Charles Dickens

David Copperfield


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brach­te mir ei­ni­ge Ko­te­let­ten mit Ge­mü­se und nahm den De­ckel in so hef­ti­ger Wei­se her­un­ter, dass ich glaub­te, ich hät­te ihn ir­gend­wie be­lei­digt. Aber ich be­ru­hig­te mich wie­der, als er mir den Stuhl an den Tisch schob und sehr leut­se­lig sag­te: »Nun, Sechs­fuß­hoch, kom­men Sie her.«

      Ich dank­te ihm und setz­te mich an den Tisch, fand es aber sehr schwer, mit Mes­ser und Ga­bel zu han­tie­ren, ohne mich zu be­sprit­zen. Wäh­rend­des­sen stand er mir ge­gen­über und wand­te kein Auge von mir und mach­te mich im­mer schreck­lich er­rö­ten, wenn ich sei­nem Blick be­geg­ne­te.

      Nach­dem er mir bis zum zwei­ten Ko­te­lett zu­ge­se­hen, sag­te er:

      »Es ist auch eine hal­be Pin­te Ale für Sie be­stellt. Wol­len Sie sie jetzt ha­ben?«

      Ich dank­te und sag­te: »Ja.« Hier­auf goss er das Bier aus ei­nem Krug in ein großes Glas und hielt es ge­gen das Licht.

      »Mei­ner Seel«, sag­te er, »s scheint eine gan­ze, gan­ze Men­ge, was?«

      »Ja, es scheint eine gan­ze Men­ge«, ant­wor­te­te ich lä­chelnd, denn ich war ganz ent­zückt, dass er zu mir so freund­lich war. Er war ein Mann mit zwin­kern­den Au­gen und sin­ni­gem Ge­sicht, und das Haar stand ihm zu Ber­ge. Wie er den Arm in die Sei­te ge­stemmt hat­te und das Glas ge­gen das Licht hielt, sah er je­doch ganz ge­müt­lich aus.

      »Ges­tern war ein Gent­le­man hier«, fing er wie­der an, »ein großer, star­ker Gent­le­man, der hieß Ober­nie­der­sä­ger. Ken­nen Sie ihn viel­leicht?«

      »Nein«, sag­te ich, »ich glau­be nicht.«

      »Kur­ze Ho­sen und Ga­ma­schen, breit­krem­pi­gen Hut, sche­cki­ges Hals­tuch«, sag­te der Kell­ner.

      »Nein«, sag­te ich ge­drückt. »Ich habe nicht das Ver­gnü­gen.«

      »Er kehr­te hier ein«, sag­te der Kell­ner und sah im­mer noch durch das Glas, »be­stell­te auch Ale, trotz­dem ich ihm ab­riet, trank es und war tot auf der Stel­le. War zu alt für ihn. Es soll­te nicht aus­ge­schenkt wer­den. Das ist die Sa­che.«

      Der tra­gi­sche Vor­fall mach­te mich ganz be­stürzt und ich sag­te, ich wür­de ein Glas Was­ser vor­zie­hen.

      »Ja, se­hen Sie«, sag­te der Kell­ner, im­mer noch mit dem einen Auge durch das Glas spä­hend, das an­de­re hat­te er zu­ge­macht, »uns­re Leu­te se­hens nicht gern, wenn et­was be­stellt wird und ste­hen bleibt. Neh­mens übel. Aber ich wills trin­ken, wenn Sie er­lau­ben. Bin dran ge­wöhnt und Ge­wohn­heit kann al­les. Ich glau­be nicht, dass es mir scha­det, wenn ich den Kopf zu­rück­le­ge und es rasch hin­un­ter­gie­ße. Was?«

      Ich er­wi­der­te, ich wäre ihm sehr ver­pflich­tet, wenn er es trän­ke und es ihm nicht scha­den wür­de. Sonst aber möge er es ja nicht tun. Als er den Kopf zu­rück­leg­te und es rasch hin­un­ter­goss, er­fass­te mich eine schreck­li­che Angst, er könn­te das Schick­sal des be­dau­erns­wer­ten Mr. Ober­nie­der­sä­ger tei­len und tot zu Bo­den fal­len. Aber es tat ihm nichts. Im Ge­gen­teil, es schi­en ihn nur er­frischt zu ha­ben.

      »Was ha­ben wir denn da?« sag­te er und fuhr dann mit ei­ner Ga­bel in mei­ne Schüs­sel. »Doch nicht Ko­te­let­ten?«

      »Ko­te­let­ten«, sag­te ich.

      »Gott be­wah­re!« rief er aus. »Ich wuss­te gar nicht, dass es Ko­te­let­ten sind. Ein Ko­te­lett ist das bes­te ge­gen das Bier. Ist das ein Glück, was?«

      Da­mit nahm er ein Ko­te­lett, den Kno­chen in die eine Hand und eine Kar­tof­fel in die an­de­re, und ver­schlang bei­de zu mei­ner größ­ten Be­frie­di­gung mit au­ßer­or­dent­li­chem Ap­pe­tit. Dann nahm er noch ein Ko­te­lett und noch eine Kar­tof­fel und noch ein Ko­te­lett und noch eine Kar­tof­fel. Hier­auf brach­te er mir einen Pud­ding, setz­te ihn auf den Tisch und schi­en ein paar Au­gen­bli­cke ganz in Ge­dan­ken zu ver­sin­ken.

      »Wie ist die Pas­te­te?« frag­te er, wie aus ei­nem Traum er­wa­chend.

      »Es ist Pud­ding«, gab ich zur Ant­wort.

      »Pud­ding?« rief er aus. »Gott be­wah­re! Wirk­lich!« und ge­nau­er hin­bli­ckend: »Es ist doch nicht etwa Blät­ter­pud­ding?«

      »Ja, es ist Blät­ter­pud­ding.«

      »Was? Blät­ter­pud­ding?« sag­te er und nahm einen Ess­löf­fel. »Das ist ja mein Lieb­lings­pud­ding. Ist das nicht ein Glück? Komm, Klei­ner, wol­len mal se­hen, wer das meis­te kriegt.«

      Er be­kam wirk­lich das meis­te. Er bat mich mehr als ein­mal, ich möch­te mich doch dazu hal­ten, aber das Miss­ver­hält­nis sei­nes Ess­löf­fels zu mei­nem Tee­löf­fel, sei­ner Fer­tig­keit zu mei­ner, sei­nes Ap­pe­tits zu mei­nem Ap­pe­tit be­wirk­ten, dass ich schon bei den ers­ten Bis­sen weit zu­rück­b­lieb und kei­ne Aus­sicht mehr hat­te, ihn wie­der ein­zu­ho­len. Ich glau­be, ich habe nie­mals je­mand einen Pud­ding mit so viel Ge­nuss es­sen se­hen; und er lach­te, als er fer­tig war, als ob sei­ne Freu­de noch fort­dau­er­te.

      Da er so freund­lich und so ge­fäl­lig war, bat ich ihn um Fe­der, Tin­te und Pa­pier, um an Peg­got­ty zu schrei­ben.

      Er brach­te es nicht nur so­gleich, son­dern war auch so freund­lich, mir über die Ach­sel zu se­hen, wäh­rend ich schrieb. Als ich fer­tig war, frag­te er mich, wo ich zur Schu­le gin­ge.

      Ich sag­te: »Bei Lon­don«, denn ich wuss­te wei­ter nichts.

      »Gott be­wah­re!« sag­te er und schau­te sehr trau­rig drein. »Das tut mir leid.«

      »Wa­rum?« frag­te ich ihn.

      »Ach mein Gott«, sag­te er und schüt­tel­te den Kopf, »das ist die Schu­le, wo sie dem Jun­gen die Rip­pen zer­bra­chen. Zwei Rip­pen. Es war ein klei­ner Jun­ge. Er war etwa – war­ten Sie mal – wie alt sind Sie un­ge­fähr?«

      Ich sag­te ihm: »Zwi­schen acht und neun Jah­re.«

      »Das ist gra­de sein Al­ter. Er war acht Jah­re und sechs Mo­na­te, als sie ihm die ers­te Rip­pe bra­chen, acht Jah­re und acht Mo­na­te alt, als sie ihm die zwei­te Rip­pe zer­bra­chen. Und dann war es aus mit ihm.«

      Ich konn­te we­der mir noch dem Kell­ner ver­heh­len, dass das ein recht un­an­ge­neh­mer Vor­fall sei, und forsch­te, wo­durch es denn ge­sche­hen wäre. Sei­ne Ant­wort klang durch­aus nicht er­mu­ti­gend für mich, denn sie be­stand aus zwei schreck­li­chen Wor­ten: »Durch Stri­xe.«

      Das Bla­sen des Po­storns auf dem Hof ver­an­lass­te mich, auf­zu­ste­hen, und mit ei­nem aus Stolz und Ängst­lich­keit ge­misch­ten Ge­fühl, im Be­sitz ei­ner Bör­se zu sein, frag­te ich, ob noch et­was zu be­zah­len wäre.

      »Ein Bo­gen Brief­pa­pier«, sag­te er. »Ha­ben Sie schon ein­mal einen Bo­gen Brief­pa­pier ge­kauft?«

      Ich konn­te mich nicht er­in­nern.

      »Ist sehr teu­er. Von we­gen die Steu­er«, sag­te er. »Drei Pence. So wer­den wir hier be­steu­ert! Sonst wei­ter nichts. Bloß der Kell­ner noch. Die Tin­te kos­tet nichts, bei der set­ze ich zu.«

      »Was möch­ten Sie – was soll ich – wie viel hät­te ich – was gibt man wohl dem Kell­ner, bit­te?« stam­mel­te ich und wur­de rot.

      »Wenn ich kei­ne Fa­mi­lie be­sä­ße und die Fa­mi­lie nicht die Po­cken hät­te«, sag­te der Kell­ner, »wür­de ich nicht