notwendig gemacht. Die Praktikerinnen vollziehen diesen Entwicklungsprozess mit großer Kreativität und Motivation, aber oft auch begleitet von Ängsten und kritischer Abwehrhaltung.
Mit der Notfallpflege hat sich eine Spezialisierung auf dem Gebiet der klinischen Notfall- und Akutversorgung entwickelt, die mit den geänderten Umständen Schritt halten kann und Patienten aus allen Lebenslagen entsprechend der Dringlichkeit fachlich adäquat versorgt. Zur Unterstützung auf dem Weg zur Notfallpflegerin oder auch als Teil des lebenslangen Lernens sollen die in diesem Buch zusammengetragenen Fälle aus der Praxis der Autorin und Autoren beitragen. Neben einem ausführlichen Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Notfallversorgung sind die Fallbeschreibungen das Herzstück dieses Bandes. Menschen in akuten Situationen, die auf unterschiedlichen Wegen in die Notaufnahmen gekommen sind, um ihre Symptome zu schildern und schnelle Hilfe zu bekommen. Oder auch nicht.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die beschriebenen Fälle mit ihren medizinischen und pflegerischen Verläufen der beruflichen Alltagspraxis entstammen, zum Schutz der Privatsphäre der Patienten modifiziert wurden und nicht als Handlungsempfehlung zu verstehen sind.
Die geschilderten Verläufe dienen einschließlich aller Herausforderungen der Illustration der Behandlung in einer Notaufnahme und stellen damit nicht zwingend den »Goldstandard« dar und haben nicht automatisch Vorbildcharakter. Dennoch halten wir alle Fälle für geeignet, um in ruhiger Lernatmosphäre daraus für die Zukunft zu lernen und sich an geeigneter Stelle mit den entsprechenden Leitlinien und Behandlungsstandards zu beschäftigen.
Die Medizin unterliegt einem stetigen Wandel und Wissenszuwachs, die zu Veränderungen führen, die sich auf unsere Behandlung und die medikamentöse Therapie auswirken. Daher ist jede Leserin angehalten, Dosierungen, Kontraindikationen und Wirkverhalten von eingesetzten Medikamenten sorgfältig anhand der Fachinformationen oder durch Konsultation von Spezialistinnen zu prüfen.
Für den besseren Lesefluss haben wir uns auf die Verwendung entweder der weiblichen oder männlichen Form verständigt, wobei jedoch in allen Berufsgruppen beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind und selbstverständlich in einer Notaufnahme Patienten jedweder geschlechtlichen Identität nach dem Ausmaß der Dringlichkeit behandelt werden.
Nicht zuletzt gebührt unser Dank all denen, die uns bei diesem Buch unterstützt haben.
In diesem Sinne wünschen wir allen Leserinnen und Lesern lehrreiche und interessante Einblicke in den Arbeitsbereich der Notaufnahme.
Die Autoren
1 Die Zentrale Notaufnahme
1.1 Veränderungsprozesse in den Notaufnahmen
In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist es zu deutlichen Veränderungen in der Notfallmedizin und den Notaufnahmen in Deutschland gekommen. War in der Vergangenheit der Begriff der Notfallmedizin fast ausschließlich mit dem prähospitalen Einsatz im Rettungsdienst verbunden, so hat insbesondere im Bereich der Notfallaufnahmen eine deutliche Weiterentwicklung stattgefunden. Durch die Weiterentwicklung notfallmedizinischer Behandlungsstrategien sowie Veränderungen der Krankenhauslandschaft ist es zu einer Bildung von Zentren gekommen, in denen bestimmte Krankheitsbilder spezialisiert versorgt werden können (z. B. Herzinfarktversorgung, Schlaganfallversorgung, Polytraumaversorgung). Auch zwischen den Krankenhäusern sind Zusammenschlüsse in Netzwerken entstanden (z. B. Traumanetzwerke, telemedizinische Beratung) (Gries et al. 2017).
Im Bereich der Notaufnahmen hat es eine Orientierung hin zu zentralen Notaufnahmen gegeben. Während in der Vergangenheit Notfall- und Akutpatienten oft durch medizinisch nicht qualifiziertes Personal einer Fachabteilung zugeordnet wurden, gibt es durch die Konzentrierung auf einen Ort eine zentrale Anlaufstelle für alle Patienten. Hier kann eine Ersteinschätzung durch medizinisches Personal erfolgen und eine symptomorientierte Versorgung anhand von definierten Behandlungspfaden erfolgen. Unterschieden werden muss jedoch zwischen interdisziplinär arbeitenden zentralen Notfallaufnahmen, in denen eine fachübergreifende Erstversorgung stattfindet und Notaufnahmen, in denen zwar gemeinsame Räumlichkeiten und Strukturen genutzt werden, die Versorgung jedoch fachbezogen stattfindet (Harding 2016).
Die Fallzahlen im Rettungsdienst und in den Notaufnahmen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und es lastet ein hoher Druck auf den einzelnen Bereichen der Notfallversorgung. Dies hat zu einer Auseinandersetzung mit weiteren Veränderungsprozessen durch die Politik geführt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat im Sommer 2018 das Gutachten »Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung« präsentiert und umfangreiche Empfehlungen für eine sektorenübergreifende Versorgung gegeben (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2018).
Durch den gemeinsamen Bundesausschuss sind im April 2018 Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern beschlossen worden (Gemeinsamer Bundesausschuss 2018). Dieses System sieht für die an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhäuser in Deutschland drei Stufen vor: die Basisnotfallversorgung (Stufe 1), die erweiterte Notfallversorgung (Stufe 2) sowie die umfassende Notfallversorgung (Stufe 3). Eine weitere Stufe besteht für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung. Die jeweiligen Stufen beinhalten Vorgaben zur Ausstattung (Fachabteilungen, Medizintechnik, Intensivstationen) sowie Personalvorhaltung sowie Strukturen und Prozesse der Notaufnahmen. Neben den Stufen werden zusätzlich Module beschrieben, wie beispielswiese für die Notfallversorgung von Kindern oder Schwerverletzten.
1.2 Definition Notfall
Für den medizinischen Notfall gibt es keine einheitlich anerkannte Definition. Diese Tatsache ergibt sich aus den unterschiedlichen Wahrnehmungen und Sichtweisen der jeweils beteiligten Personen. Auch wenn Kriterien definiert werden, kann eine eindeutige Zuordnung eines Ereignisses erst im Verlauf erfolgen.
Unabhängig von einzelnen Definitionen oder Definitionsversuchen handelt es sich jedoch um eine akute Situation, die Hilfe erfordert. Aus den unterschiedlichen Sichtweisen können Konflikte entstehen, da der Patient beispielsweise eine umfassende und definitive Diagnostik und Behandlung wünscht, aus Sicht der Helfer der Auftrag in einer Stabilisierung und Erstversorgung besteht, bis die definitive Versorgung im Verlauf erfolgen kann.
Eine recht weit gefasste Definition des medizinischen Notfalls, die sich auf den Rettungsdienst bezieht, bietet die DIN 13050 »Rettungswesen – Begriffe«:
Ereignis, das unverzügliche Maßnahmen der Notfallrettung erfordert.
Näher definiert wird der medizinische Notfall im Pschyrembel Anästhesiologie:
»[…] akuter, vital bedrohlicher Zustand durch Störung der Vitalfunktionen oder Gefahr plötzlich eintretender, irreversibler Organschädigung infolge Trauma, akuter Erkrankung oder Intoxikation.« (v. Koppenberg & Moecke 2014, S. 466)
Mehrheitlich umfassen andere Definitionen folgende Punkte:
Unzureichend werden in den meisten Definitionen psychiatrische Notfälle berücksichtigt, bei denen Störungen der vitalen Organfunktionen fehlen können, die aber zum Beispiel durch Suizidalität oder Eigengefährdung bei Psychosen durchaus lebensbedrohlich und akut sind.
1.3 Organisationsformen (gestuftes System der Notfallversorgung)
Die Notfallversorgung