«
»Ist dieser Junge immer noch bei euch?«, fragte Horst empört.
»Wo sollte er sonst sein?«, erwiderte Claudia aggressiv.
»Gibt es nicht Waisenhäuser genug?« Horsts gespielte Freundlichkeit war plötzlich verschwunden. Zwei Zornesfalten erschienen auf seiner Stirn.
»Torsten gehört zu uns«, antwortete das junge Mädchen fest. Traurig dachte es daran, dass Tanja eigentlich auch zur Familie gehörte. Nur weil sie ein Mädchen war, wurde sie nicht aufgenommen.
»Wenn ich richtig informiert bin, hat dein Vater nur ein einziges Kind, und das bist du! Als sein künftiger Schwiegersohn kann ich verlangen, dass das so bleibt.«
»Ich kann mir zwar nicht vorstellen, weshalb du einem Jungen, der dir nichts getan hat, eine neue Heimat absprechen willst, aber trotzdem möchte ich dir sagen, dass ich auf die Entschlüsse meines Vaters keinen Einfluss habe.«
Einen Moment lang horchte Horst Grebe der ärgerlichen Stimme nach. War das wirklich noch die sanftmütige, stets nachgiebige Claudia?
»Das hast du sehr wohl«, beharrte er schließlich. »Ich habe dich gebeten, dafür zu sorgen, dass das fremde Kind aus dem Haus kommt. Warum hast du es nicht getan?«
»Weil mein kleiner Cousin ein neues Zuhause braucht«, antwortete Claudia furchtlos und sehr bestimmt. »Und damit es ihm bei uns gefällt, werde ich mich künftig so oft wie möglich mit ihm befassen.«
»Und was hast du davon?«, fragte Horst und sah Claudia an, als zweifle er an ihrem Verstand.
»Die Freude, einem armen Kind ein bisschen geholfen zu haben.« Claudia war sich ihrer Sache ganz sicher. Lange genug hatte sie sich von ihrem Vater und von Horst Grebe beeinflussen lassen. Manchmal hatte sie schon geglaubt, dass alle Männer so egoistisch und gewinnsüchtig seien. Erst seit sie Klaus Herzberg kennengelernt hatte, wusste sie, dass es auch andere Männer gab. Klaus Herzberg hatte sie in ihrem Willen bestärkt, ohne dass sie darüber mit ihm gesprochen hatte.
»Du spinnst«, sagte der junge Mann respektlos und tippte dabei an seine Stirn.
Früher hätte Claudia einzulenken versucht, jetzt aber blieb sie völlig gleichgültig.
Horst Grebe bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Deshalb spielte er seinen letzten Trumpf aus. Er war sicher, dass es ihm damit gelingen würde, Claudia umzustimmen.
»Hör mal, du musst ja wissen, wer dir lieber ist, ich oder dieser kleine Junge. Du kannst dich entscheiden.«
»Ich habe mich schon entschieden.« Die Stimme des Mädchens klang fest und sicher. »Ich werde meine Freizeit Torsten widmen, werde versuchen, ihm die Mutter zu ersetzen.«
»Hast du mich nicht verstanden? Wenn ich sage, dass du zwischen ihm und mir wählen musst, dann ist das kein leeres Gerede, sondern Ernst. Du wirst doch wegen dieses Kindes nicht dein Lebensglück aufs Spiel setzen wollen?« Horst Grebe beugte sich weit hinüber zu Claudia. Sein Atem roch nach Alkohol. Claudia rutschte zur Seite. »Ich weiß nicht, ob es mein Glück wäre, wenn wir beide …«
»Vergiss nicht, dass ich sehr reich bin. Ich kann dir ein Leben in Luxus und Überfluss bieten. Ein Leben, um das dich andere bestimmt beneiden werden.«
»An diesen Dingen liegt mir nichts.« Claudia lächelte wehmütig. Sie hatte immer gewusst, dass Horsts Liebesbeteuerungen nichts als Lügen waren. Jetzt gab er ihr die Bestätigung dafür. Er sagte in seiner Erregung kein Wort von Liebe, sondern sprach nur vom Geld.
»Und was soll aus der geplanten Verlobung werden?«, fragte der junge Mann. Er konnte noch immer nicht glauben, dass die sonst so sanftmütige Claudia dabei war, ihm den Laufpass zu geben.
»Wir werden sie absagen.« Claudia war so ruhig wie schon lange nicht mehr.
»Wie stellst du dir das vor? Ich habe eine Menge Gäste eingeladen, das Essen ist bestellt. Du wirst mich doch nicht derart blamieren wollen?«
»Oh, deine Freunde werden froh sein, wenn du noch für einige Zeit Junggeselle bleibst. Im Übrigen hast du mir immer wieder erklärt, dass du jeden Tag eine glänzende Partie machen könntest.« Claudia musste lächeln, als sie Horsts Gesicht sah. Sein Mund stand vor Verblüffung offen.
»Hör mal, das lasse ich mir nicht gefallen!« Horst schrie, denn er glaubte, Claudia damit einschüchtern zu können. »Weiß dein Vater davon?«
»Wie sollte er? Du hast mich doch eben erst vor die Alternative gestellt.«
»Du hast das herausgefordert«, versuchte Horst die Schuld von sich zu schieben. »Überhaupt wird dein Vater nie erlauben, dass du die geplante Verlobung löst.«
»Er wird nichts dagegen tun können, da ich volljährig bin.« Claudia Ertel hatte schon lange den Wunsch gehabt, ihre Beziehungen zu Horst Grebe abzubrechen. Doch sie hatte einfach nicht den Mut dazu aufgebracht. Immer wieder hatte sie sich von der Autorität ihres Vaters einschüchtern lassen. Erst Klaus Herzberg hatte ihr durch sein Verhalten gezeigt, dass sie überhaupt keine Angst zu haben brauchte. Auch ihr Vater war nur ein Mensch mit Schwächen und Fehlern.
»Da wäre ich nicht so sicher. Ein Streit mit ihm kann mehr Unannehmlichkeiten für dich bringen, als du im Moment annimmst. Komm, sei vernünftig.« Horst wollte den Arm um Claudia legen, doch sie wich geschickt aus.
»Gerade weil ich vernünftig bin, werden wir uns trennen. Du hast mich immer für ein verspieltes, unmündiges Kind gehalten. Aber das ist vorbei, Horst. Ich weiß jetzt, was ich will.« Claudia dachte an Klaus Herzberg, der ihr, ohne es selbst zu wissen, den Weg gezeigt hatte.
»Und was willst du?«
»Ich werde den beiden Kindern, die auf so tragische Weise die Eltern verloren haben, ihre schweres Schicksal nach Kräften erleichtern.«
»Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe. Man könnte glauben, du wärst echt nicht mehr normal.« Horst Grebe schüttelte missbilligend den Kopf.
»Ein Grund mehr für dich, die Verlobungsfeier abzublasen. Schließlich ist es einem Mann wie dir nicht zuzumuten, dass er ein verrücktes Mädchen heiratet!« Claudia öffnete die Tür des Sportwagens. »Ich werde allein nach Hause gehen. Vielen Dank dafür, dass du mich abholen wolltest.«
*
Torsten saß vor Rechenaufgaben, die für einen Erstklässler viel zu schwer