Tränen, als sie antwortete:
»Ich werde Mr. Micawber nie verlassen! Mr. Micawber hat mir vielleicht zu Anfang seine Bedrängnisse verheimlicht, aber sein sanguinisches Temperament mag ihn zu der Ansicht verleitet haben, er werde sie bald überwinden können. Das Perlenhalsband und die Armbänder, die ich von Mama geerbt habe, sind um den halben Wert verschleudert worden. Und der Korallenschmuck, den mir Papa zur Hochzeit schenkte, fast für nichts. Aber ich werde Mr. Micawber nie verlassen! Nein!« rief Mrs. Micawber mit noch größerer Rührung als vorher, »ich werde das nie tun. Ich lasse mich nicht überreden!«
Ich fühlte mich sehr unbehaglich, da Mrs. Micawber zu glauben schien, ich hätte sie zu einem solchen Schritt verleiten wollen, und sah sie sehr beunruhigt an.
»Mr. Micawber hat seine Fehler, ich leugne nicht, dass er unbedacht ist. Auch nicht, dass er mit Geld nicht umzugehen weiß und mich über seine Mittel und seine Schulden in Unkenntnis gelassen hat«, fuhr sie, den Blick an die Wand gerichtet, fort, »aber ich werde niemals Mr. Micawber verlassen!«
Da sich ihre Stimme jetzt zu lautem Kreischen gesteigert hatte, war ich so erschreckt, dass ich ins Klubzimmer davonlief und Mr. Micawber, der an einem langen Tisch präsidierte, in dem Chorgesang:
*
»Hühü, Dobbin,
Hüho, Dobbin,
Hühü, Dobbin,
Hühü und hüho-o-«
*
den er eben leitete, mit der Nachricht störte, dass sich Mrs. Micawber in einem sehr beängstigenden Zustand befände, worauf er sofort in Tränen ausbrach und mit mir forteilte, die Westentasche voll Krevetten, mit denen er sich gerade beschäftigt hatte.
»Emma, mein Engel«, rief er, als er ins Zimmer stürzte, »was ist geschehen?«
»Ich werde dich niemals verlassen, Micawber!« rief sie aus.
»Mein Leben«, sagte Mr. Micawber und schloss sie in die Arme. »Davon bin ich vollständig überzeugt.«
»Er ist der Vater meiner Kinder, der Erzeuger meiner Zwillinge, er ist der Gatte meines liebenden Herzens«, rief Mrs. Micawber schluchzend, »ich werde Mr. Micawber nie-mals ver-las-sen.«
Mr. Micawber war so tief gerührt durch diesen Beweis von Anhänglichkeit, – ich zerfloss selbstverständlich in Tränen –, dass er sich leidenschaftlich über seine Gattin beugte und sie anflehte, aufzusehen und sich zu beruhigen. Je mehr er sie aber anflehte, aufzublicken, umso mehr starrten ihre Augen ins Leere, und je mehr er sie anflehte, sich zu fassen, desto weniger tat sie es. Schließlich war Mr. Micawber selbst so erschüttert, dass er seine Tränen mit ihren und meinen mischte und mich bat, mir einen Stuhl auf die Treppe hinauszunehmen, während er sie zu Bett brächte. Ich wollte mich für den Abend verabschieden, aber er mochte davon nichts hören, ehe nicht die Fremdenglocke geläutet habe. So saß ich denn an einem Treppenfenster, bis er mit dem zweiten Stuhl nachkam und mir Gesellschaft leistete.
»Wie befindet sich jetzt Mrs. Micawber, Sir?« fragte ich.
»Sehr geschwächt«, sagte Mr. Micawber und schüttelte den Kopf. »Reaktion! O, was war das für ein schrecklicher Tag! Wir stehen jetzt allein, alles ist von uns gegangen.«
Er drückte mir die Hand, stöhnte und vergoss Tränen. Ich war sehr ergriffen und auch enttäuscht, denn ich hatte erwartet, dass wir bei dieser glücklichen langersehnten Gelegenheit recht heiter sein würden. Mr. und Mrs. Micawber hatten sich an ihre alten Bedrängnisse so gewöhnt, glaube ich, dass sie sich ganz schiffbrüchig vorkamen, als sie jetzt von ihnen erlöst waren. Die ganze Elastizität war von ihnen genommen, und ich hatte sie nie auch nur halb so elend wie an jenem Abend gesehen. Als die Glocke läutete und Mr. Micawber mich bis zum Türschließer begleitete und dort mit einem Segensspruch von mir Abschied nahm, bangte mir fast, ihn allein zu lassen, so unglücklich sah er aus.
Aber trotz all der Verwirrung und Bedrücktheit, die sich unserer Gemüter so unerwartet bemächtigt hatte, fühlte ich deutlich, dass mir ein Abschied von den Micawbers bevorstand. Auf meinem Nachhauseweg in jener Nacht und den schlaflosen Stunden, die darauf folgten, kam mir zuerst der Gedanke, der später zu einem festen Entschluss werden sollte.
Ich hatte mich so an die Micawbers gewöhnt und war mit ihren Bedrängnissen so vertraut geworden und stand so ohne jeden Freund da, wenn sie mir fehlten, dass mir die Aussicht, abermals unter fremde Leute gehen zu müssen, unerträglich schien. Der Gedanke an all die Scham und das Elend, das in meiner Brust lebte, wurde mir bei dem Gedanken daran noch peinigender, und ich sah keine Hoffnung an Entrinnen, wenn ich nicht aus eignem Entschluss einen Versuch wagte.
Ich hatte selten von Miss Murdstone gehört und niemals mehr von ihrem Bruder, außer, dass hie und da ein Paket neuer oder ausgebesserter Kleider für mich an Mr. Quinion gekommen war, immer mit einem Zettel dabei, auf dem J. M. hoffte, dass D. C. in seinem neuen Beruf fleißig und gehorsam sei. Nie die geringste Andeutung, dass ich auf eine Änderung in meinem Schicksal hoffen dürfte und je etwas anderes als ein gewöhnlicher Tagelöhner werden würde, zu welcher Stufe ich immer mehr herabsank.
Schon der nächste Tag zeigte mir, dass Mrs. Micawber nicht ohne guten Grund von ihrem Weggehen gesprochen hatte. Die Familie mietete sich in dem Hause, wo ich wohnte, für eine Woche ein, um sich nach Ablauf dieser Zeit nach Plymouth zu begeben. Mr. Micawber kam nachmittags aufs Kontor, um Mr. Quinion zu sagen, dass er mich vom Tage seiner Abreise an verlassen müsse, und zollte mir ein hohes Lob, das ich gewiss auch verdiente. Mr. Quinion rief Tipp, den Kärrner, der verheiratet war und ein Zimmer zu vermieten hatte, herein und quartierte mich im Voraus bei ihm ein. Aber mein Entschluss stand fest.
Ich verlebte meine Abende mit Mr. und Mrs. Micawber, solange wir noch unter einem Dache wohnten, und wir gewannen einander noch lieber, je mehr die Zeit verging.
Am letzten Sonntag luden sie mich zum Mittagessen ein und wir bekamen Schweinsbraten, Apfelmus und Pudding. Ich hatte den Abend vorher ein geschecktes Holzpferd als Abschiedsgeschenk für den kleinen Wilkins Micawber und eine kleine Puppe für die kleine Emma gekauft.
Ich schenkte auch einen Schilling dem Waisling, der jetzt entlassen werden sollte.
Wir verlebten einen recht vergnügten Tag, wenn wir auch wegen unserer nahe bevorstehenden Trennung sehr weich gestimmt waren.
»Ich werde nie an die Zeit von Mr. Micawbers Bedrängnis zurückdenken, Master Copperfield«, sagte