gegen ihre eigenen Interessen geht, schon gar nicht. Ihr Vater könnte heftig reagieren, könnte Sie vielleicht sogar aus dem Haus weisen.«
Claudia lächelte. »Ich fürchte mich nicht davor, denn ich bin alt genug, auf eigenen Füßen zu stehen. Außerdem liegt mir nichts an dem Luxus, in dem ich groß geworden bin.«
Klaus Herzbergs Herz klopfte rasch und dumpf. Er wollte dieses Mädchen beschützen, verehren und nach Kräften verwöhnen. Doch hatte er überhaupt eine Chance?
*
Johannes Ertel wartete in seinem Arbeitszimmer auf Claudia. Doch diesmal saß er nicht hinter dem wuchtigen Schreibtisch, sondern lief ungeduldig im Raum auf und ab.
Als Claudia das Zimmer betrat, blieb er stehen und stemmte beide Arme in die Seiten. Maßloser Zorn zeichnete sich auf seinem breiten Gesicht ab.
»Wie kommst du dazu, hinter meinem Rücken Torsten in dieses unmögliche Kinderheim zurückzubringen? Weißt du eigentlich, was du damit getan hast?«
»Ich habe einem verzweifelten, verängstigten Kind geholfen«, antwortete Claudia furchtlos.
»Du hast es damit in schlimme Gefahr gebracht!«, wetterte Johannes Ertel. »Sophienlust ist kein Kinderheim, sondern eine Stätte, in der verwahrloste Buben und Mädchen hausen. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass Tanja in ein anderes Heim gebracht wird.«
»Was du über Sophienlust sagst, ist nicht wahr, Vater«, wehrte sich das Mädchen. »Dort gibt man den Ärmsten der Armen eine neue Heimat, schenkt ihnen Liebe und Geborgenheit.«
»Du wagst es, mir auch noch zu widersprechen?« Der Fabrikant hätte seiner Tochter am liebsten eine schallende Ohrfeige versetzt.
»Wie kommst du überhaupt zu solchen Eigenmächtigkeiten?« Sein Gesicht war hochrot. Er verlangte bedingungslosen Gehorsam von seinen vielen Arbeitern und Angestellten, aber noch mehr von seiner Tochter.
»Torsten war zu bedauern. Der Umgang mit Miss Scott ist schon für Erwachsene belastend genug. Für ein Kind, das ihr schutzlos ausgeliefert ist, noch viel mehr. Ich musste Torsten einfach helfen.«
»Das sind Dinge, die du überhaupt nicht beurteilen kannst«, meinte der Fabrikant streng und schulmeisterlich. »Doch die größte Frechheit ist, dass du über meinen Kopf hinweg gehandelt hast.«
»Ich musste es tun, weil du niemals deine Zustimmung dazu gegeben hättest. Und noch etwas muss ich dir sagen, Vater. Ich werde mich nicht mit Horst Grebe verloben. Wir haben uns getrennt.« Claudia war jetzt nicht mehr das kleine Mädchen, das vor dem allgewaltigen Vater zitterte. Sie war endlich erwachsen geworden.
Johannes Ertel hielt den Atem an. »Was hast du?«, keuchte er dann und sah Claudia an, als habe sie den Verstand verloren. »Du willst eine solche Partie ausschlagen? Nie wieder findest du einen Mann wie Horst Grebe.«
Claudia nickte stumm. Einem Menschen wie Horst wollte sie gar nicht wieder begegnen. Einem Menschen, der nur an sich selbst und an seine eigenen Vorteile dachte, und der anderen rücksichtslos schadete.
»Weißt du eigentlich, welche Anstrengungen ich gemacht habe, um diese Verbindung einzufädeln?« Johannes Ertel schaute Claudia stur ins Gesicht. »Und du machst aus einer Laune heraus alles wieder zunichte. Das werde ich nicht dulden. Du bist mir Gehorsam schuldig. Also wirst du dich mit Horst Grebe verloben, genau wie es geplant war.« Nun schrie er, dass es im ganzen Haus zu hören war.
Claudia zuckte jedoch nicht einmal zusammen. Um keinen Preis der Welt würde sie sich zwingen lassen, Horst Grebes Verlobte zu werden. Nicht, nachdem sie Klaus Herzberg kennengelernt hatte.
»Es tut mir leid, Vater, aber ich kann nicht. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich Horst nicht mag. Er hat so viele Eigenheiten, die ich nicht ertragen kann.«
»Und ich habe dir erklärt, dass es darauf gar nicht ankommt. Wichtig ist nur, dass die Finanzen stimmen. Und das ist bei ihm der Fall. Ich täusche mich in solchen Dingen nie.«
»Das hat für mich aber keine Bedeutung. Wichtig ist für mich, dass man sich versteht, liebt und ergänzt.« Wieder dachte Claudia an den braungebrannten jungen Mann, der so gut mit Kindern umgehen konnte und so herzlich zu lachen verstand.
»Wer hat dir nur die dummen Phrasen in den Kopf gesetzt? Du wirst Grebe heiraten. Das ist ein Befehl!« Hoch aufgerichtet wie ein Feldmarschall stand Johannes Ertel vor seiner Tochter.
»Du vergisst, Vater, dass ich volljährig bin. Du kannst mich nicht zwingen.« Claudia blieb ganz ruhig.
»So, volljährig bist du«, wiederholte der Fabrikant heiser. »Aber du wohnst bei mir, lässt dich von mir aushalten. Also hast du auch das zu tun, was ich sage.«
»Wenn du willst, dass ich Grebe heirate, verlangst du zu viel, Vater.«
»Du hast mir zu gehorchen, oder du verlässt mein Haus«, brüllte Johannes Ertel wütend.
»Dann muss ich gehen.« Längst hatte Claudia damit gerechnet. Sie würde ein kleines Zimmer nehmen, bis sie sich später eine Wohnung leisten konnte. Mit dem Vermögen, das ihr die Mutter hinterlassen hatte, konnte sie die Zeit gut überbrücken.
»Tu das nur!«, schrie Ertel erbost. »Du wirst schon sehen, wie weit du kommst. Du wirst nach kurzer Zeit froh sein, zu mir und Horst Grebe zurückkehren zu können.«
»Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht.« Claudia wusste, sie würde sich niemals zurücksehnen in dieses düstere Haus, in dem es so still war wie in einem Grab.
»Geh jetzt, geh!« Johannes Ertel wies mit dem ausgestreckten Arm zur Tür. Er hatte es noch nie leiden können, wenn man ihm widersprach. Wenn sich aber einer seinen ausdrücklichen Befehlen widersetzte, kannte seine Wut keine Grenzen mehr.
*
Claudia hatte einige nette Dinge für ihr möbliertes Zimmer erstanden. Eben wollte sie den Lift betreten, als sie fast mit einem jungen Mann zusammenstieß. Es war Klaus Herzberg.
»Welch wundervolle Überraschung«, meinte er galant und zeigte lachend seine prächtigen weißen Zähne.
»Ich …,?ich wollte gerade …« Claudia war verwirrt und wurde zu ihrem Ärger glühend rot. Schon mehrmals hatte sie sich gewünscht, Klaus zu treffen. Doch jetzt, da dieser Wunsch in Erfüllung gegangen war, wurde sie richtig verlegen.
»Sie werden doch etwas Zeit haben. Ich möchte Sie nämlich zu einer Tasse Kaffee einladen.« Die dunklen Augen des jungen Mannes bettelten. »Gleich dort drüben ist ein hübsches kleines Café. Darf ich es Ihnen zeigen?«
Claudia nickte kaum merklich. Sie war so aufgeregt, dass sie kein einziges Wort hervorbrachte. In Horsts Nähe war ihr das nie passiert.
Klaus führte sie in ein verträumtes Café mit Florentinern an den Fenstern und gemütlichen kleinen Sitznischen.
»Ich konnte Ihnen noch gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass Sie Torsten nach Sophienlust zurückgebracht haben«, meinte Klaus, als der aromatisch duftende Kaffee und lecker aussehendes Gebäck vor ihnen standen. »Ich bewundere Ihren Mut.«
»Die ganze Sache hat mir einige persönliche Nachteile gebracht. Ich wohne nicht mehr zu Hause, aber ich bin trotzdem sehr zufrieden.« Claudias Stimme vibrierte und verriet ihre innere Erregung.
»Ihr Vater hat Sie hinausgeworfen?«, folgerte Klaus und war nicht ein bisschen erstaunt über diese Neuigkeit.
»Nicht nur das. Er hat die Absicht, mich zu enterben.« Claudia hatte bis jetzt mit keinem darüber gesprochen. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie ausgerechnet Herzberg das alles erzählte.
»Sie glauben gar nicht, wie sehr mich das freut«, gestand Klaus und suchte Claudias Blick. »Weil es mir den Mut gibt, Sie etwas zu fragen, was ich sonst niemals hätte tun können. Wollen Sie meine Frau werden, Claudia?«
»Soll das ein Scherz sein?« Claudias Wangen wurden noch intensiver rot. Sie hatte nicht den Mut, Klaus anzusehen, weil sie befürchtete, ihre Gefühle zu verraten.
Der