mich mit dem einen Arm los, griff bis an den Ellbogen in ihren Rock und holte ein paar in Papier gewickelte Kuchen hervor, die sie mir in die Tasche stopfte. Einen Geldbeutel drückte sie mir in die Hand. Sie sprach dabei kein Wort.
Sie presste mich noch ein letztes Mal an ihren Schnürleib, stieg aus und lief davon, wie ich glaube und stets geglaubt habe, ohne einen einzigen Knopf an ihrem Kleid. Ich hob einen der vielen, die herumrollten, auf und bewahrte ihn lange Zeit als ein teures Andenken.
Der Fuhrmann sah mich fragend an, ob sie zurückkäme. Ich schüttelte den Kopf und sagte, ich dächte nicht. »Also los«, rief er seinem faulen Pferde zu, das sich daraufhin in Bewegung setzte.
Da ich mich ordentlich ausgeweint hatte, fing ich jetzt an zu überlegen, dass Tränen doch nichts nützten, umso mehr, als weder Roderick Random, noch jener Kapitän der englischen Flotte jemals in schwierigen Lagen geweint hätten, so viel ich mich entsinnen konnte. Als der Fuhrmann mich so gefasst sah, schlug er mir vor, mein Taschentuch zum Trocknen dem Pferd auf den Rücken zu legen. Ich dankte ihm und gab es ihm, und merkwürdig klein sah es aus, als es dort lag.
Ich hatte jetzt Muße, die Börse zu untersuchen. Es war ein steifer Lederbeutel mit einem Schloss und drin befanden sich drei glänzende Schillinge, die Peggotty mit Putzpulver poliert hatte, damit es mich noch mehr freuen sollte. Aber sein kostbarster Inhalt bestand aus zwei halben Kronen in einem Stück Papier, worauf mit meiner Mutter Handschrift stand: »Für Davy. Mit herzlichem Gruß.« Ich war davon so gerührt, dass ich den Fuhrmann bat, mir wieder mein Taschentuch hereinzureichen, aber er meinte, es ginge wohl auch so, und so wischte ich meine Augen mit dem Rockärmel und bezwang mich.
Es gelang mir, wenn mich auch noch hier und da das Schluchzen riss. Nach einer Weile Trottes fragte ich den Fuhrmann, ob er die ganze Reise mache.
»Welche Reise?« fragte er.
»Dahin«, sagte ich.
»Wo, dahin?« fragte der Fuhrmann.
»Nun bei London«, sagte ich.
»Das Pferd«, sagte der Fuhrmann und schlenkerte mit dem Zügel statt hinzudeuten, »wäre toter als Schweinefleisch, ehe wir noch halb hinkämen.«
»Sie fahren also nur bis Yarmouth?« fragte ich.
»Stimmt«, sagte der Fuhrmann. »Dort bringe ich Sie zur Postkutsche und die bringt Sie nach – wos eben ist.«
Da das für den Fuhrmann, der Mr. Barkis hieß, bei seinem phlegmatischen und wenig gesprächigen Temperament eine sehr lange Rede war, bot ich ihm als Zeichen meiner Erkenntlichkeit einen Kuchen an, den er auf einen Bissen verschlang, gerade wie ein Elefant, und der auf sein breites Gesicht nicht mehr Eindruck machte, als er auf das eines Elefanten gemacht hätte.
»Hat sie den gebacken?« fragte Mr. Barkis, der immer vorwärtsgebeugt auf seinem Sitze hockte, auf jedes Knie einen Arm gestützt.
»Peggotty, meinen Sie, Sir?«
»Hm«, sagte Mr. Barkis. »Sie.«
»Ja, sie backt alle unsere Kuchen und kocht für uns.«
»Wahrhaftig!«
Er spitzte den Mund, als wollte er pfeifen, aber er pfiff nicht. Er saß da und zielte nach den Ohren des Pferdes, als sähe er dort etwas ganz Besonderes. So saß er eine geraume Zeit. Endlich sagte er: »Keine Schätze?«
»Sagten Sie Plätzchen, Mr. Barkis?« Ich dachte, er wollte noch etwas zu essen haben und hätte auf diese Art Erfrischung angespielt.
»Schätze«, sagte Mr. Barkis. »Schätze! Niemand geht mit ihr?«
»Mit Peggotty?«
»Hm. Mit ihr.«
»O nein, sie hat niemals einen Schatz gehabt.«
»Wahrhaftig!?«
Wieder spitzte er den Mund zum Pfeifen, aber wieder pfiff er nicht, sondern zielte nach den Ohren des Pferdes.
»Sie macht also die Apfeltorten und besorgt die Küche, was?« fragte er nach einer langen Pause des Nachdenkens.
Ich bejahte.
»Gut. Ich will Ihnen was sagen; schreiben Sie ihr ’leicht?«
»Ich schreibe jedenfalls an sie.«
»Hm«, sagte er und wandte mir langsam seine Augen zu. »Gut. Wenn Sie ihr schreiben, sagen Sie ihr, dass Barkis will. Ja?«
»Dass Barkis will?« fragte ich unschuldig. »Ist das alles?«
»Jawoll«, sagte er nachdenklich. »Jawoll. Barkis will.«
»Aber Sie sind doch morgen wieder zurück in Blunderstone, Mr. Barkis«, sagte ich, und meine Stimme bebte ein wenig bei dem Gedanken, dass ich dann so weit fort sein würde, »und könnten Ihre Botschaft doch selber viel besser ausrichten.«
Da er aber diesen Vorschlag mit einem Ruck seines Kopfes zurückwies und seinen ersten Wunsch mit tiefstem Ernst wiederholte: »Barkis will«, übernahm ich bereitwillig den Auftrag. Später nachmittags, während wir im Gasthof in Yarmouth auf die Postkutsche warteten, ließ ich mir einen Bogen Papier und ein Tintenfass bringen und schrieb folgenden Brief an Peggotty: »Meine liebe Peggotty. Ich bin hier glücklich angekommen. Barkis will. Viele herzliche Grüße an Mama. Dein getreuer Davy. Nachschrift. Es ist mir nochmals aufgetragen worden: Barkis will.«
Als ich Mr. Barkis noch im Wagen mein Versprechen gegeben hatte, verfiel er wieder in sein tiefes Schweigen, und ich, ganz ermattet von den letzten Ereignissen, legte mich auf einen Sack im Wagen und schlief ein. Ich schlief gesund, bis wir in Yarmouth ankamen, das mir von dem Gasthof aus, vor dem wir hielten, so neu und seltsam vorkam, dass ich sogleich die stille Hoffnung aufgab, hier jemand von Mr. Peggottys Familie oder vielleicht gar die kleine Emly selbst zu treffen.
Die Postkutsche stand, über und über glänzend, im Hofe, aber noch waren keine Pferde vorgespannt, und sie sah in diesem Zustande aus, als wäre nichts unwahrscheinlicher, als dass sie je nach London fahren könnte. Ich fragte mich, was wohl aus meinem Koffer werden sollte, den Mr. Barkis auf das Pflaster gesetzt hatte, und aus mir, als eine Frau aus einem Bogenfenster, an dem Geflügel und Fleischstücke aufgehangen waren, heraussah und fragte:
»Ist das der junge Herr aus Blunderstone?«
»Ja, Ma’am«, sagte ich.
»Wie heißen Sie?« fragte die Frau.
»Copperfield, Ma’am«, sagte ich.
»Stimmt nicht. Für Copperfield ist nichts bestellt.«
»Vielleicht für Murdstone«, sagte ich.
»Wenn Sie Master Murdstone sind, warum sagen Sie da zuerst einen anderen Namen?«