Charles Dickens

David Copperfield


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mich mit dem einen Arm los, griff bis an den Ell­bo­gen in ih­ren Rock und hol­te ein paar in Pa­pier ge­wi­ckel­te Ku­chen her­vor, die sie mir in die Ta­sche stopf­te. Ei­nen Geld­beu­tel drück­te sie mir in die Hand. Sie sprach da­bei kein Wort.

      Sie press­te mich noch ein letz­tes Mal an ih­ren Schnür­leib, stieg aus und lief da­von, wie ich glau­be und stets ge­glaubt habe, ohne einen ein­zi­gen Knopf an ih­rem Kleid. Ich hob einen der vie­len, die her­um­roll­ten, auf und be­wahr­te ihn lan­ge Zeit als ein teu­res An­den­ken.

      Der Fuhr­mann sah mich fra­gend an, ob sie zu­rück­käme. Ich schüt­tel­te den Kopf und sag­te, ich däch­te nicht. »Also los«, rief er sei­nem fau­len Pfer­de zu, das sich dar­auf­hin in Be­we­gung setz­te.

      Da ich mich or­dent­lich aus­ge­weint hat­te, fing ich jetzt an zu über­le­gen, dass Trä­nen doch nichts nütz­ten, umso mehr, als we­der Ro­de­rick Ran­dom, noch je­ner Ka­pi­tän der eng­li­schen Flot­te je­mals in schwie­ri­gen La­gen ge­weint hät­ten, so viel ich mich ent­sin­nen konn­te. Als der Fuhr­mann mich so ge­fasst sah, schlug er mir vor, mein Ta­schen­tuch zum Trock­nen dem Pferd auf den Rücken zu le­gen. Ich dank­te ihm und gab es ihm, und merk­wür­dig klein sah es aus, als es dort lag.

      Ich hat­te jetzt Muße, die Bör­se zu un­ter­su­chen. Es war ein stei­fer Le­der­beu­tel mit ei­nem Schloss und drin be­fan­den sich drei glän­zen­de Schil­lin­ge, die Peg­got­ty mit Putz­pul­ver po­liert hat­te, da­mit es mich noch mehr freu­en soll­te. Aber sein kost­bars­ter In­halt be­stand aus zwei hal­b­en Kro­nen in ei­nem Stück Pa­pier, wor­auf mit mei­ner Mut­ter Hand­schrift stand: »Für Davy. Mit herz­li­chem Gruß.« Ich war da­von so ge­rührt, dass ich den Fuhr­mann bat, mir wie­der mein Ta­schen­tuch her­ein­zu­rei­chen, aber er mein­te, es gin­ge wohl auch so, und so wisch­te ich mei­ne Au­gen mit dem Rock­är­mel und be­zwang mich.

      Es ge­lang mir, wenn mich auch noch hier und da das Schluch­zen riss. Nach ei­ner Wei­le Trot­tes frag­te ich den Fuhr­mann, ob er die gan­ze Rei­se ma­che.

      »Wel­che Rei­se?« frag­te er.

      »Da­hin«, sag­te ich.

      »Wo, da­hin?« frag­te der Fuhr­mann.

      »Nun bei Lon­don«, sag­te ich.

      »Das Pferd«, sag­te der Fuhr­mann und schlen­ker­te mit dem Zü­gel statt hin­zu­deu­ten, »wäre to­ter als Schwei­ne­fleisch, ehe wir noch halb hin­kämen.«

      »Sie fah­ren also nur bis Yar­mouth?« frag­te ich.

      »Stimmt«, sag­te der Fuhr­mann. »Dort brin­ge ich Sie zur Post­kut­sche und die bringt Sie nach – wos eben ist.«

      Da das für den Fuhr­mann, der Mr. Bar­kis hieß, bei sei­nem phleg­ma­ti­schen und we­nig ge­sprä­chi­gen Tem­pe­ra­ment eine sehr lan­ge Rede war, bot ich ihm als Zei­chen mei­ner Er­kennt­lich­keit einen Ku­chen an, den er auf einen Bis­sen ver­schlang, ge­ra­de wie ein Ele­fant, und der auf sein brei­tes Ge­sicht nicht mehr Ein­druck mach­te, als er auf das ei­nes Ele­fan­ten ge­macht hät­te.

      »Hat sie den ge­ba­cken?« frag­te Mr. Bar­kis, der im­mer vor­wärts­ge­beugt auf sei­nem Sit­ze hock­te, auf je­des Knie einen Arm ge­stützt.

      »Peg­got­ty, mei­nen Sie, Sir?«

      »Hm«, sag­te Mr. Bar­kis. »Sie.«

      »Ja, sie backt alle un­se­re Ku­chen und kocht für uns.«

      »Wahr­haf­tig!«

      Er spitz­te den Mund, als woll­te er pfei­fen, aber er pfiff nicht. Er saß da und ziel­te nach den Ohren des Pfer­des, als sähe er dort et­was ganz Be­son­de­res. So saß er eine ge­rau­me Zeit. End­lich sag­te er: »Kei­ne Schät­ze?«

      »Sag­ten Sie Plätz­chen, Mr. Bar­kis?« Ich dach­te, er woll­te noch et­was zu es­sen ha­ben und hät­te auf die­se Art Er­fri­schung an­ge­spielt.

      »Schät­ze«, sag­te Mr. Bar­kis. »Schät­ze! Nie­mand geht mit ihr?«

      »Mit Peg­got­ty?«

      »Hm. Mit ihr.«

      »O nein, sie hat nie­mals einen Schatz ge­habt.«

      »Wahr­haf­tig!?«

      Wie­der spitz­te er den Mund zum Pfei­fen, aber wie­der pfiff er nicht, son­dern ziel­te nach den Ohren des Pfer­des.

      »Sie macht also die Ap­fel­tor­ten und be­sorgt die Kü­che, was?« frag­te er nach ei­ner lan­gen Pau­se des Nach­den­kens.

      Ich be­jah­te.

      »Gut. Ich will Ih­nen was sa­gen; schrei­ben Sie ihr ’leicht?«

      »Ich schrei­be je­den­falls an sie.«

      »Hm«, sag­te er und wand­te mir lang­sam sei­ne Au­gen zu. »Gut. Wenn Sie ihr schrei­ben, sa­gen Sie ihr, dass Bar­kis will. Ja?«

      »Dass Bar­kis will?« frag­te ich un­schul­dig. »Ist das al­les?«

      »Ja­woll«, sag­te er nach­denk­lich. »Ja­woll. Bar­kis will.«

      »Aber Sie sind doch mor­gen wie­der zu­rück in Blun­der­sto­ne, Mr. Bar­kis«, sag­te ich, und mei­ne Stim­me beb­te ein we­nig bei dem Ge­dan­ken, dass ich dann so weit fort sein wür­de, »und könn­ten Ihre Bot­schaft doch sel­ber viel bes­ser aus­rich­ten.«

      Da er aber die­sen Vor­schlag mit ei­nem Ruck sei­nes Kop­fes zu­rück­wies und sei­nen ers­ten Wunsch mit tiefs­tem Ernst wie­der­hol­te: »Bar­kis will«, über­nahm ich be­reit­wil­lig den Auf­trag. Spä­ter nach­mit­tags, wäh­rend wir im Gast­hof in Yar­mouth auf die Post­kut­sche war­te­ten, ließ ich mir einen Bo­gen Pa­pier und ein Tin­ten­fass brin­gen und schrieb fol­gen­den Brief an Peg­got­ty: »Mei­ne lie­be Peg­got­ty. Ich bin hier glück­lich an­ge­kom­men. Bar­kis will. Vie­le herz­li­che Grü­ße an Mama. Dein ge­treu­er Davy. Nach­schrift. Es ist mir noch­mals auf­ge­tra­gen wor­den: Bar­kis will.«

      Als ich Mr. Bar­kis noch im Wa­gen mein Ver­spre­chen ge­ge­ben hat­te, ver­fiel er wie­der in sein tie­fes Schwei­gen, und ich, ganz er­mat­tet von den letz­ten Er­eig­nis­sen, leg­te mich auf einen Sack im Wa­gen und schlief ein. Ich schlief ge­sund, bis wir in Yar­mouth an­ka­men, das mir von dem Gast­hof aus, vor dem wir hiel­ten, so neu und selt­sam vor­kam, dass ich so­gleich die stil­le Hoff­nung auf­gab, hier je­mand von Mr. Peg­got­tys Fa­mi­lie oder viel­leicht gar die klei­ne Emly selbst zu tref­fen.

      Die Post­kut­sche stand, über und über glän­zend, im Hofe, aber noch wa­ren kei­ne Pfer­de vor­ge­spannt, und sie sah in die­sem Zu­stan­de aus, als wäre nichts un­wahr­schein­li­cher, als dass sie je nach Lon­don fah­ren könn­te. Ich frag­te mich, was wohl aus mei­nem Kof­fer wer­den soll­te, den Mr. Bar­kis auf das Pflas­ter ge­setzt hat­te, und aus mir, als eine Frau aus ei­nem Bo­gen­fens­ter, an dem Ge­flü­gel und Fleisch­stücke auf­ge­han­gen wa­ren, her­aus­sah und frag­te:

      »Ist das der jun­ge Herr aus Blun­der­sto­ne?«

      »Ja, Ma’am«, sag­te ich.

      »Wie hei­ßen Sie?« frag­te die Frau.

      »Cop­per­field, Ma’am«, sag­te ich.

      »Stimmt nicht. Für Cop­per­field ist nichts be­stellt.«

      »Vi­el­leicht für Murd­sto­ne«, sag­te ich.

      »Wenn Sie Mas­ter Murd­sto­ne sind, warum sa­gen Sie da zu­erst einen an­de­ren Na­men?«