stellen, als ob er sich entsetzlich vor mir fürchtete. Von einem dritten, George Demple, glaubte ich, er werde die Inschrift singen.
Ich, das kleine, eingeschüchterte Geschöpf, hatte so oft die Tür angesehen, bis die Träger aller dieser Namen – wie mir Mr. Mell sagte, waren fünfundvierzig Schüler da – mich auf allgemeinen Beschluss in Verruf zu tun schienen, wobei jeder in seiner eignen Weise ausrief: »Acht geben! Er beißt.« Ebenso verhielt es sich mit den Plätzen vor dem Pulte und den Bänken. Ebenso mit den Reihen verlassner Bettstellen, wenn ich aus meinem Lager heraus einen Blick auf sie warf. Ich erinnere mich, dass ich eine Nacht nach der anderen träumte, ich sei wieder bei meiner Mutter, wie früher, oder auf Besuch bei Mr. Peggotty oder reise als Außenpassagier mit der Postkutsche oder speise wieder mit meinem unglücklichen Freunde, dem Kellner, und überall wunderten sich die Leute, wenn sie bemerkten, dass ich nichts anhatte als mein kleines Nachthemd und das Plakat auf dem Rücken.
In der Einförmigkeit meines Lebens und in beständiger Furcht vor dem Schulbeginn bereitete es mir unerträgliche Leiden. Ich hatte jeden Tag lange Lektionen bei Mr. Mell, da aber Mr. und Miss Murdstone nicht anwesend waren, kam ich gut weg. Vor- und nachher musste ich spazierengehen, überwacht von dem Mann mit dem Holzbein. Wie lebhaft ich mich an die Feuchtigkeit rings ums Haus erinnere, an die grünen, zersprungnen Steine im Hof, das alte lecke Wasserfass und die verwaschnen Stämme der düstern Bäume, die mehr als andere Gewächse im Regen getröpfelt und weniger in der Sonne geblüht zu haben schienen. Um ein Uhr aßen wir zu Mittag, Mr. Mell und ich, an dem oberen Ende eines langen kahlen Esszimmers, das voll war von hölzernen Tischen und stark nach Fett roch. Dann arbeiteten wir wieder bis zum Tee, den Mr. Mell aus einer blauen Tasse und ich aus einem Zinntopf tranken. Den ganzen Tag lang bis abends sieben oder acht war Mr. Mell angestrengt an seinem besondern Pult im Schulzimmer mit Feder, Tinte, Lineal, Büchern und Schreibpapier beschäftigt. Er zog die Rechnungen aus für das vergangene halbe Jahr. Wenn er seine Sachen für die Nacht aufgeräumt hatte, zog er seine Flöte hervor und blies, bis ich glaubte, er müsste allmählich sein ganzes Ich am oberen Ende hineingeblasen und sich durch die Klappen verflüchtigt haben.
Ich stelle mir mein eignes kleines Ich vor, wie ich in dem schwach erhellten Zimmer, den Kopf in die Hand gestützt, sitze und der kläglichen Musik Mr. Mells zuhöre und die Aufgaben für den nächsten Tag lerne. Ich sehe mich, wie ich die Bücher weggelegt habe und immer noch den kläglichen Melodien Mr. Mells lausche, und ich höre darin, was mir früher das mütterliche Haus war, höre den Wind wehen über die Dünen von Yarmouth und fühle mich bedrückt und einsam. Ich sehe, wie ich zu Bette gehe in dem ungastlichen Zimmer und mich auf das Bett setze und mich mit Tränen nach einem tröstenden Wort von Peggotty sehne. Ich sehe mich, wie ich früh die Treppe herunterkomme und durch ein Gangfenster auf dem Dache eines Häuschens draußen die große Schulglocke betrachte mit einer Wetterfahne darüber, und wie ich mich vor der Zeit fürchte, wo sie J. Steerforth und die übrigen zur Arbeit rufen wird, was an Schrecklichkeit nur von dem Zeitpunkt übertroffen wird, wo der Mann mit dem Holzbein das rostige Tor aufschließen und den furchtbaren Mr. Creakle einlassen wird. Ich glaube nicht, dass ich in meiner Fantasie mir gefährlich vorkam, aber ich trug doch die Warnung auf dem Rücken!
Mr. Mell sprach niemals viel mit mir, aber er war niemals rau gegen mich. Ich glaube, wir leisteten einander gute Gesellschaft, auch ohne miteinander zu sprechen. Manchmal redete er mit sich selbst, lachte vor sich hin, ballte die Faust, knirschte mit den Zähnen und raufte sich die Haare in gar nicht zu schildernder Weise. Er hatte nun einmal diese Eigentümlichkeiten. Erst flößten sie mir Furcht ein, aber bald gewöhnte ich mich daran.
6. Kapitel – Ich erweitere den Kreis meiner Bekanntschaft
So hatte ich ungefähr einen Monat gelebt, als der Mann mit dem hölzernen Bein mit dem Besen und dem Wassereimer herumzuhumpeln begann, woraus ich schloss, dass man sich auf den Empfang Mr. Creakles und der Schüler vorbereitete. Ich hatte mich nicht geirrt. Es dauerte nicht lange, so kam der Besen in die Schulstube und verdrängte Mr. Mell und mich. Ein paar Tage lang mussten wir uns im ganzen Hause herumdrücken und waren beständig zwei oder drei Mädchen, die ich vorher nie gesehen hatte, im Wege und fortwährend so in Staub gehüllt, dass ich immerfort niesen musste, als ob Salemhaus eine einzige große Schnupftabaksdose gewesen wäre.
Eines Tages sagte mir Mr. Mell, dass Mr. Creakle abends ankommen werde. Nach dem Tee hörte ich, dass er da war. Vor dem Schlafengehen holte mich der Mann mit dem hölzernen Bein zu ihm. Mr. Creakles Teil des Hauses sah viel angenehmer aus als der unsere, hatte einen kleinen Garten, der sich sehr hübsch ausnahm verglichen mit dem staubigen Spielplatz, der so sehr eine Wüste in Miniatur war, dass sich bloß ein Kamel oder ein Dromedar darin hätte wohl fühlen können. Ich getraute mich kaum, alles das anzublicken, als ich zitternd durchging. Ich war so verschüchtert, dass ich kaum Mrs. Creakle oder Miss Creakle bemerkte oder überhaupt etwas anderes sah als Mr. Creakle, einen dicken Herrn mit einer mächtigen Uhrkette und Berloques daran, der in einem Lehnstuhl saß und Glas und Flasche neben sich stehen hätte.
»So«; sagte Mr. Creakle, »das ist also der junge Herr, dem die Zähne abgefeilt werden müssen! Dreh ihn um.«
Der Mann mit dem hölzernen Bein drehte mich um und zeigte das Plakat. Dann, als Mr. Creakle es gelesen, drehte er ihm wieder mein Gesicht zu und stellte mich neben ihn. Mr. Creakles Gesicht glühte förmlich, und seine kleinen Augen lagen tief im Kopf. Er hatte dicke Adern auf der Stirn, eine kleine Nase, ein großes Kinn, eine Glatze und spärliches, feucht aussehendes Haar, das anfing, grau zu werden, und so von den Schläfen nach oben gebürstet war, dass sich die Enden auf dem Scheitel begegneten. Was mir am meisten auffiel, war, dass er mit flüsternder Stimme sprach. Die Anstrengung, die ihn das kostete, oder das Bewusstsein, nicht lauter reden zu können, machten sein zorniges Gesicht noch zorniger, und die dicken Adern noch dicker beim Sprechen, sodass ich mich nicht wundere, wenn dieser Zug seines Äußern am lebendigsten in meiner Erinnerung fortlebt.
»Was ist von dem Knaben zu melden?« fragte er.
»Es liegt noch nichts gegen ihn vor«, erwiderte der Mann mit dem Stelzfuß. »Es hat sich noch keine Gelegenheit ergeben.«
Mr. Creakle schien enttäuscht zu sein. Mrs. und Miss Creakle hingegen, die ich jetzt zum ersten Mal ansah, und die beide hager und dünn waren, durchaus nicht.
»Komm her«, sagte Mr. Creakle und winkte mir.
»Komm her«, sagte der Mann mit dem Stelzfuß und wiederholte die Gebärde.
»Ich habe das Glück, deinen Stiefvater zu kennen«, flüsterte Mr. Creakle und nahm mich beim Ohr. »Er ist